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Verhandlungen? Putins Weihnachtsbotschaft an seinen Kollegen in Peking

Wladimir Putin behauptet, nicht er, sondern der Westen lehne Verhandlungen ab. Seine Aussagen im jüngsten Fernsehinterview sind nur aus westlicher Perspektive "surreal". Aber sie richten sich vor allem an Chinas Machthaber Xi, für dessen Denkwelt sie maßgeschneidert sind.

Russlands Machthaber Wladimir Putin im Interview mit dem russischen Fernsehen, 25.12.2022

IMAGO / ZUMA Wire

Von einem „surrealen Interview“ sprechen deutsche Medien – und meinen die Äußerungen Wladimir Putins in einem am 25. Dezember ausgestrahlten Interview des russischen Staatssenders „Rossija-1“. Surreal, so mag es tatsächlich erscheinen. Doch das ist es nur, wenn davon ausgegangen wird, die Aussagen des Diktators enthielten eine Botschaft an den Westen. Genau das aber tun sie nicht. Putin blickte bei seinen Äußerungen vor allem auf einen: Den Präsidenten der Volksrepublik China. Der Russe versuchte über „Rossija-1“, zunehmend lauter werdende Kritik aus Peking abzufangen.

Xi, der allem Anschein nach bereits vor Beginn des russischen Überfalls am 24. Februar 2022 unterrichtet war, hat in den vergangenen Wochen seine Kritik an Russlands Vorgehen in der Ukraine zunehmend deutlicher formuliert. Ein Einsatz von A-Waffen sei grundsätzlich auszuschließen. Und „der Konflikt“ möge möglichst umgehend durch Verhandlungen gelöst werden, bei denen die Sicherheitsinteressen aller Beteiligten berücksichtigt werden müssten. Also auch der Ukraine.

Der Chinese hat gute Gründe, den Überfall nicht länger zu goutieren. Es hätte Peking nicht berührt, wenn Russland, wie vermutlich von Putin suggeriert, das Nachbarland innerhalb weniger Tage geschluckt hätte. Doch mit diesem Ziel ist Putin gescheitert. Stattdessen wird Russlands Überfall von Tag zu Tag zu einer schwereren Belastung für den Welthandel. Und für die Stabilität in Regionen, in denen Chinas Regime eigene Interessen verfolgt.

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Da hilft es auch nicht, wenn Peking derzeit vergleichsweise kostengünstig an sibirische Energieträger kommt. Entscheidender ist die deutliche Einschränkung des Handels mit der EU und den USA, auf den Xi angewiesen ist, um die gestiegenen Ansprüche seiner Bürger bedienen zu können. Durch die überzogen lange Null-Covid-Politik, die im Herbst zu inneren Unruhen führte, und durch deren überhastetes Ende mit täglich steigenden Infektionszahlen bei einem unzureichend ausgebauten Krankenhaussystem, ist Xi nun in die Situation geraten, möglicherweise die Kontrolle der KPCh über das Milliardenvolk zu riskieren. Wenn schon das Scheitern der Null-Covid-Politik zu hohen Krankenzahlen führt, dann muss zumindest der Handel wieder Fahrt aufnehmen. Das erwarten nicht nur die Chinesen, sondern auch die Nomenklatura der Partei, die bislang vorbehaltlos hinter Xi steht.

Doch der zwingend notwendige Wirtschaftsaufschwung wird ausgebremst durch Putins Krieg. Die komplexen Ströme der Weltwirtschaft bleiben gestört, China kann nicht produzieren wie vor Corona – und was es produziert, findet seinen Weg nach Westen nicht wie vor Russlands Überfall auf das Nachbarland.

Putins Terror schafft zudem ein weiteres Problem, an dem die VRC nicht interessiert ist. Die Moskauer Zustimmung zum Getreideexport der Ukraine hatte nichts mit Putinscher Menschenfreundlichkeit zu tun. Er unterwarf sich lediglich dem Druck, nicht als derjenige am Pranger zu stehen, der durch Massenhunger Hungerrevolten verursacht hatte. Dabei war dieses noch im Sommer 2022 durchaus ein Instrument, mit dem Putin seinen Imperialismus absichern wollte. Eine westliche Welt, die damit beschäftigt war, in Afrika und Asien angesichts ausbleibender Lieferungen aus Russland und der Ukraine den Hunger zu stillen, um ohnehin schon instabile Regimes abzusichern, hätte weniger Augen für die Ukraine haben können.

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Was Putin damals übersehen hatte: Auch sein vorgeblich wichtigster Verbündete, die Volksrepublik China, hat kein Interesse daran, dass in den armen und überbevölkerten Regionen dieser Welt Aufstände und Revolten unkalkulierbare Zustände schaffen. China Investionen in Infrastruktur und Wirtschaft dessen, was früher als Dritte Welt bezeichnet wurde, dient vor allem dem Ziel, China auch künftig den Zugriff auf Rohstoffe und Agrarprodukte zu sichern. Was davon übrig bleibt, wenn hungernde Massen die Regierungspaläste der korrupten Eliten stürmen, kann Peking nicht gefallen.

Und so verschärfte Xi beständig seinen Druck auf Moskau, forderte von Mal zu Mal energischer die russische Bereitschaft zu einer Verhandlungslösung ein. Um das abzufangen, ging Putin nun selbst in die Offensive. Heraus kam eben jenes, was aus ukrainischer und westlicher Sicht „surreal“ erscheint – und von dem Putin gleichzeitig hofft, damit die spürbare Distanz Xis zu überwinden.

„Wir sind bereit, mit allen Beteiligten über akzeptable Lösungen zu verhandeln, aber das liegt an ihnen – nicht wir sind diejenigen, die sich weigern zu verhandeln, sondern sie! Wir haben immer versucht sicherzustellen, dass alle Streitigkeiten auf friedlichem Wege durch Verhandlungen gelöst werden. Aber leider hat das die andere Seite anders empfunden.“ So wendet sich Putin scheinbar an den Westen. Tatsächlich aber soll das heißen: „Sieh doch, Xi, wir würden ja gern! Aber die bösen Amerikaner und Europäer lassen uns nicht. Nicht wir haben angefangen, sondern die anderen.“

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Dass es Putin ist, der mit der Besetzung der Krim 2014 das Völkerrecht gebrochen hat und mit der russischen Forderung nach der Anerkennung der völkerrechtswidrigen Annexionen der anderen teilbesetzten ukrainischen Provinzen eine Conditio schafft, die jedwedes weitere Verhandeln ausschließt, wird unterschlagen. Und damit Xi dieses nicht merken möge, lässt Putin Floskeln folgen, von denen er meint, dass sie Xi an seine Seite treiben müssen. Nicht Russland sei der Aggressor – sondern der böse Westen.

„Wir verteidigen unsere nationalen Interessen, die Interessen unserer Bürger, unseres Volkes. Wir haben keine andere Wahl, unsere Bürger zu schützen, der Westen will das historische Russland zerstören.“ Dem Kampf um die Ukraine liege die Politik „unserer geopolitischen Gegner“ zugrunde, die darauf abziele, das historische Russland zu teilen. Das sei es, was der Westen stets vorgehabt habe und weiterhin vorhabe: „Teile und herrsche, das ist es, was sie immer versucht haben und immer noch versuchen. Aber unser Ziel ist ein anderes: Es ist, das russische Volk zu vereinen.“

Das sind Behauptungen, die angesichts der westlichen Politik seit 1989 jeglicher Grundlage entbehren. Der Zerfall des Sowjetreichs war eine Folge verfehlter Nationalitätenpolitik und nationalrussischer Überheblichkeit. Hätte der Westen gewollt, dass Russland zerfällt, dann wären die Neunzigerjahre dafür die beste Zeit gewesen.

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Doch Putin denkt in anderen Dimensionen. Er knüpft an die zaristische Politik des Panslawismus an, gemeindet dabei sogar jene peripheren Länder ein, die wie die Balten nicht der slawischen Welt angehören. Putins „historisches Russland“ ist ein zentral gelenktes Imperium, in dem die Russen das Sagen haben – und in dem Slawen automatisch Russen sind. Diese Denkweise ist nicht erst bekannt, seitdem Putin den Ukrainern jegliche eigene Identität abgesprochen hat und in dem Land, dessen Lebensvoraussetzungen er gegenwärtig gezielt zu zerstören sucht, nur ethnische Russen oder nationalistische Faschisten zu erkennen weiß.

Dass die Realität eine andere ist, dass die Ukrainer seit langer Zeit über eine eigenkulturelle Identität verfügen, blendet Putins universalistischer Großrussismus aus. Doch er weiß auch, dass er mit solchen Behauptungen im Westen auf eine Wand des Unverständnisses stoßen muss.

Nicht so aber in Peking, hofft der Leningrader. Das „historische Russland“ – das entspricht der Ein-China-Politik der KPCh. Der „geopolitische Gegner“, das sind die USA, denen die VRC vorwirft, sich in Asien gegen Chinas Interessen einzumischen. „Teile und herrsche“, das sind die Bestrebungen der USA, die demokratische Republik China auf der Insel Taiwan gegen die Übernahmeansprüche der Kommunisten zu verteidigen.

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Putins Botschaft an Xi lautet: Wir sind wie Ihr! Wir verteidigen uns gegen Imperialisten, die unsere Souveränität und unsere staatlich-völkische Einheit zerstören wollen. Deshalb drängt uns nicht zu Verhandlungen, die diese Ziele infrage stellen – und damit auch Eure Position infrage stellen müssen.

Nachvollziehbar, dass diese Botschaft angesichts der europäischen und amerikanischen Geschichte im Westen als „surreal“ aufgenommen wird. Doch sie ist es nicht. Sie ist maßgeschneidert auf die Denkwelt des Xi, mit dem sich Putin in der Allianz gegen den Westen sieht.

Ob Putins Botschaft in Peking auf offene Ohren und eine positive Resonanz stoßen wird, bleibt abzuwarten. Dann so sehr sie auch auf die Denkwelt des Xi zugeschnitten ist – so wenig ändert sie daran, dass Russlands Position die des Xi zunehmend gefährdet. Und da mag der Chinese zwar Verständnis für des Russen Größenwahn entwickeln – doch am Ende denkt Xi an seine Chinesen. Und daran, sich von einem nationalistischen Russen nicht seine eigenen Zukunftspläne durchkreuzen zu lassen.

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