Berlin ist im Wahlkampf. Die ersten Plakate hängen schon. Sie sind auf ihre Weise ein Mahnmal für das Scheitern der deutschen Bundeshauptstadt. Denn diese Wahl findet knapp anderthalb Jahre nach der letzten statt. Das ist nötig, weil die Berliner Politik und Stadtverwaltung versagt haben. Sie waren nicht in der Lage, eine Wahl durchzuführen: Obwohl das von Anfang an klar war, mussten Gerichte und ein Medium wie TE die Verantwortlichen zur Wiederholung zwingen.
Als Strategie hat sich Giffey für Ehrlichkeit entschieden. Das ist aus zwei Gründen problematisch: Zum einen hat die ehemalige Bundesministerin ein Problem mit ihrem Markenkern. Nach dem Vorwurf, sie habe abgeschrieben, verlor sie ihren Doktortitel und musste als Ministerin zurücktreten. Zum anderen redet Giffey klug über das Thema. Wie eine unbeteiligte Expertin. Doch Maischberger erinnert sie immer wieder an den Punkt, dass die Bürgermeisterin für Berlin verantwortlich ist. Handelnde sein muss und nicht nur Redende.
Zumal Giffey Bezirksbürgermeisterin in Neukölln war. Jenem Stadtteil, der nach der Silvesternacht besonders im Fokus steht. Dort hat es die härtesten Angriffe auf Polizisten, Feuerwehrmänner und Rettungskräfte gegeben. Der Stadtteil lag bis 1989 an der Mauer und hat in der Konsequenz noch heute einen hohen Migrationsanteil. Auch wenn sich vom Westen aus, vom Tempelhofer Feld her, die Wohlhabenden den Stadtteil allmählich erobern.
Giffey sagt viel Richtiges über das Leben in Nord-Neukölln: Die Menschen würden sich nicht an demokratischen Prozessen beteiligen – oder an gesellschaftlichen Diskussionen. Auch beschreibt Giffey die Neuköllner Eltern als Problem: „Wo niemand was vorliest. Wo es kein geregeltes Essen gibt. Acht Leute auf drei Zimmer leben.“ In diesem Milieu fehle es an Respekt vor dem Staat.
Maischberger liefert eine erfreulich harte Sendung zu dem Thema ab. In einem Einspieler ist zum Beispiel Baris Coban zu sehen. Der Feuerwehrmann schildert die Silvesternacht aus seiner Perspektive und räumt ein: Die Täter hätten Biografien „größtenteils mit Migrationshintergrund“. Mit seinen Aussagen war Coban schon in den Tagesthemen zu sehen. Die hatte die Passage zum Migrationshintergrund allerdings zensiert. Maischberger zeigt sie ungeschnitten.
Weitere eingeblendete Zitate von Experten zeigen auf, wie Giffey und die SPD in Berlin auf ganzer Linie versagt haben: Die Strafverfahren schleppen sich hin, die Aufklärungsquote ist niedrig. Das erwecke bei den Tätern das Gefühl, dass sie unbestraft davonkämen und motiviere sie zu weiteren Taten. In Heilbronn ist der erste Täter der Silvesternacht bereits verurteilt. Giffey brüstet sich bei Maischberger: „25 Ermittlungsverfahren wurden bereits übermittelt.“ Auf diese Bilanz ist die Berliner Bürgermeisterin stolz.
Alleine wird Berlin auch das nächste Silvester nicht in den Griff bekommen, gibt Giffey bei Maischberger zu. Zwar dürfe die Stadt das Knallen selbst verbieten: Ein solches Verbot lasse sich aber von der Polizei nicht durchsetzen. Das räumt die oberste Verwaltungschefin bei Maischberger ausdrücklich ein. Deswegen hofft Berlin nun – wie schon bei seinen Finanzen – auf die anderen Bundesländer. Die müssten ein Böllerverbot mittragen, sodass keine Raketen und Knaller mehr verkauft werden könnten. Denn gäbe es in anderen Bundesländern weiter Böller, würden sich ihre Bewohner halt dort eindecken. Nur: Ob Giffey in einer solchen Regelung auch das nahe gelegene Polen mit ins Boot holen will, sagt sie nicht.
Angesichts der verheerenden Bilanz fragt Maischberger ihren Gast, ob sie die Silvesternacht als „persönliche Niederlage“ erlebe. Nein. Warum nicht? Würde sie eine persönliche Niederlage eingestehen, argumentiert Giffey, würde das all die erfolgreichen Projekte in Neukölln und anderen Problemvierteln diskreditieren. Die Bürgermeisterin, deren Strategie die Ehrlichkeit ist, will also Fehler nicht eingestehen, um die Gefühle der Neuköllner zu schonen. Die werden es ihr danken. Mit einem gewalttätigen Feuerwerk. Spätestens in 353 Tagen.