Deutschland hat in weiten Bereichen ein Fachkräfteproblem. Richtig! Allerdings wird ein bestimmter Bereich immer ausgeblendet, in dem das Fachkräfteproblem am brisantesten und für das Land am schädlichsten ist: das Fachkräfteproblem in der gar nicht so „hohen“ Politik.
Auf den ersten Blick scheint sich nun eines dieser Fachkräfteprobleme zu lösen: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) will kommende Woche zurücktreten, so pfeifen es die Pressespatzen seit Freitagabend, 13. (!) Januar 2023, von den Dächern. Nach einer an Peinlichkeiten und Pannen beispiellosen Serie, die eigentlich für mehrere Rücktritte gereicht hätte. Wir haben auf TE regelmäßig darüber berichtet. Hier eine kleine Auswahl:
- Lambrechts Peinlichkeits-Gipfel: Krieg als „toller Eindruck“
- Lambrecht setzt Puma-Nachkauf aus
- Der F35-Einkauf wird zu Lambrechts Kommunikationsdesaster
- Lambrecht wird für die Bundeswehr und für Scholz zum ernsten Problem
- Lambrecht versprach Polen schon anderweitig verplantes Abwehrsystem
- Lambrecht fotografierte ihren Sohn selbst im Regierungshubschrauber
- Verteidigungsministerin Lambrecht startet Aktion Morgenröte
- Lambrecht will keinen Bericht mehr zur materiellen Einsatzfähigkeit der Bundeswehr
- Retrowelle im Bundestag: Christine Lambrecht führt Panzer-Dingsda auf
- Chaos im Verteidigungsministerium: Das Maß der „Null-Bock-Ministerin“ Lambrecht ist voll
- Lambrecht vs. Faeser – zwei Fehlbesetzte im Zwist
- Wie sich Christine Lambrecht herauszureden versucht
Nun also steht nach nur 58 Wochen „Ampel“-Amtszeit bereits der zweite Rücktritt einer Bundesministerin an. Vergessen wir nicht: Am 11. April 2022 war Anne Spiegel (Grüne) als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zurückgetreten. Grund war: Es stellte sich heraus, dass sie als zuständige, damalige Landesministerin von Rheinland-Pfalz bei der Flutkatastrophe vom 14./15. Juli 2021 allein mit 133 Toten an der Ahr schlichtweg, weil offenbar völlig desinteressiert daran, versagt hatte.
Nun also Lambrecht: eine völlig überforderte, wohl an Bundeswehr- und Sicherheitspolitik ziemlich desinteressierte Verteidigungsministerin. Noch am Nachmittag des gestrigen Freitags (13. Januar) hatten wir sie bei einer rund halbstündigen Pressekonferenz beobachtet. Dort hatte sie neben Generalinspekteur Zorn und zwei Vertretern der Rüstungsindustrie (Rheinmetall, Krauss-Maffei-Wegmann) wortreich, aber substanzlos und ständig hilfesuchend den Blick an den Generalinspekteur richtend das Desaster um den Schützenpanzer zu erklären versucht.
Viel Zeit für die Nachfolgeregelung hat Scholz nicht, aber er sitzt in der eigenen Quotenfalle
Nun freilich wird der vergangene Freitag, ein Dreizehnter, für Scholz zu einem echten Problem. Soeben noch hatte er Lambrecht bescheinigt, dass er gut mir ihr zusammenarbeite und sie sein Vertrauen genieße. Soeben hatte er in typisch Scholz’scher Manier die drängende Debatte um die Lieferung von „Leo-2“-Kampfpanzern an die Ukraine als „uncoole“ Debatte abgetan, da hängt dem Mann, der sich offenbar noch immer im „Wendezeiten“-Image sonnt, ein neuer personalpolitischer Mühlstein am Hals.
Interessant, ja schier amüsant ist die Debatte, die in der Nacht vom 13. auf 14. Januar über die Lambrecht-Nachfolge entbrannt ist. Wir resümieren mal ohne jede Prioritätensetzung alle acht SPD-Namen, die uns untergekommen sind:
- SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken
- Europaparlamentarierin und vormalige Justizministerin Katarina Barley
- Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius
- SPD-Co-Vorsitzender Lars Klingbeil
- Kanzleramtsminister und Scholz-Vertrauter Wolfgang Schmidt
- Verteidigungsstaatssekretärin Siemtje Möller
- Hubertus Heil (auf den als Arbeitsminister Andrea Nahles folgte)
- Wehrbeauftragte Eva Högl
Das Scholz’sche Problem ist: Das sind vier Männer und vier Frauen. Und Scholz ist entgegen dem von ihm geförderten Selbstbestimmungsgesetz (man kann ein Geschlecht jährlich wechseln!) noch stock-konservativ binär gepolt: Er will nach wie vor Männlein-Weiblein-Parität garantieren. Quote statt Qualität! Womit wir wieder beim Fachkräftemangel (siehe oben) wären.
Wie auch immer: Es ist ein Trauerspiel, das sich hier abzeichnet. Und das in einer Partei, die mit Helmut Schmidt (1969 – 1972), Georg Leber (1972 – 1978), Hans Apel (1978 – 1982), Rudolf Scharping (1998 bis zu seinen „gräflichen“ Pool-Fotos 2002) und Peter Struck (2002 – 2005) einst fünf angesehene, zumindest vorzeigbare Verteidigungsminister stellte.
Hans-Peter Bartels wäre der Richtige
Scholz muss also raus aus seiner Quotenfalle. Dann müsste seine Wahl auf einen Mann fallen, der in der 8-Namen-Liste (siehe oben) nicht vorkommt: Hans-Peter Bartels. Dieser Mann (61) war von 1998 bis 2015 Bundestagsabgeordneter der SPD sowie mehrere Jahre Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Von 2015 bis 2020 war er hochangesehener Wehrbeauftragter, bis der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich Bartels’ Ablösung und die Installation Eva Högls durchdrückte. Bartels ist der Bundeswehr und der Sicherheitspolitik auch außerparlamentarisch treu geblieben: Seit 2022 ist er Präsident der renommierten „Gesellschaft für Sicherheitspolitik“ (GSP).
Sollte Scholz Bartels nicht wollen oder gegen die SPD-Fraktion nicht durchsetzen können, muss seine Wahl eigentlich auf Wolfgang Schmidt fallen; dieser war ja spätestens seit Februar 2022 als eine Art Ausputzer Schatten-Verteidigungsminister im Kanzleramt. Dass Teile der Presse auch Lars Klingbeil mit der Begründung herbeischreiben, er sei Sohn eines vormaligen Berufs-Unteroffiziers, haken wir mal ab und ergänzen: Er hat – trotz oder wegen seines Vaters? – den Wehrdienst verweigert. Auch eine Qualifikation?
Und was wird aus Lambrecht? Bundesministerin könnte sie nur bleiben, wenn Nancy Faeser sich sofort nach Hessen als Spitzenkandidatin der SPD für die anstehende hessische Landtagswahl begäbe und Lambrecht ins Innenressort wechselte. Aber das ist unwahrscheinlich, denn Faeser will ja als Innenministerin noch so manch linkes Projekt durchziehen.
Vermutlich wird Högl die „Neue“ werden. Von ihr heißt es ja, sie habe mit ihrer Wahl zur Wehrbeauftragten tage- und nächtelang die verschiedenen Dienstgrade der Bundeswehr gepaukt. Das ist schon mal was. Lambrecht etwa wusste nach sechs Monaten Amtszeit noch nicht, was der Unterschied zwischen einem Oberleutnant und einem Oberstleutnant ist. In einem entsprechenden Interview sagte sie, es reiche, wenn man die Leute mit “Herr“ oder „Frau“ anspreche.
Also schauen wir mal, mit wem sich Deutschland am 20. Januar in Ramstein präsentiert und dann notgedrungen kundtut, dass Deutschland mit der Lieferung von eigenen „Leo-2“-Kampfanzern und „Leos“ von Verbündeten bzw. Freunden einverstanden ist.