Seit Mittwoch hat Benedikt XVI., der 2013 als Papst zurücktrat, wieder die Aufmerksamkeit der breiten Medienlandschaft. Die Sorge um den Papa emeritus, den Millionen Gläubige weltweit im Gebet begleiten, teilt nicht jeder. Während ein Großteil der katholischen Welt anteilnimmt und sich darauf vorbereitet, dass der auch unter Nicht-Katholiken geschätzte konservative Denker seiner letzten Reise entgegensieht, quillt vielerorts wieder jene angriffsbereite Feindseligkeit hoch, die bereits im Zuge seines Pontifikats spürbar war.
Dabei begrenzt sich der Hass nicht nur auf eine Vielzahl von Kommentaren in den sozialen Netzwerken, wo anonyme Accounts dem ehemaligen Pontifex einen möglichst schmerzhaften Tod oder ihn gleich in die Hölle wünschen. Auch Vertreter der deutschen Medienlandschaft fallen in alte Muster zurück, so, als würde der vermeintliche Großinquisitor von Rom noch immer mit dem Zensurhammer schwingen. Während in Italien das Thema den Alltag dominiert und sich auch linke Blätter zurückhalten – Joseph Ratzingers langer römischer Aufenthalt hat ihn längst „assimiliert“ –, scheint man in einigen deutschen Redaktionen den Tod des bayrischen Papstes kaum erwarten zu können.
So erschien am Freitagmorgen bei der taz bereits ein Nachruf auf Benedikt: „Nachruf auf Benedikt XVI.: Ratzingers Erbe. Er war ein strenger Getreuer der Glaubenskongregation, der liberale Ideen in der Kirche bekämpfte. Nun ist der emeritierte Papst Benedikt XVI. gestorben.“ Der Beitrag wurde auch vom Account der taz auf Twitter verbreitet. Nachruf und Tweet sind mittlerweile gelöscht. Offenbar hatte die taz-Redaktion doch keinen direkten Draht nach Rom, sondern sich in freudiger Voreiligkeit übernommen.
Ebenfalls bei der taz arbeitet Simone Schmollack („Genderredakteurin“, 2017–2018 Chefredakteurin „Der Freitag“). Sie twitterte am selben Freitagmorgen, als die taz den Bock mit dem Nachruf schoss: „Pelé ist tot. Vivienne Westwood ist tot. Benedikt lebt immer noch. Kein Kommentar.“ Schmollte man hier mit einem geschmacklosen Tweet, weil es mal wieder nicht „den Richtigen“ traf?
Schmollack und die taz sind nicht alleine. Auch beim ÖRR gibt es Vorbilder der Empathie. Susanne Wieseler, Fernsehmoderatorin bei der „Aktuellen Stunde“ des WDR, ließ sich zu folgendem Statement hinreißen: „Bin wirklich neugierig: Menschen, die für Benedikt XVI. beten, für was genau beten sie? Dass er wieder gesund wird? Dass er in den Himmel kommt? Dass er versteht, wo die Kirche Menschen Unrecht getan hat?“
Stellvertretend für eine ganze Reihe von Artikeln über „Sterbe-Spekulationen“ steht das Portal kath.ch. Dort erschien ein Beitrag mit der Sterbeforscherin Monika Renz. Unterzeile: „Reflektiert Benedikt beim Sterben sein Versagen im Missbrauchskomplex?“ Mit dieser Zeile twittert auch Chefredakteur Raphael Rauch den Text. Es mag ein schweizerdeutsches und kein bundesdeutsches Beispiel sein, hat aber in abgemilderter Form seine Widergänger in anderen Zeitungen. Der Unterton: Wird Benedikt seine Verfehlungen bereuen? Dass derselbe Benedikt deutlich rigider gegen Missbrauchstäter als Pontifex vorging als sein Nachfolger oder sein Vorgänger, fällt da leicht unter den Tisch.