Es klingt wie ein Treppenwitz der Weltgeschichte – und vermutlich ist er das auch: extreme Christen, die sich gegen die höchsten christlichen Feste wenden. So geschehen im Königreich England in seiner größten Ausnahmesituation – nämlich, als England eine Republik war und keine Monarchie. Oliver Cromwell herrschte als sogenannter „Lord Protector“ über das Land, und die lange unter der Kesselhaube gehaltenen radikalen Ideologien übernahmen das Ruder. Das hieß aus englischer Perspektive: Republikanismus und Puritanismus.
Im Dezember 1643 verabschiedete das Parlament einen ersten Akt, demnach das Weihnachtsfest in möglichst zurückhaltender Weise gefeiert werden sollte. Sein fröhlicher und teils ausgelassener Charakter, dem Jahrhunderte spätantiker wie mittelalterliche Traditionen anhafteten, wurde nicht nur geleugnet, er wurde gar unter Verdacht gestellt, sein sündiges Treiben mit der Freude über die Geburt Christi kaschieren zu wollen. In einem weiteren Akt des Jahres 1644 wurde das Fest gemeinsam mit Ostern und dem Weißen Sonntag förmlich abgeschafft und blieb bis 1660 – mit der Rückkehr des englischen Königtums – verboten.
In der Praxis hieß das: Gottesdienste waren verboten, Geschäfte wurden darauf kontrolliert, dass sie an Weihnachten geöffnet blieben, selbst Feierlichkeiten oder größere Abendessen angezeigt und bestraft. Allein der Umgang mit den Kirchen zeigt die gesamte Paradoxie: die Puritaner wollten ein stilles, besinnliches und auf Gott fixiertes Fest, unterbanden jedoch jedes Gedenken daran und hielten Kirchgänger vom gemeinsamen Messgang ab.
Eines der wichtigsten inhaltlichen Argumente der Puritaner war dabei: das Weihnachtsfest sei ein überkommener Ausfluss des Katholizismus, gewissermaßen ein Rest papistischen Gedankenguts, den es auszutilgen galt. Eben weil Katholiken das Weihnachtsfest außerordentlich prunkvoll begingen, musste das Gegenteil richtig sein. Einzig den Umständen der Frühen Neuzeit war es geschuldet, dass die staatliche Repression nicht immer zum Zug kam, da der damalige Apparat kaum dieselben Möglichkeiten wie heute besaß und das Weihnachtsfest im Geheimen dennoch begangen werden konnte.
Solche Episoden gab es nicht nur in England. In Massachusetts, wo die Puritaner in der frühen Siedlungsphase der späteren Vereinigten Staaten ein gesellschaftsprägendes Gewicht besaßen, verboten die Puritaner das Weihnachtsfest 1659. Die Begründung? Zitat:
„Zur Verhinderung von Unruhen, die an mehreren Orten innerhalb dieser Gerichtsbarkeit entstehen, weil einige immer noch solche Feste feiern, wie sie verdächtigerweise in anderen Ländern zur großen Schande Gottes und zur Beleidigung anderer begangen wurden, wird daher von diesem Gericht und seiner Autorität angeordnet, dass jeder, der einen solchen Tag wie Weihnachten oder dergleichen begeht, entweder durch Arbeitsverweigerung, Feiern oder auf andere Weise, an die oben genannten Buchhalter, jede Person, die sich so verhält, für jede solche Straftat fünf Schilling als Geldstrafe zahlen muss.“
Man beachte das kleine Wörtchen „verdächtigerweise“. Weil die eigene sektiererische Gemeinschaft als auserkoren gilt und jede andere Gemeinschaft bzw. Nation als „gefallen“ und damit unausgesprochen als böses Gegenbild aufgefasst wird – man könnte die Menschen auch in ein manichäisches „dunkel“ und „hell“ teilen – muss das Weihnachtsfest als solches als Übel bewertet werden. Eine Verhaltensformel, die nicht nur religiösen, sondern auch atheistischen und explizit politischen Gruppen nicht gänzlich unbekannt ist.
Es gehört daher zu den vielsagendsten menschlichen Charaktereigenschaften, dass Fanatiker oftmals selbst das Fundament ihrer eigenen Ideologie verlassen, um anschließend nur noch darauf zu sehen, was die andere Seite tut – um dann das strikte Gegenteil zu exerzieren. Das Spiel, dass etwa ein Diskurspunkt nicht hilfreich sei, weil er von einer bestimmten Partei oder politischen Strömung vereinnahmt wird, ist das aktuell frappierendste Beispiel. Es gibt gute Gründe, warum die kurze republikanische Phase Englands damit endete, dass man den König zurückwünschte – und man auch nach der „Glorious Revolution“ von 1688/1689 lieber einen anderen König, als gar keinen König haben wollte.