Nun schickt Deutschland nach der Lieferung von Panzerhaubitzen 2000, Flugabwehrpanzern Gepard und Mehrfachraketenwerfer Mars II also doch „richtige“ Panzer in die Ukraine, und zwar 40 Schützenpanzer des Typs Marder. Lange hatte es geheißen, man wolle keine Kampf- oder Schützenpanzer an die Ukraine abgeben. Ganz spontan und freiwillig war diese am 4. Januar verkündete und am 5. Januar in einer Pressekonferenz mit der Zahl 40 präzisierte Entscheidung der Bundesregierung wohl nicht. Sie war unter Zugzwang geraten, als die USA eine gleiche Zahl an Bradley-Schützenpanzern und Frankreich die Lieferung von Radpanzern angekündigt hatten.
Marder-Lieferung wenig durchdacht
Man muss bei der Entscheidung der Lieferung von 40 Mardern von vielerlei absehen. Zum Beispiel, dass der „Marder“ in die Jahrzehnte gekommen ist, schließlich wurde er in den 1970er Jahren in die Bundeswehr eingeführt. Man muss davon absehen, dass Kanzler Scholz (SPD) mit dieser Entscheidung die Bundeswehr in die Bredouille bringt. Wichtige Detailfragen wurden offenbar nicht vorab mit den Militärs abgestimmt. Denn weniger als die Hälfte der Marder ist einsatzbereit.
Die militärische Führung im Verteidigungsministerium war von Scholz’ Ankündigung jedenfalls überrascht. Selbst am 6. Januar war den Fachleuten im Bendler-Block nicht klar, wie viele Marder geliefert werden, ob sie aus Industrie- oder Bundeswehr-Beständen kommen und bis wann all das erfolgen soll. Die Bundeswehr hat auf dem Papier 350 Marder insgesamt. Doch laut Insidern sind allenfalls 140 bis 150 davon einsatzbereit. Was die Marder angeht, läuft es am Ende womöglich auf ein Tauschgeschäft mit der Industrie hinaus: Von ursprünglich 100 Alt-Fahrzeugen, die Rheinmetall schon 2022 für die Ukraine angeboten hatte, sind 40 Griechenland versprochen. Sie „waren“ versprochen; wie sich am 10. Januar herausstellte, hat Griechenland auf diese Lieferung verzichtet.
Wie viele von den 100 Mardern wirklich einsatzbereit sind, ist dennoch unklar. Es heißt, viele davon seien erst im Sommer oder im Herbst 2023 zur Verfügung. Das wiederum heißt, dass 40 Marder nun rasch aus Bundeswehr-Beständen an die Ukraine gehen und dann im Laufe des Jahres von der Industrie ersetzt werden müssten. Vor allem hat die angekündigte Lieferung zumal nach dem Desaster mit den hochmodernen Puma-Schützenpanzern massive Folgen für den Betrieb der Bundeswehr. Immerhin muss die Bundeswehr ihren Job als „Speerspitze“ der Schnellen Eingreiftruppe der Nato-VJTV-Truppe (Very High Readiness Joint Task Force) hauptsächlich mit dem Marder bestreiten.
Lieferung von Mardern ohne Lieferung von „Leos“ halbherzig
Sieht man davon ab und geht davon aus, dass sich das Puma-Problem mit Hilfe der Industrie rasch lösen lässt, so bleibt die Entscheidung, 40 Stück Marder zu liefern, eine halbherzige. Denn der Einsatz von Schützenpanzern hat nur dann Sinn, wenn er von Kampfpanzern flankiert wird. Alles andere wäre eine leichtfertige Gefährdung der Infanteristen in den Schützenpanzern, die ja nur mit einer 20-mm-Kanone und Panzerabwehrwaffen bestückt sind. Insofern führt kaum ein Weg daran vorbei, der Ukraine auch Kampfpanzer zu liefern. Das sagt zum Beispiel auch Generalleutnant a.D. Bruno Kasdorf, vormaliger Generalinspekteur des Heeres: Der Marder würde sein volles Potenzial nur in Kombination mit Kampfpanzern entfalten können.
Insofern kann die logische Konsequenz nur sein: Die Ukraine braucht den „Leo“. Nur mit ihm ist sie in der Lage, besetzte Gebiete zurückzuerobern und Russland an den Verhandlungstisch zu zwingen. Die britische Regierung jedenfalls erwägt bereits die Lieferung eines Dutzends ihres modernen Kampfpanzers vom Typ Challenger 2. Dieser Kampfpanzer ist ihm nicht ebenbürtig, aber in etwa mit dem Leopard 2 vergleichbar. Die USA scheinen sich noch nicht entschieden zu haben, ob sie ihren modernen Kampfpanzer M1 Abrams zur Verfügung stellen.
Frankreich macht sich in Sachen Kampfpanzer derweil einen schlanken Fuß. Der Wunsch der Ukraine nach Lieferung des französischen Kampfpanzers Leclerc wird abgewimmelt mit dem Argument, der Leclerc werde nicht mehr gebaut und es mangle an Ersatzeilen. Pierre Haroche von der „l’Académie militaire“ sieht das allerdings anders. Er hatte bereits im September in einem Meinungsbeitrag für die Lieferung von rund 50 Leclerc-Panzern plädiert und geschrieben: „Es gibt nicht viele Szenarien, in denen Frankreich diese Panzer einsetzen kann, man braucht sie weder im Sahel noch im Nahen Osten. Sie sind gemacht für die Verteidigung zu Land in Europa.“ Aber wenn man sie den Ukrainern überlasse, so lerne man viel über ihre Einsatzfähigkeit in einem Krieg hoher Intensität. Man könnte den Panzer sogar verbessern, sagt Haroche. Zwar hat Frankreich die Herstellung des Leclerc eingestellt, um ihn durch das für 2040 vorgesehene deutsch-französische Modell zu ersetzen. Bis es so weit sei, könnte die Herstellung und Lieferung für die französische Rüstungsindustrie interessant werden, meinte Haroche.
Also richten sich aller Augen auf den „Leo“. Zunächst auf den Leopard 2, vom dem es heißt, er sei einer der modernsten Kampfpanzer der Welt. Nicht nur die Ukraine wünscht den „Leo 2“, sondern auch Polen, Spanien und Frankreich empfehlen die Lieferung von „Leos“. Letztere mit der Begründung: Der „Leo“ sei in mehreren Nato-Ländern verfügbar und im Verein könne man das schultern, auch hinsichtlich der Ersatzteile und der Munition. Die Lieferung von spanischen „Leos“ übrigens war bis zuletzt am Widerspruch der Bundesregierung gescheitert.
Leo 1 oder Leo 2?
Deutschland steht jedenfalls im Fokus: Wird die Bundesregierung den logischen Schritt tun und „Leos“ liefern bzw. als Herstellerland anderen Nato-Partnern die Lieferung von „Leos“ an die Ukraine gestatten? Es wird dies eine Probe auf’s Exempel: Wie sehr ist Deutschland bündnistreu? Fraglich indes ist, welcher „Leo“ geliefert werden soll. Vom modernen Leopard 2 (62t, 1.500 PS, 120-mm-Kanone mit Reichweite 6.000 m) hat die Bundeswehr noch rund 320 Exemplare. (In Zeiten des Kalten Krieges gab es bei der Bundeswehr 2.400 Leos). Diese 320 Stück werden sehr wohl für die eigene Verteidigung gebraucht. Zumal vermutlich nur die Hälfe davon auf der Stelle einsatzfähig ist.
Eine Alternative wäre es, den ausgemusterten Leopard 1 (42t, 830 PS, 105-mm-Kanone mit 1.800 m Reichweite) zu liefern. Bei der Industrie warten nach Angaben des FDP-Verteidigungspolitikers Marcus Faber seit März 2022 180 Exemplare dieses Typs auf die Exportgenehmigung. Seiner Einschätzung nach könnten erste Exemplare davon innerhalb einiger Wochen geliefert werden. Zwar stammt der Panzer aus den 1960er Jahren und wäre im Duell mit russischen Panzern wohl unterlegen. Doch zur Infanterieunterstützung oder im Kampf gegen russische Schützenpanzer wäre der Leopard 1 eine willkommene Hilfe für die Ukrainer.
Derweil drängen auch andere Politiker der „Ampel“ auf die Lieferung von „Leos“. Die CDU/CSU ohnehin. „Wir sollten liefern, was möglich ist. Dazu gehören auch Leopard-Panzer“, sagte Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt. FDP-Vize Wolfgang Kubicki meinte, es könne „vernünftig sein, nicht nur Marder-, sondern auch Leopard-Panzer zu liefern“. „Die europäischen Partner warten darauf, dass Deutschland auch bereit ist, einige Kampfpanzer ‚Leopard‘ zu verlegen“, sagte auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). SPD-Chef Lars Klingbeil sagte dem Sender ntv derweil: „Kein Land liefert gerade so schwere Kampfpanzer, wie das der Leopard 1 oder 2 ist.“ Eine spätere Lieferung von Leopard-Panzern wollte Klingbeil laut ntv aber nicht ausschließen. Da hatte Klingbeil wohl noch nicht registriert, dass die Briten ihren Challenger-Kampfpanzer liefern möchten.
Alles in allem stellt sich die Frage: Warum dauert es über 300 Tage, bis diese Debatten geführt und entsprechende Entscheidungen getroffen werden? Es hätte sich der Tod von Tausenden Gefallenen vermeiden lassen – auf beiden Seiten.
dts meldet: Der Präsident des Reservistenverbandes der Bundeswehr, Patrick Sensburg, sprach sich auch für die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine aus. Die Unterstützung mit Kampfpanzern sei der „nächste logische Schritt“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.
„Seine Wendigkeit, trotz der Panzerung und der Bewaffnung, machen ihn zum idealen Waffensystem für den Kampf der Ukrainer.“ Sensburg: „Die Ukrainer können den Marder auch im Verbund mit Kampfpanzern anderer Nationen einsetzen. Im Verbund entfaltet er seine größte Wirksamkeit – idealerweise natürlich mit dem Kampfpanzer Leopard.“