Die FDP verliert in Berlin ein Drittel ihrer Stimmanteile und deutlich mehr als ein Drittel ihrer Wähler. Und das als Oppositionspartei in einer Stadt, deren Regierungsparteien heftig versagt haben: verpatzte Organisation einer Wahl, grundsätzlich keine funktionierende Verwaltung, chaotische Verkehrspolitik und massive Mängel in der Sicherheitspolitik, die spätestens in der Silvesternacht offensichtlich wurden. Eigentlich hätte eine Oppositionspartei in so einer Situation zulegen müssen, so wie es CDU und AfD denn auch getan haben.
Aber die FDP hat verloren. Wer will, kann die Gründe für diese Niederlage in der Berliner Landespolitik suchen – er wird sie dort nur nicht finden. Der Verband hat im Stadtstaat nicht viel verkehrt gemacht; mit Verkehr, Bauen und Wohnen die richtigen Themen aufgegriffen und einen soliden Wahlkampf hingelegt. Ihr Spitzenkandidat Sebastian Czaja ist zwar mit der nicht übermäßig witzigen Idee aufgefallen, sich kopfüber plakatieren zu lassen. Aber es war eindeutig die Bundespolitik, die den Berliner Liberalen als heftiger Gegenwind ins Gesicht geblasen hat.
Es ist nur eine Niederlage unter vielen
Selbst wenn die Partei noch ins Abgeordnetenhaus einzieht, reiht sich das Berliner Ergebnis in eine Reihe ein: Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen… seit die FDP im Bund in die Ampelkoalition eingetreten ist, hat sie nur noch Niederlagen eingefahren. Zweimal aus Parlamenten geflogen, zweimal aus Regierungen – würde sich die FDP heute gegen Mitternacht auf über 5 Prozent retten, wäre das die erfolgreichste Wahl der letzten anderthalb Jahre. Steht die Sonne tief, wirft ein Zwerg auch lange Schatten.
Amoklauf in der Energiepolitik, Plan- statt Marktwirtschaft und Subventionen statt vernünftiger Rahmenbedingungen – und wie reagiert die FDP auf diese politische Agenda? Ihr Parteichef Christian Lindner spielt den Entertainer, der dieses rot-grüne Chaos schönreden will. Haut einen Euphemismus nach dem nächsten raus, fabuliert von „Zukunftskoalition“, „Freiheitsenergien“ und „Sondervermögen“. Die Rhetorik eines Gebrauchtwagenhändlers statt solider Politik. Wer als Bürgerlicher FDP gewählt hat, erkennt seine Partei nicht mehr.
Die FDP ist nicht wiederzuerkennen
Das gilt vor allem für die Corona-Politik. Da verspricht die FDP das Ende der Maßnahmen, verschärft sie dann aber Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zuliebe und hebt sie im Bund erst auf, als die Länder es schon vorgemacht haben. Es gilt aber auch für das Selbstbestimmungsgesetz. Für das lässt sich Justizminister Marco Buschmann feiern. Doch bestenfalls geht die Stärkung der Rechte von Transsexuellen mit Grünen und der SPD nach Hause. Doch das Gesetz hat Fallstricke, die maximal antiliberal sind: Wer Transsexuelle künftig mit dem falschen Vornamen anspricht, soll Geldstrafen erhalten, die existenzgefährdend sind. Wenn ein 15-Jähriger gegen den Willen seiner Eltern eine Geschlechtsumwandlung anstrebt, entscheidet der Staat. Im Sinne des Kindeswohls. Klingt nach Grünen, nach SPD und nach SED/PDS/Linke – dürfte aber für bürgerliche Wähler ein Graus sein.
Doch Buschmann ist nur ein Nebenproblem der Partei. Das gilt auch für die Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die mag als Fachpolitikerin anerkannt sein, wirkt aber in ihren vielen TV-Auftritten maximal unsympathisch. Aber am Ende sitzt das Problem der FDP am Kopf – und heißt Christian Lindner. Er kann der FDP kein Profil geben. Weil er selbst keins hat. Vom Startup-Unternehmer im Unterhemd bis zum Society-König auf Sylt hat er schon jede Rolle gespielt. Gespielt. Das ist das Schlüsselwort im Zusammenhang mit Lindner, dem es an Ernsthaftigkeit fehlt.
Lieber schlecht regieren, als nicht im Dienstwagen sitzen
Einst wollte er lieber gar nicht regieren als schlecht. Heute will er lieber schlecht regieren, als nicht im Dienstwagen sitzen. Den Ausstieg aus der Atomkraft beschreibt er als unverantwortlich, trägt ihn aber mit, um den Dienstwagen nicht verlassen zu müssen. Als Finanzminister macht er Rekordschulden, will aber als Sanierer gefeiert werden, weil Schulden ja jetzt „Sondervermögen“ heißen. Christian Lindner ist wie Horst Seehofer (CSU) – er sagt das Richtige und macht das Falsche. Damit ist längst jede Aussage, jede Ankündigung Lindners belanglos geworden. Er braucht gar nicht mehr zu reden, weil seine Worte eh nur noch als heiße Luft gelten. Das Land werde seinen Wohlstand verlieren, kündigt der Finanzminister mittlerweile offen an. Warum er bleiben will, obwohl er nicht kämpfen will, kann er nicht erklären – außer mit dem Anspruch, die eigenen Privilegien nicht verlieren zu wollen. Das ist aus der privaten Sicht Lindners durchaus verständlich – aber aus Sicht der Wähler mehr als verzichtbar. Und das haben sie der FDP in Berlin nun schon zum fünften Mal in Folge gezeigt.