Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist unabhängig – und staatsfern. Deswegen darf die Politik sich nicht bei ARD, ZDF und Co einmischen. Soweit die Theorie. Nun die Praxis: Die Rundfunkkommission der Länder hat sich zur Klausur getroffen und deren Ergebnisse am Freitag in einer Pressekonferenz vorgestellt. Diese Aufgabe übernahmen Heike Raab (SPD) und Oliver Schenk (CDU). Raab ist Malu Dreyers Staatssekretärin für Medienfragen in Rheinland-Pfalz, Oliver Schenk leitet Michael Kretschmers Staatskanzlei in Sachsen.
Zwei Aussagen, die Raab und Schenk auf dieser Pressekonferenz machten, sind bemerkenswert. Zum einen forderten sie ARD und ZDF auf zu sparen. 2025 soll es, wenn möglich, keine weitere Erhöhung der Beitrag genannten Rundfunkgebühren geben. Trotz zweistelliger Inflation. Allerdings wollte Schenk das nicht garantieren. Zum anderen forderten die beiden Politiker „faktenbasierten Journalismus“ ein, den sie in Gegensatz zu „Haltungsjournalismus“ stellten.
Nehmen Raab und Schenk die Aussage zum faktenbasierten Journalismus ernst und verfolgen das Ziel dauerhaft, dann kommt das einer medienpolitischen Revolution gleich. Denn vor allem in den letzten sieben Jahren bekannten sich Mitarbeiter von ARD und ZDF immer offener zu Haltungsjournalismus. Sie begründeten das wie ZDF-Intendant Norbert Himmler damit, dass Journalismus eher einordnen statt nur berichten müsse. Oder wie der TV-Aktivist Jan Böhmermann damit, dass es gesellschaftlich schädlich wäre, wenn die Auswahl von Gästen im Fernsehen einer „falschen Balance“ nachkommen würde. Solche Angriffe auf die journalistische Neutralität und die Ausgewogenheit blieben bisher aus Kreisen links von der AfD unwidersprochen.
Doch sowohl Raab als auch Schenk haben eine Motivation dazu, auf (etwas) Distanz zu ARD und ZDF zu gehen. Bei der CDU liegt das auf der Hand: Angela Merkel (CDU) entsprach der Haltung der Öffentlich-Rechtlichen. Vor allem in der Flüchtlingspolitik. Also trugen sie Merkel unkritisch durch ihre Kanzlerschaft. Im Gegenzug ließen „Mutti“ und ihre Mitläufer es zu, dass sich immer mehr öffentlich-rechtliche Akteure zur Parteilichkeit und Unausgewogenheit bekannten. Aber das Bündnis brach bereits, als Merkel noch im Kanzleramt saß. Gegen den Kandidaten der CDU, Armin Laschet, bezog die ARD im Wahlkampf offen Stellung und konfrontierte ihn zum Beispiel in Fragerunden mit als Bürgern getarnten Klima-„Aktivisten“.
Die SPD scheint von der Haltung des ÖRR-Journalismus zu profitieren. Doch die Sozialdemokraten sind Machtmenschen. Sie nehmen zum Beispiel die Liebe wahr, die in den Augen von Tina Hassel lodert, wenn sie über Robert Habeck (Grüne) berichtet. Oder die offen grüne Agenda der ZDF-Fäkalienschleuder Böhmermann. Im Willy-Brandt-Haus herrscht Angst, dass die Grünen den Sozialdemokraten die Führungsrolle im linken Lager abnehmen. Bis zum katastrophal dilettantischen Wahlkampf von Annalena Baerbock (Grüne) sah es auch so aus, als ob das schon 2021 passieren würde. Nun arbeiten die Sozialdemokraten daran, dass Olaf Scholz nicht ihr letzter Kanzler bleibt.
Malu Dreyer kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Sie sitzt in Mainz so fest im Sattel, dass sie sogar ihr Totalversagen während der Ahrflut politisch überlebt hat. Gleichzeitig hat die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin keinerlei Ambitionen im Bund. Das macht Dreyer mächtig in der SPD. Zumal die öffentlich wenig wirksame, aber machtstrategisch hochwichtige Medienpolitik ihr als Erbhof zufällt. Wenn ihre enge Vertraute Raab akzeptiert, dass Schenk in ihrem Beisein von einem Ende des Haltungsjournalismus spricht, dann ist das eine Aussage.
Nur darf keiner allzu schnelles Handeln erwarten. Eine Reform von ARD und ZDF ist wie ein Flugzeugträger, der in einem Binnenhafen gewendet werden muss. Dass Schenk und Raab das Ende des Haltungsjournalismus mit dem Sparzwang gekoppelt haben, ist dabei allerdings ein smarter Zug. Zwar verfügen ARD und ZDF mit 8,5 Milliarden Euro allein aus Gebühren über einen beispiellosen Etat. Doch in ihrem arroganten Feudalismus haben es die ÖRR-Fürsten geschafft – dank Protzbauten sowie unverschämter Gehälter und Pensionen –, mit diesem Geld nicht auszukommen. Wollen sie dem Spardiktat entgehen und eine neuerliche Gebührenerhöhung, dann müssen sie auf die inhaltlichen Forderungen eingehen. Das heißt nicht, dass Böhmermann aufhören wird, Andersdenkende mit Fäkalbegriffen zu überziehen. So schnell wendet ein Flugzeugträger nicht. Aber es zwingt ARD und ZDF zu Zugeständnissen. Einen Tag nach der Pressekonferenz der Rundfunkkommission titelt die Tagesschau zu einem Porträt über CDU-Chef Friedrich Merz: „Der Krisenmanager“. Das ist nicht viel. Aber es ist ein Anfang.
Die Welt spekuliert, ob ARD und ZDF ihre Spartensender abschalten, um Geld zu sparen. Doch die kosten vergleichsweise wenig und erreichen relevante Einschaltquoten zwischen 2 und 5 Prozent. Wahrscheinlicher ist, dass die Sender an anderen Schrauben drehen: die Etats für freie Mitarbeiter kappen, Bauprojekte verschieben, (noch) mehr Wiederholungen zeigen, teure Filme und Serien durch günstige Beratungsshows ersetzen; in Shows Gäste auftreten lassen, die für wenig Gage spielen, wenn sie dafür ihre neuen Platten, Bücher oder Merchandising-Produkte bewerben dürfen, oder Sportarten fördern, die noch nicht so viel Geld für die Übertragungsrechte fordern, wie es im Fußball üblich ist.
Ob 2025 die Rundfunkgebühren teurer werden, ist offen. Das hängt weniger vom Sparwillen bei ARD und ZDF ab. In einem Etat von 8,5 Milliarden Euro steckt genug Masse, um Geld frei zu schaufeln. Sondern von der politischen Willfährigkeit der Sender. Tina Hassel mag offen für Habeck schwärmen. Aber Medienpolitik ist Sache der Länder. Und die werden von 14 Ministerpräsidenten der SPD oder der Union geführt – und nur von einem Grünen.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Artikels berichteten wir, die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) habe getagt. Das war falsch. Getagt hat die Rundfunkkommission der Länder.