Tichys Einblick
Das Talkshow-Jahr

Robert Habeck prägte ein neues Gagschema

Robert Habecks Logik überstrahlte das Talkshow-Jahr: Die Firmen müssen nicht in die Insolvenz, wenn sie nur rechtzeitig aufhören zu produzieren. Davon abgesehen gab es viel Buntes – und Roderich Kieswetter.

Robert Habeck bei der Talkshow Anne Will

IMAGO / Jürgen Heinrich

Die TV-Geschichte war am 6. September 2022 um einen historischen Auftritt reicher. Dabei zeichnete sich das lange Zeit gar nicht ab: Eine knappe halbe Stunde hatte Sandra Maischberger Wirtschaftsminister Robert Habeck als Gast. Es geht um die Inflation (nicht so schlimm), die Stromversorgung (wird schon) und eines der „Entlastungspakete“ (wahnsinnig effektiv). Eigentlich will Maischberger jetzt plaudern, um das Gespräch angenehm ausklingen zu lassen. Da hechtet der grüne Philosoph mit Anlauf ins Fettnäpfchen

Wirre Theorien
Bei Maischberger rät Habeck Unternehmen: Vor Insolvenz einfach aufhören zu arbeiten
Habeck glaube nicht an eine Insolvenzwelle. Ja. „Es kann sein, dass sich bestimmte Geschäfte nicht mehr rentieren.“ Aber wenn die Unternehmen rechtzeitig aufhören würden zu produzieren, hätten sie ja auch keine Kosten mehr und müssten nicht in die Insolvenz. Eine Sternstunde grüner Logik. Ein Monument grüner Ignoranz: Lohnkosten, Mietkosten, Grundsteuern, Instandhaltungskosten, Lebenserhaltungskosten … Das gibt es in dieser Welt alles nicht. Sitzt man als Grüner im Bundestag, kommt der Strom aus der Steckdose, das Geld vom Konto und wenn man rechtzeitig aufhört zu produzieren, muss man nicht in die Insolvenz.

Es ist obendrein die Geburtsstunde eines neuen Gagschemas: „Es ist nicht so, dass wir Grüne nicht mehr bedienen, sie bekommen hier nur nichts mehr zu trinken.“ „Deutschland ist nicht in der Vorrunde ausgeschieden, es spielt im Achtelfinale nur nicht mehr mit.“ Oder: „Ich habe über Weihnachten nicht zugenommen, die Waage zeigt bei mir nur mehr Kilo an.“ Von da an hält sich Habeck mit öffentlichen Reden zurück. Als der Bundestag seine Energiepreisbremse beschließt, überlässt der Wirtschaftsminister es dem Gesundheitsminister, dieses vorzustellen.

Karl Lauterbach (SPD) verliert dafür 2022 seinen Talkshow-Thron an Norbert Röttgen. Der Christdemokrat ist nun der am häufigst eingeladene Talkshow-Gast in ARD und ZDF. TE würde gerne ein knackiges Zitat, eine spannende Idee oder ein gutes Argument zitieren, das Röttgen in einer seiner Auftritte vorgetragen hat. Aber wir suchen noch. Vielleicht später. Lauterbach indes nutzte seine weniger gewordenen Auftritte, um sich als Vertreter für die Corona-Arznei Paxlovid zu verdienen. Die stellte er bei Maischberger zum ersten Mal vor und bewarb sie seitdem mit der Hartnäckigkeit einer Drückerkolonne.

Mutmaßungen über Wladimir
Die Gäste von Anne Will stochern zum Ukraine-Krieg im Nebel
Der Krieg in der Ukraine war es, der Lauterbach sein Geschäftsmodell versaute. Der Gesundheitsminister musste Zeitungen fortan wie an Ostern mindestens „absolute Killervarianten“ anbieten, damit sie ihm noch eine Schlagzeile spendierten. Verdrängt wurde der Pharmavertreter aus Leverkusen nun zunehmend von Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Liberale war das Gesicht des Krieges – was auf so vielen Ebenen stimmte. Nun saß sie häufiger in Talkshows als Lauterbach und bezichtigte jeden der Annäherung an Putin, der nicht wie sie für Waffenlieferungen an die Ukraine war.

Wer mit diesem Nimbus der Unfehlbarkeit argumentiert, ist selbst unfehlbar. Zumindest in der Eigenwahrnehmung. Als Bomben in Polen explodieren, schreibt Strack-Zimmermann auf Twitter: Dieser Angriff Russland müsse jetzt jedem zu denken geben, der bisher zu weich in der Frage gewesen war. Es war ein Fehler. Von Strack-Zimmermann. Zum einen stellte sich bald raus, dass die Bomben aus der Ukraine kamen. Zum anderen mehrten Spekulationen hochrangiger Politiker die Gefahr, dass der Ukraine-Krieg zu einem Weltkrieg eskaliert. Ob sie sich dafür entschuldige, wollte Anne Will wenige Tage später wissen. Nein, das tue sie nicht, beharrte Strack-Zimmermann. Wenigstens der Nimbus der Unfehlbarkeit soll ihr Antlitz schönen.

So ernst der Krieg ist, so lustige Gestalten spülte er in die Talkshows. Allen voran Andrij Melnyk. Der Preis des unflätigsten Pöblers im deutschen Fernsehen wäre 2022 an den ehemaligen ukrainischen Botschafter gegangen – wenn sich ZDF-Intendant Norbert Himmler nicht Jan Böhmermann auf dem Lerchenberg halten würde. Fast schon rührend war es, wie Melnyk im Oktober bei Maischbeger zu seinem Abschied aus Deutschland einräumte, dass er durchaus Fehler gemacht habe.

Dann brachte der Krieg auch ein Heer an Experten hervor, die in Talkshows voraussagten, dass die Ukraine sehr schnell zusammenbrechen werde, den Krieg nicht gewinnen könne, dieser nun doch länger dauere und Russlands Armee wohl kaum noch wehrhaft sei. In der Reihenfolge. Doch egal, wie oft die Experten daneben lagen, die nächste Talkshow-Einladung wartete schon auf sie. Oder auf Roderich Kiesewetter. Der war gemeinsam mit CDU-Parteichef Friedrich Merz in Kiew – und erzählte das in den Talkshows bereitwillig. Allzu bereitwillig.

Moderator beschimpft Gäste
Kurt Krömer schmeißt seine Sendung "Chez Krömer" hin
Verabschiedet hat sich aus dem Talk-Geschäft indes Kurt Krömer. Er vertrage solche „Ars…öcher“ nicht mehr als Gäste, begründete er seinen spontanen Rücktritt. So redet man in der ARD. So denkt man in der ARD über jeden, der nicht ins eigene, grün-woke Schema passt. Frank Plasberg verabschiedet sich ebenfalls aus dem Business. Hart aber fair moderiert künftig der Lebensgefährte von Luisa Neubauer. Das muss aber nicht bedeuten, dass die Talkshow nun einseitig grüne Positionen zum Klimaschutz verbreitet. Dass Hart aber fair in der ARD läuft, ist da schon ein deutlich deutlicherer Hinweis darauf.

Die selbst ernannte „Letzte Generation“ durfte ohnehin in den Talkshows erklären, warum sie in Serie Verbrechen begeht und auf die Nachsicht von Moderatoren, Journalisten und Politiker hoffen. Wer die Verbrechen mit Verbrechen verglich, wurde indes abgewillt und abgemaischbergert. Am Tag, als Christian Lindners („FDP“) Finanzministerium Ziel einer Attacke wurde, erklärte er bei Maischberger: Das wäre doch gar nicht notwendig gewesen. Er habe die Forderungen der letzten Generation doch schon erfüllt. Bei Helmut Schmidt (SPD) durfte der Staat nicht mit Terroristen verhandeln. Bei Lindner darf der Staat die Forderungen der Terroristen nicht zu spät erfüllen.

Apropos nur in eine Richtung schauen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) schaffte das Talkshow-Double: bei Maischberger etwas sagen, was sie bei Will zurücknehmen muss – innerhalb von vier Tagen. Bei Maischberger erklärte sie, dass sie Beamte entlassen wolle und es dann deren Pflicht sein müsse, ihre Unschuld zu beweisen. Juristen nennen das Beweislastumkehr. Bei Will stellte Faeser eine Lösung vor, die aufs Gleiche herauskam, machte aber deutlich, dass sie nicht so deutlich verstanden werden wollte. Ebenfalls bei Maischberger hatte Faeser gesagt, dass die Mitte der Gesellschaft „anschlussfähig für Rechtsextremismus“ sei. Aber darüber hat sich kaum einer aufgeregt – das Land ist schon abgestumpft.

Was wieder zurück zu Norbert Röttgen führt. Der war – zur Erinnerung – am häufigsten in Talkshows eingeladen. Und ist von der CDU. Was ließe sich Interessantes von ihm berichten? Oder Spannendes? Wenigstens Gutes? Also er hat nicht immer wieder davon erzählt, wie er mit Friedrich Merz in Kiew war. Damit war er – so viel „Diabolische Hybris“ muss erlaubt sein – besser als Roderich Kiesewetter, der allmählich wieder den Talkshow-Stuhl mit der Hinterbank tauscht.

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