Der Überlebende ist tot. Fidel Castro konnten hunderte von Mordanschlägen des CIA und anderer nichts anhaben. Nun ist er friedlich eingeschlafen. Wer über Fidel Castro im Vokabular des Kalten Krieges spricht, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht.Nachruf auf einen Revolutionär, der jahrzehntelang dem Aggressor die Stirn geboten hat. Auf einen großen Staatsmann, so wie ihn die Linke sieht.
„Warum müssen einige Menschen barfuß gehen, damit andere in Luxusautos fahren? Warum leben einige 35 Jahre, damit andere 70 Jahre werden können? Warum müssen einige unsäglich arm sein, damit andere übermäßig reich sein können? Ich spreche im Namen der Kinder dieser Welt, die nicht einmal ein Stück Brot besitzen. Ich spreche im Namen der Kranken, die keine Medizin haben. Ich spreche im Namen derjenigen, denen man das Recht auf Leben und Menschenwürde verweigert hat.“ Fidel Castro 1979 vor den Vereinten Nationen.
Havanna weint. Gestern ist Fidel Castro gestorben.
Stellen Sie sich einmal vor, es gäbe heute einen syrischen Fidel Castro, die westliche Welt würde ihn hofieren, hoch finanzieren, hoch bewaffnen, bejubeln und am Ende sogar noch zur Ikone der Freiheit hoch stilisieren. Zu einem Gerechten.
Aber was hat der Westen in Ermanglung einer solchen Figur getan? Seine Vasallen haben gelogen, betrogen, intrigiert, verleumdet, gemordet, gemetzelt, gebrandschatzt. Und es wurden Revolutionen inszeniert unter Mithilfe von Gruppen, die man solange ihre Blutspur ziehen ließ, bis die betroffenen Staaten vollkommen destabilisiert und im Chaos versunken sind. Die Unterdrückung der mittel- und südamerikanischen Staaten lieferten hier die hässliche Blaupause. Nach bewährtem Muster erklärte man anschließend diese Capotruppen zum Staatsfeind No 1.
Es scheint tatsächlich so, wenn sogar die geschätzte Kollegin Bettina Röhl ausgerechnet bei Tichys Einblick einen Rückfall in die Dialektik des 20.Jahrhunderts erleidet, der sich in einem bemerkenswert postfaktischen Intro verfestigt:
„Mit Castros Tod stirbt auch ein Stück der antiwestlichen Revolutionsromantik im Westen selbst. Castros Abgang ist ein Segen für die von ihm ein halbes Jahrhundert lang geschundene Insel Kuba.“
Mit Handbremse auf der Seele
Das ist nicht nur a-historisch, sondern leider auch furchtbar tiefenpathologisch anti-links. Geschrieben mit merkwürdiger Handbremse auf der guten Seele. Hier wenden sich dann alle jene ab, die noch in der Lage sind, jenseits konservativer, vom Kalten Krieg geprägter Stereotype den großen politischen Zusammenhang zu denken. Und es ist sogar leider ein stückweit pietätlos. So dürfte man tatsächlich nach dem Tod des Schlächters von Lyon schreiben. Aber doch nicht über einen Fidel Castro. Über einen Überlebenden.
Was für eine letzte Großtat dieses Fidel Castros gegenüber seinem Erzfeind, den USA, einfach so friedlich und ihm hohen Alter im Bett für immer einzuschlafen, wo ihm diese USA doch Killerbande um Killerbande vorbeischickte, ihn und seine anhaltende Revolution per Killfahndung hinzurichten. Natürlich: So einen Dauerkriegszustand abzuwehren kosten Menschenleben. Und es waren nicht nur Angriffe auf Castro selbst, diese Mordlust der Weltmacht-Nachbarn wurde begleitet von massivsten Wirtschaftssanktionen und – blockaden, von offenen wie verdeckten militärischen Operationen gegen das 150 Kilometer entfernten Kuba.
Fidel hat sie alle überlebt. Er ließ hunderte Spione einfangen, verurteilen, hinrichten oder einsperren. Und er hat eine Paranoia entwickelt, die man angesichts von diesen hunderten von Attentatsversuchen vielleicht nicht einmal Paranoia nennen kann. Jedenfalls fielen seinen Präventivmaßnahmen gegen diese Feinde der Revolution auch tausende Unschuldige zum Opfer. Jeder einzelner einer zu viel. Aber ohne Zweifel müssen auch die potentiellen Angreifer darunter gewesen sein, denn keiner dieser Mordkomplotte gelang.
Ein weiterer journalistischer Kollege vergleicht Castro heute mit Tito und erinnert daran, wie dieses zersplitterte Jugoslawien über ein Jahrzehnt nach dessen Tod aufgeblüht sei. Mit Verblüffung angesprochen auf die verheerenden Balkankriege spricht der Kollege von „Kollateralschäden“. Wir erinnern uns, der Balkankrieg forderte allein in Bosnien um die 100.000 Todesopfer. Wie friedlich also verliefen dagegen die Revolutionsjahrzehnte eines Fidel Castro. Glückliches Kuba.
Natürlich nicht. Denn wie kann man glücklich sein, wenn der Feind vor der Tür steht, wenn Wirtschaftssanktionen der USA beweisen wollen, dass das sozialistische System nicht funktionieren kann und dabei wiederum als Kollateralschaden eine hungernde und leidende kubanische Bevölkerung in Kauf nimmt.
Exportschlager auch in die westliche Welt
Aber was für eine Überraschung: Dieses kleine Kuba kann heute eine Analphabetenquote von gerade einmal zwei Prozent vorweisen, während in der freien Welt gleich nebenan beinahe jeder Fünfte kaum lesen oder schreiben kann. Das gleiche gilt für das Sozial- und Gesundheitssystem. Denkt man nun diese massiven Wirtschaftssanktionen gegen Kuba mit – was muss dieser verhasste Sozialismus doch für ein überragendes politisches System sein, das es beispielsweise schafft, dass auf eintausend Einwohner 6,12 Mediziner kommen, während es beispielsweise in Deutschland nur 3,73 sind. Nebenbei bemerkt ist auch die medizinische Forschung erstklassig. „Das Land zählt zu den ersten, in denen Impfstoffe gegen Meningitis B und C sowie Hepatitis B entwickelt wurden.“ Ein Exportschlager in die westliche Welt! „Nach offiziellen Angaben arbeiten inzwischen allein in Brasilien mehr als 11.000 kubanische Ärzte.“, weiß 3sat zu berichten.
Klar, nun könnte man sagen, ein hochsubventionierter Propagandatrick. Aber wenn Bildung, wenn Gesundheit und Soziales nur Propaganda sind, dann wünscht man den US-Amerikanern eine Propaganda nach Vorbild dieser verhassten Insel direkt vor der Haustür. Fidel Castro hat seine Arbeit jedenfalls erledigt. Er ist nun friedlich eingeschlafen. Das muss wie eine Ohrfeige sein für seine Häscher. Und die USA haben nun fast zeitgleich einen Donald Trump bekommen. Ausgerechnet einen exzentrischen demokratieskeptischen Multimilliardär aus New York und die Linke in den USA und weltweit tobt, während gleichzeitig das Establishment schlottrige Knie bekommt. Was für eine Ironie der Geschichte.
Havanna weint. Gestern ist Fidel Castro gestorben. Und Millionen in der Welt weinen mit diesem stolzen und so lebensfrohen Inselvolk. Für manche war er der Tyrann, aber für viele Kubaner blieb er der Hoffnungsträger, der große Baumeister ihrer nationalen, ihrer sozialistischen Identität. Die Geschichte hat Castro jetzt schon freigesprochen. Insbesondere die Armen, die Entrechteten, die Unterdrückten, die Inhaftierten und die vergessenen Menschen Südamerikas konnten in den düstersten jahrzehnten der Unterdrückung hinüberschauen auf diese Insel vor Florida und Hoffnung schöpfen. Das war wahrscheinlich die wichtigste Aufgabe Fidel Castros und seiner seiner Mitkämpfer die wichtigste Aufgabe dieses unsterblichen kubanischen Bollwerkes.
Und in den USA kehren die Slums zurück
Ja doch, wer heute mit dem Finger in Richtung der Opfer Castros zeigt, der macht das mit Recht. Aber dann kommt er nicht umhin, auch dorthin zu zeigen, wo die Freiheit für viele zu einer Unfreiheit der Armut geworden ist. Die ZEIT berichtete 2015: „In den USA kehren die Slums zurück“, „13,8 Millionen Amerikaner leben derzeit in Gegenden mit extremer Armut. Myron Orfield, Direktor an der Universität von Minnesota, spricht von einer „Ghettoisierung der Armen.“ „Fast die Hälfte aller Bürger kann sich eine Autoreparatur von 400 Dollar nicht leisten.“ Was für Aussichten für das ehemalige Armenhaus, für das einstige „Bordell der USA“.
Gesine Lötzsch und Klaus Ernst von der Partei Die Linke hatten Castro ein herzliches Glückwunschschreiben zum 85.Geburtstag geschickt. „Sie gratulierten dem Revolutionsführer zu einem ‚kampferfüllten Leben‘ und ‚erfolgreichen Wirken an der Spitze der kubanischen Revolution‘.“ Fidel Castro ist nun Geschichte. Und diese Geschichte wird ihm recht geben. Das festzustellen obliegt allerdings zuallererst dem kubanischen Volk. Nun ist alles gesagt. Spannend wäre es allenfalls, zu erfahren, was wohl Che Guevara, Fidels alter Kampfgefährte dort oben nach fast genau Fünfzig Jahren mit dem Spätankömmling zu besprechen hat … Hasta la victoria siempre Comandantes!