Die am Dienstag im Kanzleramt zum Mobilitätsgipfel (vulgo „Autogipfel“) versammelte illustre Gesellschaft sollte sich nach des Kanzlers Willen den Kopf darüber zerbrechen, wie und mit welchen Mitteln und auf welchem Wege Deutschland seine Klimaziele im Verkehrssektor künftig besser erreichen kann. Denn die Verkehrswende, noch von der Regierung Merkel, nicht der Ampel, 2010 ausgerufen wurde, verläuft alles andere als geplant. Der CO2-Ausstoß im Verkehr ist trotz einer Dekade zweistelliger Milliardenbeträge des Staates in Verkaufsförderung von Elektroautos und in die E-Tank-Infrastruktur im Jahr 2022 weiter gestiegen. Der Laie wundert sich, der Fachmann fühlt sich bestätigt.
Außerdem waren die Betriebsratschefs der großen Autobauer und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann dabei. ZF-Chef Holger Klein vertrat die Zulieferer. Von der Bundesregierung nahmen neben Gastgeber Olaf Scholz, Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck, Finanzminister Christian Lindner, Umweltministerin Steffi Lemke sowie Arbeitsminister Hubertus Heil an dem Treffen teil, denn um die Beschäftigten in der Autobranche als Schlüsselindustrie ging es ja auch.
Nicht eingeladen waren Vertreter der Wissenschaft, die in der Lage gewesen wären, vergleichende Emissions-Analysen und -Bewertungen der unterschiedlichen Verkehrsträger, zum Beispiel Elektromobilität versus Verbrennermobilität, oder zwischen Strom, Wasserstoff und Öko-Sprit (eFuels) als Antriebsenergie anzustellen. Und damit objektive, nicht wünschbare politische Entscheidungsgrundlagen geliefert hätten. Auch Vertreter der Radfahrer sowie Bahn- und Busnutzer beklagten ihre Abwesenheit.
Auslöser für diesen Gipfel waren zum einen die Ergebnisse der Agora-Verkehrsstudie, wonach Deutschland trotz heftiger Sparmaßnahmen aufgrund der Energiekrise im vergangenen Jahr seine selbst gesteckten Klimaziele der CO2-Reduzierung nicht erreichen konnte. Vorläufigen Zahlen zufolge emittierte Deutschland 761 Millionen Tonnen Treibhausgas, fünf Millionen Tonnen mehr, als die selbst gesetzte Obergrenze vorsieht. Insbesondere der Öl- und Kohle-Einsatz trug zu den unverändert hohen Emissionen bei.
Aus der Agora-Studie geht hervor, dass dafür vor allem der höhere Einsatz von Kohlekraftwerken verantwortlich war, die als Ersatz zum Wegfall des Gases aus Russland genutzt wurden. Der Energieverbrauch sei zwar um fast fünf Prozent verringert worden, doch der Kohle- und Öl-Einsatz machte die daraus gewonnene Treibhausgas-Einsparung wieder zunichte.
Größtes Problemfeld ist den Angaben der Studie zufolge der Verkehr, der sein Sektorenziel um 11 Millionen Tonnen verfehlte. Nach dem Ende des Lockdowns und gesunkener Corona-Infektionen sei das Verkehrsaufkommen wieder stark gestiegen. Der Mangel an politischen Maßnahmen für eine Reduktion der Emissionen im Verkehrssektor habe ebenfalls zum Verfehlen des Ziels beigetragen. Die Industrie hat dagegen ihre Ziele durch das Einsparen von Energie und mehr Effizienz eingehalten.
Zum anderen verbreiteten die Medien das Gerücht, dass die deutschen Autohersteller Gefahr liefen, bei der in der deutschen Politik so beliebten Elektromobiliät den Anschluss an die Weltspitze zu verlieren. Zwar haben Mercedes mit dem EQS und jüngst BMW mit dem i7 bewiesen, dass sie weltweit die besten und innovativsten Elektroautos bauen können, die Wettbewerber Tesla bei weitem in den Schatten stellen. Und auf der jüngsten CES, Eldorado-Messe für elektronische Neuerungen in Los Angeles, zeigten BMW und VW atemraubende Zukunftsvisionen von futuristischen E-Autos, die zwar nie die Straße sehen werden, dafür aber eine kraftvolle Image-Demonstration waren.
Ein Tesla-Vertreter hingegen wurde erst nachträglich noch eingeladen, überhaupt nicht vertreten waren chinesische Autobauer. Die chinesischen Hersteller drängen hingegen statt nach Las Vegas mit Nachdruck und billigeren Elektroautos auf den deutschen Markt. Sie versuchen, mit preisgünstigen, elektrisch angetriebenen Kleinwagen auf dem deutschen Markt in Lücken zu stoßen, die von deutschen Herstellern bislang – aus guten Gründen – (noch) nicht besetzt wurden. Denn: Je kleiner das Auto, desto kleiner die Batterie, desto niedriger die Reichweite und – desto kleiner der Gewinn. Aber VW ist im Kommen …
Hauptziel des Mobilitätsgipfels waren also die Sorgen um Klima und Wettbewerbsfähigkeit. Die Emissionen im Verkehrsbereich sollen sinken. Aber über den richtigen Weg gibt es Streit in der Politik. Die Probleme wie der langsame Ausbau der Ladeinfrastruktur sind bekannt – nun geht es um die Frage, wie man sie lösen kann, um die Antriebswende zu beschleunigen.
Die im Vorfeld des Kanzler-Gipfels bekannt gewordenen Forderungen der Teilnehmer lesen sich unter Ökonomen wie die Wunschliste bei einem Kindergeburtstag. Offene Türen werden von allen Teilnehmern beherzt aufgestoßen.
- So pochen vor allem die Grünen, sonst immer für ein Tempolimit zu haben, generell auf mehr Tempo bei der E-Mobilität. Vor dem Spitzentreffen im Kanzleramt hat Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge zusätzlich Fortschritte bei der Sanierung von Straßen und Schienen sowie bei der Elektromobilität verlangt. „Um die Klimaziele zu erreichen, muss der Verkehrssektor nun endlich seinen gerechten Beitrag leisten“, so Dröge. Dafür brauche es mutige Schritte und klare Prioritäten. Dröge forderte Planungsbeschleunigung bei der Brücken-Sanierung und dem Ausbau der Schieneninfrastruktur sowie mehr Tempo beim Ausbau der Ladesäulen-Infrastruktur für E-Autos.
- IG-Metall-Chef Jörg Hofmann fordert mehr Tempo beim Ausbau der E-Ladesäulen. „Deutschland muss mit Hochdruck die Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Hochlauf der Elektro-Mobilität schaffen“, sagte Hofmann der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ (Dienstag). „Hier gilt es vor allem, die Ladeinfrastruktur schneller auszubauen, Rohstoffversorgung und Wertschöpfung zu sichern und ausreichend Batteriezell-Fertigung in Deutschland und Europa anzusiedeln“, sagte Hofmann. So einfach ist das.
- Die Kommunalwirtschaft mahnt den Ausbau des Elektroauto-Ladenetzes insbesondere auf dem Land an. „Gerade der Ausbau der Ladeinfrastruktur in dünn besiedelten Gebieten ist Voraussetzung für den Durchbruch der Elektromobilität und von zentraler Bedeutung für die Verkehrswende“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), Ingbert Liebing.
- Berichte, wonach Autobauer selbst den Ausbau der Ladeinfrastruktur vorantreiben, begrüßte Liebing. „Für ein engmaschiges Ladenetzwerk brauchen wir die Zusammenarbeit aller Beteiligten und vor allem in dünn besiedelten Gebieten noch erhebliche Investitionen.“ Bisher seien es überwiegend die Stadtwerke und kommunalen Unternehmen gewesen, die in diesen Gebieten Engagement gezeigt hätten.
Mercedes und der geplante Aufbau eines eigenen, milliardenschweren E-Tankstellennetzes fest im Blick, mahnte Liebing, eine schnelle und erfolgreiche Verkehrswende könne nicht ausschließlich auf Rosinen-Pickerei aufgebaut werden, also der Errichtung profitabler Schnellladesäulen entlang von Autobahnen. Nach VKU-Angaben sind mehr als die Hälfte aller Ladesäulen in Deutschland in kommunaler Hand. - Über den Klimaschutz im Verkehrsbereich gibt es in der Bundesregierung ohnehin Differenzen zwischen Grünen und FDP. Streit gibt es darüber, ob beim schnelleren Ausbau der Infrastruktur die Straße oder die Schiene bevorzugt werden soll. Das verzögert auch das geplante Klimaschutzsofortprogramm, das nächste Schritte zur Erreichung der deutschen Klimaziele aufzeigen soll.
Angesichts dieses Wunschzettels blieben die Ergebnisse des Kanzlergipfels kläglich. Es blieb beim Meinungsaustausch, dem Verweis auf Nachfolgegipfel und der Zusage der Politik, bei dem angestrebten Ziel von 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen zu bleiben.
2022 war ein „sattes“ Jahr für Elektroautos (BEV + PHEV). Im Gesamtjahr 2022 wurden insgesamt 470.600 reine Elektro-Pkw (BEV) zugelassen, 32 Prozent mehr als im Vorjahr sowie 362.100 Plug-In-Hybride (PHEV) mit einem Zuwachs von 11 Prozent gegenüber 2021. Alles in allem erreichten Elektroautos 2022 an den Gesamtzulassungen einen Anteil von fast einem Drittel (31,4 vH) – für die deutsche E-Auto Förder-Politik ein stolzes Ergebnis.
Für Klimarettung durch Ersatz von Verbrenner durch Elektroautos aber genau das Gegenteil. Der Anteil von Elektroautos ist zwar 2022 gestiegen, die CO2-Emissionen sind aber nicht zurückgegangen – im Gegenteil. Sie haben im Verkehrssektor zugenommen, eben weil Benzin- und Diesel-Pkw durch Elektroautos ersetzt wurden. Und diese Elektroautos nachweislich und von der Wissenschaft vielfach belegt alle mit „schmutzigem“ Kohlestrombetrieben werden mussten, weil grüner Strom fehlt. Zwar wurde 2022 die Hälfte des deutschen Stromverbrauchs aus „grünen“ Quellen gedeckt, ersetzen konnte Klimaminister Robert Habeck dadurch notdürftig aber lediglich den Ausfall von Erdöl und Erdgas aus Russland.
Und an dieser fatalen deutschen Klimasituation wird sich in den nächsten zehn Jahren ff. auch nichts ändern. Der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen aus Wind und Sonne reicht nicht aus, um schmutzigen Kohlestrom nachhaltig abzulösen. Bei einer Elektrifizierung der gesamten deutschen Pkw-Flotte nimmt der Stromverbrauch um rund ein Drittel zu, so die Berechnung von Experten. Und aus AKWs darf er ja bekanntlich nicht kommen!
Das heißt im Klartext: Je mehr Elektroautos, desto höher die deutschen CO2-Emissionen, desto schlechter die Klimabilanz!
Die eigentlichen „Klimaterroristen“ – um auf das „Unwort des Jahres“ zu sprechen zu kommen, das am Vortag bekannt gegeben wurde – kleben also nicht auf der Straße oder sitzen vor Schulgebäuden, sondern sitzen in deutschen ministeriellen Amtsstuben und forcieren eine Mobilität, die umweltschädlicher ist, als das, was sie außer Verkehr bringen wollen. Vielleicht war diese Erkenntnis der Grund, weshalb Kanzler Olaf Scholz und seine grünen Koalitionäre den Gipfel ergebnislos zu Ende gehen ließen. Und über neue Verkaufs-Fördermaßnahmen für Elektroautos gar nicht erst gesprochen wurde.
Vielleicht hatten sie im politischen Hinterkopf die Ergebnisse der jüngsten Verbraucherumfrage der Unternehmensberatung Deloitte, wonach die Kunden gegenüber einem Umstieg auf E-Autos wegen hoher und steigenden Kosten und fehlender Infrastruktur weiterhin sehr skeptisch sind. Bemängelt wird neben einer fehlenden öffentlichen Ladeinfrastruktur und der Ladezeit vor allem die nicht vorhandenen Lademöglichkeit im eigenen Zuhause; zwei Drittel der in Deutschland Befragten würden ihr E-Auto am häufigsten zu Hause laden. Dieser Wunsch ist laut Deloitte im Vergleich zum Vorjahr erheblich (70 Prozent) gestiegen, obwohl diese Lademöglichkeiten gerade in dicht besiedelten Städten fehlten.