Da wird am 21. Dezember ein Spionage-Super-Gau aufgedeckt. Und was passiert in der „hohen“ Politik? Nichts! „Ampel“ und Bundesländer führen einen Schaukampf um das Ende oder Nicht-Ende von Corona-Maßnahmen, weil der Virologe Drosten die Covid-Pandemie – Chinas Corona-Explosionen hin oder her – für beendet erklärt hat. Außenministerin Baerbock legt – mal eben zwischen Umbenennung des „Bismarck“-Zimmers und einer „Aufarbeitungs“-Reise nach Nigeria – eine dilettantische und vom Kanzleramt schnell wieder einkassierte Proseminararbeit einer „Nationalen Sicherheitsstrategie“ vor. Verteidigungsministerin Lambrecht bekommt die F-35-Tarnkappenbomber-Bestellung und das Puma-Schützenpanzer-Desaster um die Ohren geschlagen. Und so weiter. Schnell wird alles überzuckert vom Weihnachtsfrieden und von einer Steinmeier-Weihnachtsansprache.
Und doch bleibt das, was am 21. Dezember mit der Enttarnung eines BND-Mitarbeiters als Spion in Putins Diensten bekannt wurde, ein Super-Gau für Deutschlands und Europas Sicherheitsbedürfnisse. Wohlweislich hat man diese Enttarnung schon mal weniger operettenhaft inszeniert als die von mehr als dreitausend Polizisten exekutierte Festsetzung von 25 „Reichsbürgern“ am 7. Dezember.
Was weiß man bislang, und was weiß man nicht?
Das Bundeskriminalamt (BKA) hatte am 21. Dezember einen „Carsten L.“, Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), also des deutschen Auslandsgeheimdienstes, festgenommen. Dessen Wohnung und Arbeitsplatz sowie einer weiteren Person wurden durchsucht. Der Verdacht: Landesverrat. Carsten L. hat mutmaßlich in gravierender Weise für Russland spioniert. Er arbeitete in leitender Funktion in der Fachabteilung „Technische Aufklärung“. Dort werden Topinformationen über Militär, Kriege, korrupte Regierungen, Terroristen und Waffenhändler erfasst und für das Kanzleramt, relevante Ministerien sowie parlamentarische Fachausschüsse bewertet.
Mehr über das Ausmaß des Hochverrats erfährt man nicht. BND-Präsident Bruno Kahl betonte, dass Zurückhaltung und Diskretion in diesem Fall sehr wichtig seien: „Mit Russland haben wir es auf der Gegenseite mit einem Akteur zu tun, mit dessen Skrupellosigkeit und Gewaltbereitschaft wir zu rechnen haben.“ Und: „Mit Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen“ wolle sich der Nachrichtendienst bis auf Weiteres nicht zu Einzelheiten in diesem Fall öffentlich äußern. Denn wenn Zwischenergebnisse der Ermittlungen ans Tageslicht kommen sollten, könnte Moskau erahnen, welchen Kenntnisstand man in Deutschlands Sicherheitsbehörden hat. Der Schaden wäre dann noch größer.
Also bleiben viele Fragen offen: Wie konnte Carsten L. die strengen Sicherheitsprüfungen des BND überstehen? Wurde Carsten L. bezahlt? Wurde er erpresst? Spionierte er aus ideologischen Gründen? Hatte er einen russischen Führungsoffizier? Wie übermittelte Carsten L. die BND-Geheimnisse nach Moskau? Ist L. zuerst dem BND selbst oder ausländischen Diensten aufgefallen?
Wer übernimmt die politische Verantwortung: Scholz, Schmidt, Faeser?
Der BND ist die einzige Bundesoberbehörde, die keinem Ministerium, sondern direkt dem Bundeskanzleramt unterstellt ist. Dienstherr des BND ist damit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bzw. der Chef des Kanzleramtes, der Scholz-Vertraute Wolfgang Schmidt (SPD). Schmidt ist offiziell „Bundesminister für besondere Aufgaben“ und in dieser Funktion auch Beauftragter für die drei Nachrichtendienste des Bundes: BND, Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und Militärischer Abschirmdienst (MAD). Pikant am Rande: Im Juni 2022 wurde bekannt, dass die „Ampel“ bei den drei Geheimdiensten mehr Transparenz und Kontrolle schaffen will! Das Ergebnis dieses Bemühens sehen wir jetzt. Oder auch nicht, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die entscheidenden Hinweise über die Spionagetätigkeit von Carsten L. von ausländischen Geheimdiensten kamen.
Die Festnahme des Carsten L. hat jedenfalls Bedenken hinsichtlich der deutschen Zusammenarbeit mit westlichen Partnerdiensten ausgelöst. Der Fall „Carsten L.“ hat denn auch die internationale Presse erreicht, etwa die New York Times.
„Wenn wirklich Informationen aus dem BND nach Russland gelangen konnten, wird das die Zusammenarbeit mit unseren Partnern enorm erschweren“, sagte schon mal FDP-Vize Wolfgang Kubicki dem Düsseldorfer Handelsblatt am 23. Dezember. Darüber hinaus fand Kubicki auch gegenüber Faeser deutliche Worte: Er wirft Faeser vor, ihren Fokus falsch zu setzen. Kubicki sagte: „Während die Bundesinnenministerin Jäger und Sportschützen mittels des Verfassungsschutzes mehr überprüfen will, kann offenbar ein russischer Spion beim BND beliebig schalten und walten, bevor er auffliegt.“
Den Vogel abgeschossen hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Er meinte: „Wenn sich der Verdacht bestätigt, ist hier ein wichtiger Schlag gegen russische Spionage gelungen.“ Ob der KGB und Putin das auch so sehen: Nun, wer den Schaden hat, und das sind zuerst einmal Deutschlands Sicherheitsbehörden, spottet jeder Beschreibung … Oder so ähnlich!?
Erinnerungen an die Guillaume-Affäre von 1974 werden wach
Klar, Vergleiche hinken manchmal. Dennoch soll im Zusammenhang mit der Causa „Carsten L.“ an den bis dato größten Spionagefall in Deutschland erinnert werden. Am 24. April 1974 war Günter Guillaume (1927–1995), der enge Mitarbeiter im Kanzleramt von Kanzler Willy Brandt, als DDR-Spion enttarnt worden. Guillaume war „Offizier im besonderen Einsatz“ (OibE) der „Stasi“. 1951 war er der SED beigetreten, 1954 wurde er informeller Mitarbeiter (IM) der „Stasi“. 1956 siedelte er aus der DDR nach Frankfurt/Main über. 1957 wurde er SPD-Mitglied, 1970 Referent im Kanzleramt, 1972 enger Mitarbeiter von Brandt, zuständig für koordinierende Kontakte zur SPD. Am 7. Mai trat unter dem Eindruck dieses Spionagefalls Bundeskanzler Willy Brandt von seinem Amt zurück. Guillaume wurde 1975 vom OLG Düsseldorf zu 13 Jahren Haft verurteilt, seine mitspionierende Frau zu 8 Jahren.
Die Ironie der Geschichte will es: Guillaume, der einen deutschen Kanzler zu Fall brachte, war ein kleines Licht. Während seiner Jahre im Kanzleramt schickte er rund 20 Berichte in die DDR, also rund fünf pro Jahr. Diese Berichte betrafen überwiegend SPD-Interna. Selbst für die Hauptabteilung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR nur „mittleren Wert“, wie sich nach Öffnung der MfS-Akten nach 1990 herausstellte.
Bauernopfer reichen jetzt nicht – Irgendein(e) Minister(in) muss den Hut nehmen
Wie man erinnert: 1974 war noch jemand bereit, die politische Verantwortung zu übernehmen. Damals sogar der Regierungschef. Und heute? Heute fragt man erst gar nicht nach der Verantwortung eines Kanzlers oder eines Kanzleramtschefs. Heute fragt man auch nicht nach der politischen Verantwortung eines Bundesinnenministers resp. einer Bundesinnenministerin. So etwas gibt es seit dem 4. Juli 1993 nicht mehr. Damals war Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) aus Gründen der „Schadenbegrenzung“ zurückgetreten, nachdem von Teilen der Presse (vor allem Spiegel) unterstellt worden war, ein GSG9-Mann habe im Bahnhof von Bad Kleinen den RAF-Terroristen Wolfgang Grams quasi „hingerichtet“. Wie sich später herausstellte, hat sich Grams selbst erschossen. Damals jedenfalls gab es noch einen politischen Ehrenkodex. Nur am Rande: Der Autor der damaligen Spiegel-Titelgeschichte Hans Leyendecker, 2018 war er EKD-Kirchentagspräsident, brauchte 27 Jahre, um sich im Jahr 2020 bei Seiters zu entschuldigen.
Und wen haben wir heute an der Spitze des Bundesinnenministeriums? Eine aktivistisch umtriebige Nancy Faeser, die selbst zum Sicherheitsrisiko geworden ist: mit ihrer monomanischen Ausrichtung auf alles, was nach ihrer Definition „rechts“ ist, mit ihrem Umkrempeln der Republik mittels „Demokratiefördergesetz“, mittels Neudefinition von Heimat, mittels Verramschung der Staatsangehörigkeit, mittels de-facto-Aufhebung des Asylrechts, mit Abschiebestopps …
Wir dürfen gespannt sein, wie schnell all das verdrängt wird. Faeser will und soll ja hessische Ministerpräsidentin werden. Aber das darf keine Rolle spielen.