Erstaunlich, wer sich nun nach Bekanntwerden der aktuellen EU-Rechtslage zu Insekten als Nahrungsmittel bekennt. Ganz vorne mit dabei ist Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der meint, es sei ein vernünftiger Weg, um an Proteine zu kommen, und Insekten seien ökologisch sinnvoll. Ein erster Schritt dabei wäre aus seiner Sicht, aus Insekten Tierfutter herzustellen.
„Wir stehen Insekten grundsätzlich positiv gegenüber“, sagt Daniela Krehl vom Verbraucherschutz Bayern gegenüber dem Focus. „Sie liefern viele wichtige Nährstoffe und sind proteinreich!“ Wichtig sei, dass Allergiker auf Gefahren hingewiesen werden.
Die Tierschützer von Peta (People for the Ethical Treatment of Animals) wenden sich gegen das Verspeisen von Insekten. Mit demselben Argument, mit dem sie auch jede andere tierische Nahrung ablehnen: Tierquälerei! Insekten seien auch Tiere, die empfindungsfähig seien. Und natürlich „Massentierhaltung“! „Die Zucht von Massen an diesen Insekten, die dann dicht an dicht gedrängt gehalten werden“, so Bettina Eick, Fachreferentin für Ernährung bei Peta Deutschland, „und auch die Tötung durch Schockfrosten oder teilweise auch Verbrühen ist natürlich alles andere als artgerecht oder frei von Tierleid.“ Insekten könnten Schmerzen und andere Gefühle wahrnehmen, seien „auf ihre Art und Weise auch intelligent“. Das gelte auch für Grillen.
Zentraler Treiber ist das vietnamesische Unternehmen Cricket One, das auch in Europa Grillen in Pulverform als sogenannte Nahrungsergänzung anbieten will (Motto: »Klassische Proteine für eine moderne Welt«). Es betreibt die Zucht von Grillen (englisch: crickets), ist aber auch mit anderen Inhaltsstoffen für Lebensmittel, Getränke, Kosmetika und Tiernahrung befasst.
Cricket One beantragte 2019 bei der EU, seine pulverisierten Grillen (Wissenschaftlicher Name: Acheta domesticus) in Brot und Mehrkornsandwiches, Crackern und Brotstangen, Müsliriegeln, trockenen Vormischungen für Backwaren, Keksen, trockenen gefüllten und ungefüllten Teigwaren, Soßen, verarbeiteten Kartoffelprodukten, Gemüse- und Hülsenfruchtgerichten und Pizza, in Teigwaren, in Molkepulver, in Fleischersatzprodukten, in konzentrierten oder pulverisierten Suppen, in Maismehlsnacks, in bierähnlichen Getränken, in Schokoladenprodukten, in Nüssen und Ölsaaten, in anderen Snacks als Chips und in Fleischzubereitungen zu verwenden. Die EU stimmte zu – befristet auf fünf Jahre, nachdem die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) am 23. März 2022 über die »Zulassung des Inverkehrbringens des teilweise entfetteten Pulvers von Acheta domesticus auf dem EU-Markt« positiv entschieden hatte. Eine Gefahr für die Gesundheit sah sie nicht.
Das ist übrigens das dritte Insekt, das in der EU zum Verzehr zugelassen ist. Im Februar 2022 wurde die Gelbmehlmotte (Tenebrio molitor) und im November 2021 die Wanderheuschrecke zugelassen. Vor einem Jahr hat die Firma Fair Insects B.V. bei der Europäischen Kommission auf Zulassung der Hausgrille (Acheta domesticus) als Lebensmittelzutat im Rahmen der Novel-Food-Verordnung einen Antrag gestellt und dies nun bewilligt bekommen. Fair Insects darf demnach Acheta domesticus ganz, gefroren, getrocknet und pulverförmig (gemahlen) zur Verwendung als Snacks und Lebensmittelzutat in einer Reihe von Lebensmitteln für die allgemeine Bevölkerung verwenden.
Das Gremium für Ernährung, neuartige Lebensmittel und Lebensmittelallergene der EFSA hat alle sicherheitsrelevanten Unterlagen geprüft: Die Hausgrille könne ohne gesundheitliche Bedenken verzehrt werden. Allerdings verbunden mit der Warnung, dass Menschen, die Allergien gegen Schalentiere haben, vorsichtig sein sollten, weil die Hausgrille ebenfalls allergische Reaktionen verursachen kann.
Insekten waren in Europa als Nahrung bisher unerwünscht, galten gemeinhin als Ungeziefer, das aus der Nahrung herausgehalten werden sollte. Waren Menschen früher froh, wenn sie ihr Mehl von Mehlwürmern, Mehlmotten und Mäusen einigermaßen rein halten konnten, so sollen also heute Würmer, Käfer und Grillen das Essen bereichern. Bisher gingen allerdings sämtliche Versuche, Burger aus Würmern feilzubieten, kommerziell schief.
Da gab es zum Beispiel jenen Burger aus gemahlenem Buffalowurm, der Larve des Getreideschimmelkäfers (Alphitobius Diaperinus). Eigentlich ist der glänzendschwarze Käfer ein Schädling und gilt vor allem in der Geflügelwirtschaft als Überträger von Krankheiten und Parasiten sowie Salmonellen. Eine Osnabrücker Firma namens Bugfoundation entwickelte einen Burger aus diesen gemahlenen Larven (Buffalowurm genannt) und verkaufte diesen vor sieben Jahren an ein Steakhouse in Brüssel, das den Buffalowurm-Burger neben Zebra, Känguru und Rentier feilbot – für 16,50 Euro pro Burger.
Zunächst galten Insekten entsprechend der »Novel Food Verordnung« der EU nicht als Lebensmittel und waren nicht in die Verordnung aufgenommen. Die einzelnen EU-Länder behandelten das Thema unterschiedlich. In Belgien und in den Niederlanden konnten Insekten als Lebensmittel verkauft werden.
Das änderte sich erst 2017, als Insekten offiziell als Lebensmittel in die Verordnung aufgenommen wurden. Die Lebensmittelkette REWE und Penny nahmen daraufhin den Burger von Bugfondation in ihr Programm, zwei Stück in einer Packung zu 5,99 Euro.
Damals lehnten bei einer YouGov-Umfrage 83 Prozent der Befragten Insekten auf dem Teller oder sonstwo in Lebensmitteln ab. Mittlerweile finden sich bei REWE Insektensprays, aber keine Insektenburger mehr. Da ist wohl noch viel Lobbyarbeit zu leisten.