Tichys Einblick
Die Plapperregierung

Olaf Scholz‘ Minister reden sich um Kopf und Kragen

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist alles andere als ein Einzelfall. Viele von Olaf Scholz' Minister reden sich gerne selbst in Probleme. Allen voran sein Gesundheitsminister Karl "Killervariante" Lauterbach (alle SPD).

IMAGO/ Collage: TE

Karl Lauterbachs (SPD) Pressesprecher erlebte im neuen Jahr eine gute und eine schlechte Nachricht. Sein Chef hatte sich mal wieder um Kopf und Kragen getwittert, sodass dem Pressesprecher ein Kriseneinsatz drohte. Doch die gute Nachricht war, dass auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) einen medialen Bock geschossen hatte. Weit größer, weit lustiger – sodass sich Lauterbachs Pressemann wieder dem Feiertagsprogramm widmen konnte, denn der Patzer seines Chefs ging unter.

Dabei ist Lauterbachs Versprecher ernster zu nehmen. Christine Lambrecht hat zwar ein Video gedreht, das auf vielen Ebenen einen schlechten Eindruck hinterlässt: eine zerzauselte Frau, die unbeholfen gegen den Berliner Silvester-Bürgerkrieg anbrüllte. Verstehen konnte man sie nicht. Anfangs. Als es doch ging, wurde es nicht besser. Lambrecht feierte den Ukraine-Krieg als interessante Erfahrung für sich selbst, dem sie viele nette Kontakte verdankt. Eine alleinerziehende Sozialdemokratin, die ein bisschen Leid und Tod zur Selbsterbauung braucht – zwischen zwei Flügen mit dem Sohn im Bundeswehr-Hubschrauber. Für die Ministerin eine Katastrophe in der Außendarstellung. Fürs Land aber eigentlich harm- weil folgenlos.

Karl Lauterbach schrieb zum neuen Jahr einen Tweet, den er löschen musste. Der hatte es in sich: Wenn jemand wie in Berlin Polizisten und Rettungskräfte mit Böllern beschießt, „sollte (das) ein Grund zur Kündigung der Wohnung sein“. Das lässt sich als Unwissenheit eines Ministers lesen, der sich in allem als hoch kompetent wähnt, aber nicht weiß, dass der Staat nicht über die Vergabe von Wohnungen entscheidet. Oder man nimmt es ernst.

Das öffentliche Problem im Umgang mit Karl Lauterbach ist, dass den Erfinder der „absoluten Killervariante“ keiner mehr so richtig ernst nimmt. Zu oft schon hat er das Eine behauptet, dann das Gegenteil davon – und das alles oft genug im gleichen Satz. Doch Lauterbach nicht ernst zu nehmen, ist ein Fehler. Einer, den die deutsche Linke bei Helmut Kohl (CDU) begangen hat. Vier Jahre und darüber hinaus haben sie ihn als hilflose Witzfigur abgestempelt – und dafür mit 16 Jahren in der Opposition bezahlt.

Karl Lauterbachs Unzulänglichkeiten sind für alle offensichtlich. Dennoch muss man ihn ernst nehmen. Oder gerade deshalb. Denn trotz all dieser Unzulänglichkeiten hat er es ins Ministeramt geschafft, also lohnt die Frage: Was hat er richtig gemacht, um es trotz Defiziten so weit zu bringen? Eine von mehreren Antworten darauf lautet: Lauterbach ist stark im Vernetzen. Habtischer ausgedrückt bedeutet das: Er sitzt mit den Richtigen zusammen, umschmeichelt sie, erreicht so ihr Ohr und ist Teil ihrer Entscheidungen. Außerdem erfährt er vieles. Und Wissen ist noch vor Aufmerksamkeit die wichtigste Währung im Berliner Politbetrieb.

Wenn Lauterbach Randalierern die Wohnung kündigen will, ist das mehr als ein besoffener Patzer, der nüchtern wieder gelöscht sein will. Es ist ein Versprecher. Etwas, das dem Minister rausgerutscht ist. Dass der Staat Menschen Wohnungen entzieht, die sich unbotmäßig verhalten, gibt es tatsächlich: in China. Dort ist es Teil des „Social Scorings“. Über Apps und elektronische Überwachung registriert der Staat das Verhalten seiner Bürger, wertet es aus und zieht daraus Konsequenzen. Wer zum Beispiel bei Rot über eine Ampel geht, erhält Strafpunkte. Wer zu viele Strafpunkte hat, dem droht eine Strafe. Zum Beispiel tatsächlich der Verlust der Wohnung.

Das Social Scoring ist in Deutschland ein Thema. Eines, das der Politik in der Nase kitzelt. Immer wieder werden Versuchsprojekte angeschoben, aber auch nur halbherzgig verfolgt. Denn der bürgerliche Widerstand gegen eine Politik, die den Wähler bewertet – statt umgekehrt – stößt in Deutschland auf gesellschaftlichen Widerstand. Auch weil das Land im 20. Jahrhundert zwei totalitäre Diktaturen auf seinem Boden erlebt hat und in dem (noch) genug Menschen leben, die deren Auswüchse kennen. Die Neigung zum Social Scoring schimmert trotzdem durch. Wenig überraschend: besonders gerne bei Sozialdemokraten. Als Justizminister tat sich Heiko Maas damit hervor, Bürgern für alle möglichen Vergehen den Führerschein entziehen zu wollen.

So ist Lauterbachs Aussetzer, Wohnungen entziehen zu wollen, als mehr zu sehen als ein besoffener Ausrutscher. Es ist ein Loch in der Wand, hinter der das diskutiert wird, was im politischen Berlin halt diskutiert wird. Diesen Blick gab Lauterbach nicht zum ersten mal preis. 2020 führte Lauterbach im Zusammenhang mit dem ersten Corona-Lockdown ein Interview mit der Welt. Darin freute er sich über die Wirkung des Lockdowns und hoffte, dass die Politik diesen nach der Pandemie zugunsten des Klimaschutzes anwenden könne. Die Grünen-Chefin Ricarda Lang redet mittlerweile offen über „Lastabwurf“. Das bedeutet, wenn dank der grünen Energiewende nicht mehr ausreichend Strom produziert wird, werden einfach einzelne Unternehmen und Stadtviertel vom Netz genommen. Dann entscheidet der Staat, wer noch über Strom verfügt und erreicht trotz Mangels seine „Klimaziele“.

Wenn Lauterbach etwas rausplatzt, wirkt das oft wirr. Aber es ist ernst zu nehmen. Aus dem besoffenen Geplapper könnte schon schnell der „neue Alltag“ werden.
Doch es wäre unfair, den Sozialdemokraten alleine das Geplapper in der Regierung Scholz zuzuschreiben. In diesem Punkt darf Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nicht vergessen werden. Sie erwähnte in einem Interview, dass es ihr nicht darauf ankomme, wie deutsche Wähler ihre Politik und deren Folgen fänden. Als Kritik aufkam, das sei ja nun nicht wirklich demokratisches Gedankengut, begangen Baerbocks Ordonanz-Journalisten ihre grüne Heldin mit dem grünen Leugnungs-Dreisatz zu verteidigen: 1. Sie hat das gar nicht gesagt. 2. Was sie gar nicht gesagt hat, sei falsch verstanden worden. Und 3. sei alles völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Also das, was sie gar nicht gesagt habe.

Auch die FDP hat einen Minister, dessen Taten seinen Worten oft genug nicht hinterherkommen: Justizminister Marco Buschmann. Der hat versprochen, dass alle Corona-Maßnahmen im März enden. Im März 2022. Doch dann hat sich Buschmann in den Verhandlungen von Lauterbach über den Tisch ziehen lassen wie eine Besitzbürgertochter vom Gebrauchtwagenhändler. Nach dem Sabotageangriff auf die Pipeline Nord Stream kündigte Buschmann in der Bild großspurig an: „So jagen wir die Pipeline-Saboteure.“

Damit wollte Buschmann einen Imagewandel einleiten. Weg von dem Bild der Besitzbürgertochter, die sich von Lauterbach über den Tisch hat ziehen lassen. Hin zum harten Hund. Deswegen schaute Buschmann auch grimmig in die Kamera der Bild. Doch was wie ein gefährlicher Dobermann wirken sollte, erinnerte eher an einen kläffenden Yorkshire-Terrier, der vom Einbrecher auf den Balkon getragen wird. Aber was sind Bilder? Inhalte zählen: Buschmann hat angekündigt, die Saboteure jagen zu wollen. Das war am 1. Oktober. Wir warten. Auf Buschmanns Jagdtrophäe und auch immer noch auf das Ende der Corona-Maßnahmen.

Nur Olaf Scholz macht es besser als seine Minister. Der sagt nichts. Selbst wenn er redet. Wenn der Kanzler mal konkret gefragt wird, dann hat er die Antwort einfach vergessen. Und lächelt wie ein Zweitklässler, der in einen epochalen Steuerskandal verwickelt ist. Das mag unbefriedigend sein. Aber zielführender als der Rest seiner Plapperregierung.

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