Es ist schon ein Leid mit dieser Giorgia Meloni. Man möchte sie mit einem Stock anstupsen und zurufen: „Jetzt mach doch endlich was Rechtsextremes!“ Aber nichts. Rom funktioniert im europäischen Netz geräuschlos, keine Skandale, nicht einmal eine kleine Kapitänsaktion wie unter Matteo Salvini; auch bei der Migration tritt die neue Regierung mit Eleganz statt mit dem Brecheisen auf.
Doch irgendetwas, so dachte sich offenbar der ARD-Korrespondent in Rom, Jörg Seisselberg, müsse man doch Meloni anhängen. Nach 100 Tagen ein ruhiges, effektives Dahinregieren. Keine Uniformen, keine Flaggen, nicht einmal eine Militärparade. Mittlerweile halten auch weiter rechts von Meloni stehende Persönlichkeiten die Frau für ein U-Boot, weil sie lediglich konservative Inhalte vorantreibt, statt in 100 Tagen alle Ausländer aus Italien rausräumt und aus der Nato austritt.
Zitate eines linken italienischen Professors über Meloni? Bekannte Banalitäten. Durchgehender Hinweis auf eine „neofaschistische“ Vergangenheit? Klassiker. Seisselberg sucht händeringend: irgendetwas muss man der Frau doch anlasten. Er findet den Clou – in der Wirtschaftspolitik. Zwar hat Meloni noch nicht den Zusammenschluss der Wirtschaft nach Mussolinis Vision in Korporationen verordnet. Doch zumindest ist man auf dem besten Weg dahin:
„Dazu kommt eine Steuerpolitik, die neben Geringverdienern gezielt Freiberufler und Kleinunternehmer entlastet, als Geste an die rechten Stammwähler.“
Steuerentlastungen sind jetzt rechts. Die Mentalität zeugt nicht nur für eine bemerkenswerte Einschätzung des italienischen Wählerpotenzials. Sie steht im Einklang mit der Überzeugung des linken Journalistenmilieus, dass Freiheit im Zusammenhang mit Faschismus steht. Ob nun bei der Meinungsfreiheit, deren Zensur ein demokratisches Anliegen ist; oder eben bei der Steuer, deren Senkung eine Gemeinwohlgefährdung darstellt.
Dafür, dass von den Rändern der Vorwurf kommt, Meloni mache nichts, zeigen sich 53 Prozent der Italiener zufrieden mit ihrer Regierung. Das muss auch Seisselberg zugeben. Denn wie so viele Italienberichte aus der Feder des ÖRR sagt auch dieser deutlich mehr über deutsche Journalisten – denn italienische Politik aus.