Tichys Einblick
Neuer Moderator, alte Redaktion

Hart aber Fair: Passt sich die Sendung an oder der Moderator?

Hart aber Fair, zum ersten Mal ohne Frank Plasberg, der sich in den Ruhestand geredet hat – 21 Jahre lang moderierte er die Talkshow. Nachfolger ist Louis Klamroth: jünger, legereres Auftreten. Er passt zur Sendung wie ein Schuh frisch aus der Schachtel: Er ist noch nicht eingelaufen. Wie auch? – Es ist nicht seine Sendung. Sie erträgt ihn nur.

Screenprint ARD / Hart aber Fair

Klamroths Moderation, das war wie ein Paar Schuhe, die man über viele Arbeitstage eingelaufen hat. Man war mit den Schuhen vielleicht nicht immer glücklich, aber zufrieden. Und nun ist die Sohle dahin, der Schuh nicht mehr zu retten, also kauft man sich ein neues Paar Schuhe, das so ähnlich scheint. Bloß nicht politisch kontrovers, bisserl seicht, gut vernetzt. Aber wenn man dann die Schuhe trägt, fällt einem in der dritten Stunde der Schicht auf: Die zwicken hier, die drücken da.

Vielleicht, vielleicht müssen die Schuhe nur eingelaufen werden und alles wird gut. Vielleicht läuft man sich blutige Blasen, bis sich nicht der Schuh dem Träger, sondern der Fuß dem Schuh angepasst hat. Man weiß noch nicht, wie es wird: Aber die Furcht vor dem nächsten Schichtanfang im neuen Schuh, die wächst.

Der Neue muss seine eigene Sendung machen

Um das Bild der Schuhe noch gnadenlos überzustrapazieren: Klamroth, das ist der Schuh. Die Sendung Hart aber Fair, das ist der Träger. Natürlich kann eine Sendung, die 21 Jahre lang von einem Anderen geführt wurde, nicht ohne Weiteres von einem Neuen übernommen werden. Die Sendung ist für Plasberg gemacht und die Sendung hat Plasberg gemacht: Sie haben einander unerbittlich, bis zum Sohlendurchbruch, abgelatscht.

Der WDR hätte dem Nachfolger erlauben sollen, das Ganze von Anfang an anders zu machen. Man kann nur hoffen, dass der neue Moderator schon bald seine eigenen Akzente setzen kann, denn in dieser Sendung wirkte Klamroth verloren in seiner Rolle oder auch: gefangen in der Rolle Plasberg, und die kann er nicht. Mal steht er bei „Brigitte“, Plasbergs Frau für Einspieler und Bürgerbefragungen, am Pult und rief Fragen zu den Gästen rüber. Dann bei den Gästen, schafft es aber partout nicht, dass sich eine Diskussion entwickelt: Es bleibt lange ein Frage-Antwort-Spiel, das Klamroth mit fünf Leuten gleichzeitig versucht. Dann entwickelt sich der Ansatz einer Diskussion, aber Klamroth würgt sie ab, denn an dieser Stelle hätte Plasberg einen Einspieler gesetzt und so muss er das jetzt auch machen. Was beim Einen funktioniert, funktioniert beim Anderen nicht.

Sogar der Titel ist Plasberg pur: „Das Land wird ärmer: Wer zahlt die Krisenrechnung 2023?“. Die Antwort ist einfach: Die armen Tölpel, die in diesem Land noch arbeiten. Sendung fertig, wir können nach Hause gehen!

Plasbergs Gäste, nicht Klamroths

Die Gäste sind das nächste Problem. Sie sind das Plasberg-Standardrepertoire. Ein Hansel von der SPD – diesmal Lars Klingbeil, Bundesvorsitzender. Er fordert mehr Steuern und findet, dass eine Mehrwertsteuersenkung ganz schlimm wäre, weil sie zwar die Armen entlastet, aber die Reichen auch. Überhaupt sollte man „den Reichen“ mehr wegnehmen, findet er. Zum Beispiel über eine „einmalige“ Vermögensabgabe. Weil der Staat dringend mehr Geld braucht, um den Armen vom Geld wieder etwas zurückzugeben, das man ihnen über Steuern auf Brot, Gas, Kaffee, Lohnarbeit weggenommen hat. Schlimm findet er auch, dass die Entlastungen in der Krise (der Wumms, der Doppelwumms und die vielen Miniwummse, die man schon wieder vergessen hat) so unübersichtlich sind. Er hat auch keinen Überblick mehr, wer wie wo entlastet wird. Aber das geht halt nicht anders, denn die Welt ist so schrecklich kompliziert.

Man kennt den Text, der Phrasendrescher selbst ist nicht so wichtig.

Ein Hansel von der CDU darf nicht fehlen. Jens Spahn, immerhin stellvertretender Fraktionsvorsitzender der größten Oppositionspartei, ist es dieses Mal. Auch wenn er sich erst in der zweiten Sendehälfte an den „Oppositions“-Teil erinnert. Er findet auch Mehrwertsteuersenkungen problematisch, weil ja die „Besserverdiener“ davon auch profitieren. Aber leider kann man in diesem ineffizienten Staat mit Erleichterungen nur alle treffen oder niemanden. Aber eine Priorität ist das Steuersenken für ihn nicht, solange nur keine Steuern steigen. Er kritisiert, dass der Staat zu viel Geld ausgibt, mit Rekordsteuereinnahmen nicht klarkommt und die Steuern noch erhöhen will. Dass immer mehr Beamte immer weniger schaffen.

Es wäre halt glaubhafter, wenn die CDU nicht immer Verzicht predigen und die Steuern dann doch erhöhen würde. Zumindest für eine Regierung, die in Windeseile Schmarren beschließen und dann korrigieren muss, hat er Verständniss. „Darin habe ich Erfahrung“, sagt er – also auf das Korrigieren bezogen. Das mit dem Schmarren kommt von einem frechen Journalisten. Aber es ist immerhin eine exklusiv Spahnsche Perspektive, die einem ein anderer CDU-Politiker nicht hätte bieten können.

Apropos Journalisten, die werden auch immer gern genommen, natürlich auch immer dieselben. Dieses Mal kommt Melanie Amann aus dem Fundus, Leiterin des Hauptstadtbüros des Spiegel. Der Spiegel, das ist so ein Hamburger Magazin, das es mit der Recherche nicht immer so ernst nimmt. Überraschenderweise ist sie die regierungskritischste in der Runde. Sie findet Mehrwertsteuersenkungen – natürlich nur befristet – gut. Da ist sie wohl pragmatisch. Sie wirft der Regierung sogar vor, dass das Land nur so gut durch die Krise kommt wegen „dem milden Winter“.

Die Hilfspakete kommen nicht bei den Bürgern an, weil es in Berlin zum Beispiel 16 Wochen dauert, um über einen Antrag für das erweiterte Wohngeld zu entscheiden. Aber für die wirklich harten Bandagen reicht es dann doch nicht. Klingbeils Forderung nach höheren Steuern findet sie richtig, aber wegen der FDP nicht umsetzbar. Gut, die FDP hat schon die „Abschöpfung“ der „Übergewinne“ der Energiekonzerne mitgemacht und die Neubewertung von Grundstücken für die Erbschaftsteuer einfach durchgehen lassen. Aber gilt das Elternhaus, das nach deren Tod wegen der erhöhten Steuern an Fremde verkloppt werden muss, schon unter Freunden hoher Steuern? Keine Sentimentalitäten, es muss weg, danke FDP.

Lob an die Regierung: Sie haben einen Installateur gefunden

Aber wie alle anderen in der Runde findet Amann auch toll, dass die Regierung so schnell ein LNG-Terminal bauen konnte. Also das Terminal ist zwar kein Terminal, sondern ein Schiff, aber die Regierung hat es tatsächlich geschafft, zu diesem Schiff (das aus Spanien kam) Rohre hin zu verlegen. „Hätte man gar nicht erwartet, dass das möglich ist“, meint Jens Spahn und fordert dieselbe Geschwindigkeit bei anderen Großprojekten.

Nur war’s halt nicht so groß, dieses Großprojekt, insofern ist die Geschwindigkeit wohl wie gewohnt, aber im Größenwahn der Planer gerät Kleines riesig. Vielleicht kann man es so auch in Zukunft versuchen? Statt Mega-Kanzleramt eine Kanzleramtsminihütte, die ist dann unter großem Applaus schon 2045 fertig und kostet nur 10 statt 777 Millionen.

Weitere Gäste nach Stanzschablonen

Zu den oben genannten kommen noch zwei Gäste nach Schablonen A.1 und B.3.

Schablone A.1: „Vorgeblich regierungsferner Experte, der die Regierung bis aufs Messer unterstützt“ (Die Werkzeuge „Letzte Patrone“, „Blut“, und „Selbstverleugnung“ sind Schablonen A.2, A.3 und A.4).

Diese Rolle fiel Monika Schnitzer zu. Sie ist Vorsitzende des „Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“, vulgo „Wirtschaftsweisin“ [sic Klamroth]. Sie sagt von sich, „neutral“ zu sein, weil sie vom Bundespräsidenten auf Empfehlung der Regierung hin ernannt wurde. Deshalb verteidigt sie jede Aussage Klingbeils, hasst Steuersenkungen und fordert einen Energiesoli (das bringt 10 Milliarden Euro, „das können deutsche Unternehmen verkraften“). Dieser Energiesoli funktioniert, indem er den bestehenden Solidaritätszuschlag, den manche „Überreiche“ zahlen müssen, verdoppelt.

„Überreich“, das ist SPD-Jargon für „erfolgreicher Unternehmer“ und „Solidaritätszuschlag“, das ist die Steuer, die 1991 befristet auf ein Jahr eingeführt wurde und bis heute erhoben wird. Aber der „Energiesoli“, der soll nur ein Jahr gelten! Versprochen! Oder bis die Reichsmarine mit den Royal Navy mithalten kann – ach nein, das war ja die Schaumweinsteuer, die nicht nur der Übergewinnler, sondern auch der Normalverbraucher heute noch bezahlt, wenn er an Silvester eine Flasche knallen lässt.

Entlastungen für Gutverdiener (Gehaltsklasse unbekannt, aber ab 3.500 Euro Brutto verdient man überdurchschnittlich) findet Schnitzer überhaupt des Teufels, weil „ich brauch es nicht“. Nun Frau Schnitzer, Sie haben ja schon einen gut bezahlten Job, Professur und Pensionsaussichten. Andere müssen diese später mal bezahlen, sollen privat fürs Alter vorsorgen und wollen vielleicht einen bescheidenen Wohlstandsbauch ansetzen. Und überhaupt – um persönliche Empfindungen zu verallgemeinern, dazu braucht man unbedingt eine Wirtschaftsweise. Aber diese Bürger kann man ja fröhlich weiterbelasten, alles kein Problem.

Schablone B.3, das ist „einer aus dem echten Leben“, Variante „Malocher“. In diesem Fall der„Metallarbeiter und Familienvater“ Engin Kelik. Natürlich kann man da nicht irgendeinen nehmen, es müssen schon Mediengrundkenntnisse vorhanden sein. Heißt, die Medien müssen ihn kennen und als Role-Model bestätigt haben. Vorherige Medienauftritte Keliks waren bei „WDR aktuell“ zum Thema „Wie soll ich meine Gasrechnung bezahlen“ und bei BILD „So feiert Deutschland dieses Jahr Sparnachten“. Tatsächlich mal ein Einblick in eine Welt, die den anderen in der Runde eher fremd ist. Einschränkungen im Speiseplan, „nicht immer worauf man Lust hat“ und nur Kleinigkeiten als Weihnachtsgeschenk für die Kinder.

Anders ausgedrückt: Die Errungenschaft der Nachkriegsmoderne ist es, dass exotische Speisen und Geschenke für die Kinder kein Luxus, sondern höchstens eine kleine Extravaganz sind. Mit einem Einkommen von 2.300 Euro netto (Eigenaussage) ist Kelik kein Geringverdiener. Er kommt auf geschätzt 3.000 Euro brutto. Wenn auch er aufpassen muss, welche Nahrungsmittel noch auf den Tisch kommen können, ist das ein Staatsversagen erster Güte. Das Problem ist: An Kelik ist die Runde nicht wirklich interessiert. Sondern an der gefühligen Frage, „Wie geht es ihnen dabei, wenn?“. In diesem Fall wenn „…Ihre Kinder merken, dass sie sparen müssen“ und „…Sie den Kindern den Weihnachtswunsch nicht erfüllen können“. Diese Frage zu beantworten, ist seine Rolle und sonst nicht viel.

Vielleicht ist es zu viel erwartet, aber ein „normaler Bürger“, der eingeladen wird und den Phrasendompteuren der Runde mal auf den Schlips tritt, das wäre eine Show. Kelik zeigt sich auf Social Media gerne mal mit Marx und anderer kommunistischer Folklore. Ein bisschen Revolution hätte zumindest etwas Schwung in die blasse Umverteilungsrethorik von Klingbeil gebracht. Aber so viel Aufregung von einem Unbekannten, das hätte Plasberg nicht gewollt, daher hat das die Redaktion auch zu verhindern gewusst in der Gästeauswahl.

Fazit: Hart aber Fair muss sich erneuern. Mit Louis Klamroth ist zumindest eine Generationenerneuerung in der Moderation geschafft. Er ist politisch passend und brav vorgeprägt, Überraschungen sind nicht zu befürchten.  Der WDR ist nicht für seinen Mut zur Kontroverse bekannt – sogar im Vergleich zu anderen öffentlich-rechtlichen Sendern.

Dazu kommt, dass Klamroth erst vor kurzem seine Beziehung mit Luisa Neubauer öffentlich machte. Nun soll ein jeder lieben, wen er will: Aber es ist mal wieder ein Anzeichen für das politsche Biotop, in dem sich der Sender bewegt. Vielleicht könnte Klamroth nun überraschen und mit neuer Redaktion für frische Angriffslust sorgen. So könnte die Sendung dann überraschen, herausfordern. Wenn nicht, wird Klamroth ganz schnell ein alter, ausgelatschter Schuh, der doch nicht so perfekt passt wie das gute, alte Original.

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