Für dieses Jahr hatte ich mir vorgenommen den politischen Bestrebungen zur Verhinderung einer schönen Weihnachtszeit mit besonders guter Vorbereitung zu begegnen. Dazu gehörte neben der Beleuchtungsplanung auch eine sorgfältige Vorsortierung unseres Weihnachtsschmuck-Arsenals. Eine Betätigung, die wie ich feststellen mußte, unerwartet viel Zeit in Anspruch nimmt und bei der es einem erstaunlich warm werden kann. Also beschloß ich, entgegen meiner gewohnheitsmäßigen Nichtbefolgung politischer Empfehlungen, die Heizung herunterzudrehen. Und wie üblich, kam ich dabei mit einem ewig klemmenden Heizungsventil in Konflikt, das nur binären Betrieb erlaubt, also ein oder aus, wofür ich mich unter Einsatz einer Kombizange zu entscheiden hatte.
Das erinnerte mich ein wenig an meine Kindheit, hatte doch im Winter, insbesondere an Weihnachten, das Heizen der Wohnung noch ein ganz anderes Gewicht, etwas Existenzielles, Ursprüngliches. Es berührte dabei nicht nur Grundfragen des Seins und der Physik, es hatte auch etwas Metaphysisches und es konnte auch schon mal um Leben und Tod gehen. Für mich als Konservativen, ein Indiz dafür, dass es unserer heutigen Gesellschaft, neben vielem anderen, auch an entsprechender Heizungserfahrung und dem damit verbundenen Kampf gegen die Elemente fehlt. Und da das Thema Heizung, sowie die Versorgung mit eben solch elementaren Dingen, es zu überraschender Aktualität gebracht haben und schließlich Weihnachten vor der Tür steht, war ein Blick auf meine Kindheitserfahrungen mit den verschiedenen Energieträgern naheliegend.
Holz – zum Teufel mit dem Scheit
Zu einer meiner frühesten Kindheitserinnerungen gehört unser Küchenherd, der mit Holz und Kohle beheizt wurde und auf dem anfangs noch gekocht wurde. Das war ein recht schmales, weiß emailliertes Teil mit zwei hintereinander liegenden runden Kochplatten-Einsätzen und einem Ofenrohr, das etwa einen Meter über der Ofenplatte in der Wand verschwand und regelmäßig mit Silberbronze gestrichen wurde. Der spannenste Moment, den ich mir niemals entgehen ließ, war, wenn meine Mutter Holzscheite nachlegte und ich einen Blick in das Ofeninnere, auf die Glut und die Flammen werfen konnte und die starke Hitze aus der offenen Ofentür spürte. Um meinem regen Interesse am Feuer und vor allem an dem sehr heißen Ofen etwas Einhalt zu gebieten, erzählte mir meine Mutter, dass das manchmal heulende Geräusch eines brennenden Holzscheites vom Teufel im Ofen herrühre. Damals war man ja mit solchen Erzählungen zur Disziplinierung nicht so zimperlich, und was wären Katholiken ohne die Verdammnis, notfalls im Küchenherd. Jedenfalls waren von da an die Fronten für mich geklärt. Der liebe Gott residierte in Form eines Kruzifixes über der Eckbank und sah alles, der Teufel wohnte im Küchenherd.
Der Plan meiner Mutter ging allerdings insofern nicht auf, als dass ich nun bei Öffnen der Ofentür nicht mehr das Feuer, sondern den Teufel sehen wollte. Irgendwo musste der Kerl ja schließlich stecken. Mein reges Interesse an dem Teufel und dessen verbleib im Ofen mündete offenbar irgendwann in einem Fragenbombardement, das schließlich darin gipfelte, wo der Teufel denn sei, wenn der Ofen aus ist. Das sollte dann aber auch die letzte Frage zu diesem Themenkomplex sein, da mir nicht verborgen blieb, dass sich meine Mutter mit Ofen und Kochen beschäftigt, mittlerweile in einem (für mich) bedrohlichen Anspannungszustand befand.
Besonders zu Weihnachten, wenn der Ofen morgens mit Holz angeheizt wurde, erfüllte das die ganze Wohnung mit einem wunderbaren Geruch und einer ganz eigenen Art von Wärme. Und so saß ich dann, nach einem gefühlt endlosen Tag, meist bewacht von einem meiner älteren Geschwister an Heiligabend auf der Eckbank in der Küche, und wartete zusammen mit dem lieben Gott an der Wand und dem Teufel im Küchenherd auf das Christkind, das sich durch ein Glöckchen bemerkbar machte und irgendwie mit meinen Eltern unter einer Decke zu stecken schien.
Kohle – bitte keine heiße Asche einfüllen
Dass unser Küchenherd, der später nur noch zum Heizen diente, eine nach meinem Empfinden noch weitere diabolische Komponente an sich hatte, erfuhr ich, als ich alt genug war, Briketts oder Eierkohle aus dem ziemlich unheimlichen Keller zu holen, was ich stets in höchst möglichen Tempo absolvierte. Die Kohlen wurden früher durch die offenen Kellerfenster in die Keller geschüttet und ergaben dann einen Berg an der Wand, der nach und nach von unten abgebaut wurde, indem man die typische Kohlenschütte befüllte. Das Gegenstück dazu war der hinauszubringende Aschekasten zu den damals noch runden aus verzinktem Stahlblech gefertigten Aschentonnen. Die brauchten auch den früher unter dem Tankdeckel betagter Autos beliebten Aufkleber „Bitte keine heiße Asche einfüllen“ nicht, der eigentlich der ersten Generation von Kunststofftonnen vorbehalten war. Mit diesen endete auch die Ära, der von den Müllmännern mit unnachahmlichem Schwung und Geschwindigkeit gedrehten, runden Blech-Tonnen, um den Weg bis zum Müllwagen zurückzulegen.
Öl – ein Tropfen genügt
Eine heizungstechnische Weihnachtsherausforderung besonderer Art hielt aber ein anderer Ofen bereit, der eigentlich die Kohle ablösen sollte. Es war ein schwarz emaillierter Ölofen, der wie die Front eines Cadillac mit chromglänzenden Zierelementen stolz in der Ecke eines anderen Zimmers stand. Der Grund, warum man seiner Inbetriebnahme gerade zu Weihnachten nur schwer widerstehen konnte, war das große Sichtfester vor der Brennkammer, so dass die Anmutung eines offenen Kamins entstand. Jedoch baute sich vor dem erwählten Inbetriebnehmer, den man durchaus auch als Delinquenten hätte bezeichnen können, ein ganzes Schreckensszenario an möglichen Fallstricken auf. Das erste Problem war die Brennstoffbeschaffung. Der Ofen stand nämlich im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses und das Heizöl befand sich im Keller in einem 200 Liter Faß mit Handpumpe.
Transportiert wurde das Heizöl in einer verschließbaren Kunststoffölkanne, die einer Gießkanne für den Garten glich, aber es war praktisch unmöglich, das Einfüllen in die Kanne, wie in den Ofen, sauber über die Bühne zu bringen, und bereits wenige Tropfen, die daneben gingen, waren dazu geeignet, dem gesamten Haus den Geruch eines Schiffsmaschinenraums zu verpassen. Dann kam der Moment des Anzündens, den man, wenn überhaupt, nur noch mit dem aus dem Kino bekannten Moment des Durchschneidens des roten oder blauen Drahtes vergleichen konnte, da es beim Anzünden per Streichholz sehr oft zu einer eindrucksvollen Verpuffung kam, die den zu dieser Aufgabe Verurteilten jedesmal in einen kurzfristigen Schockzustand versetzte, und die in respektvollem Abstand wartenden Beobachter jedesmal zu einem fragenden Blick hinsichtlich seines Gesundheitszustandes veranlasste.
Aber dann brannte der Ofen endlich und alle waren begeistert. Problematisch war allerdings die Regelung dieses Ofens, welche an einem Weihnachten zu einer regelrechten Familienpanik führte. Da aufgrund zu viel eingefüllten Öls sich die Flammengröße nicht zu stabilisieren schien und das ohnehin schon immer etwas bedrohliche Bollern des Ofens absolut beängstigende Ausmaße annahm, flüchteten alle aus dem Raum. Der einhellig größte Weihnachtswunsch, der zum Glück in Erfüllung ging, bestand dann darin, dass der Ofen nicht explodiere. Eine Bescherung der besondern Art, die sich buchstäblich in unser Familiengedächtnis eingebrannt hatte.
Das sich so etwas auch auf anderem Wege bewerkstelligen ließ, stellte ich Jahre später unter Beweis, als ich auf die Idee kam, einen kleinen Weihnachtsbaum einfach Stück für Stück im offenen Kaminofen zu verbrennen und damit das ziemlich lange Kaminrohr in ein wunderbares Kirschrot verwandelte. Ein Experiment, das von da an die Liste der nicht zu wiederholenden Weihnachtsaktivitäten vervollständigte.
Gas – zu Gast bei Darth Vader
Irgendwann wurde dann die ganze abenteuerliche Holz-, Kohle- und Ölfeuerung durch eine vergleichsweise langweilige, aber sehr saubere und vernünftig regelbare Gasetagenheizung abgelöst, die den Eiskristallen auf den einfach verglasten Holzfenstern und an besonders kalten Tagen, dem weihnachtlichen Glitzern auf der Tapete der Schlafzimmeraussenwand ein Ende bereitete.
Ein letzter Ort der ungebändigten Naturgewalten, deren Herausforderung man sich zu stellen hatte, blieb allerdings bestehen – das Badezimmer. Hier trieb der uneingeschränkte Herrscher über Kalt- und Warm-Wasser sein Unwesen, und zwar in Form eines sogenannten Geysers, der einen ausgesprochen unberechenbaren Umgang pflegte. Er befand sich als bedrohliches Gebilde über dem Fußende der Wanne an der Wand und machte ein Bad gern einmal zu einem besonderen Erlebnis. In seinem äußeren Erscheinungsbild erinnerte er mit seinem helmartigen Abzugsaufsatz aus heutiger Sicht an Darth Vader aus Star Wars, nur eben in Weiß. Aber seine gesamte Ausstrahlung und der Respekt, den er in der ganzen Familie genoss, waren durchaus vergleichbar. Verantwortlich dafür waren diverse Stichflammen beim Versuch, ihn in Gang zu setzen, und mehr oder weniger starke Verpuffungen während des Betriebs. Eine Eigenschaft, mit der sich der Boiler die volle Aufmerksamkeit eines jeden Badenden sicherte. Hinzu kamen noch diverse Varianten der Dienstverweigerung, die gefühlt ganze Generationen von Heizungsmonteuren beschäftigte. Selbstverständlich ohne das sich nennenswerte Verbesserungen einstellten und sich lediglich die zweifelhaften Lustbarkeiten dieser Gerätschaft immer nur in die eine oder andere Richtung verlagerten.
Elektro – Besser die Klappe halten
Aber auch wenn man den nicht zu unterschätzenden Konsequenzen beim Einsatz fossiler Brennstoffe entgangen war, wartete in unserem Badezimmer gerade beim Baden auf den Nutzer noch ein ausgesprochen hinterhältiges Heizgerät auf Basis einer heute sehr beliebten Energieform – die elektrische Heizsonne. In Gefährlichkeit und Erscheinungsbild mit der Sonnenblume der Grünen verwandt, aber in ihrer Wirkung ungleich direkter.
Da unser Badezimmer trotz der mittlerweile Einzug gehaltenen Gasetagenheizung unbeheizt blieb und dies nicht in den Zuständigkeitsbereich besagten Darth Vaders fiel, blieb es im Winter eisig kalt. Was lag also näher, als eine Heizsonne aufzustellen, und das war keineswegs meine kindliche Idee – einfach ein bisschen aufpassen und nicht so rumplanschen. Die Heizsonne bestand aus einer Aluminiumschüssel, in deren Zentrum sich ein zylinderförmiges Keramikelement befand, in dessen Rillen sich die ungeschützte Heizwendel befand. Das dies nicht die optimale Beheizung für ein Badezimmer war, erfuhr ich dann einmal beim Abtrocken. Obwohl ich noch heute schwören könnte, das Ding nicht berührt zu haben, bekam ich einen so gewaltigen elektrischen Schlag, das ich Bekanntschaft mit der Zimmerdecke machte. Wieder unten angekommen, besann ich mich aber darauf, diesen Vorfall für mich zu behalten. In meiner Kindheit galt nämlich noch die Beweislastumkehr. Außerdem hätte es sich um einen kaum wieder aufzuholenden Kompetenzverlust im Umgang mit Elektrogeräten und damit verbundenen Freiheitseinschränkungen gehandelt – also beschloss ich, die Klappe zu halten und bei nächster Gelegenheit beiläufig den Verzicht auf solchen Badezimmerluxus anzumelden.
Wind, Wasser und Atom
Damit bin ich beinahe am Ende meiner Kindheitserfahrungen mit den unterschiedlichen Energieträgern angelangt. Eigentlich fehlen nur noch Atom, Wind und Wasser. Zu letzterem könnte ich noch unsere, mit einer früher gängigen Druckwasserspülung ausgerüstete Toilette anführen, die mit der Urgewalt einer geöffneten Talsperre arbeitete und dem Benutzer das sichere Gefühl gab, jeden Moment gleich mit heruntergespült zu werden. Windenergie hatte wir zwar keine, es sei denn man zählt den Zug durch die undichten Holzfenster dazu.
Dafür aber hatten wir Radioaktivität! Genau genommen hatte ich sie, in Form einer kleinen Madonnenfigur, etwa 15 Zentimeter groß und scheinbar massiv aus dem Zeug, aus dem früher die Ziffern von Armbanduhren gemacht waren, die im Dunklen leuchteten. Das waren damals noch radiumhaltige Leuchtfarben. Wo das Ding herkam, weiß ich nicht, nur dass es soviel Dampf drauf hatte, dass man eine kurze Zeit lang bequem im Dunkeln damit lesen konnte. So etwas würde heute wahrscheinlich einen Großalarm mit Evakuierung des gesamten Stadtteils zur Folge haben. Aber wie gesagt, man war damals nicht so zimperlich, und so habe ich auch die Madonnenfigur überlebt, selbst wenn manch einer geneigt sein mag, meinen Verbleib in der Katholischen Kirche nun mit der Wirkung radioaktiver Devotionalien zu erklären.
Der richtige Umgang mit Energieträgern, deren Nutzbarmachung und die Frage, wie man diese überlebt, ließen Gedanken zur Optimierung von Energieeinsparungen damals eher in den Hintergrund treten – und derart abgehärtet stehe ich heute meinem streikenden Heizungsventil recht gelassen gegenüber, obwohl – eine Sache ist da noch.
Der Ofen, den ich längst vergessen hatte. Er zählt zwar nicht zu meinen Kindheitserinnerungen, aber er hat auf andere Weise Eindruck auf mich gemacht. Es war der Hochofen 4 in Duisburg-Hamborn. Von all den vielen Anlagen, die ich während meiner Zeit in der Stahlerzeugung und sonstiger Schwerindustrie kennengelernt habe, war dieser Ofen derjenige, den ich immer am wenigsten leiden konnte. Er galt Ende der Siebziger Jahre als einer der modernsten Hochöfen überhaupt, und an ihm wurden viele neue Innovationen getestet und entwickelt, woran ich zu meinem Leidwesen viel zu oft beteiligt war und froh war, ihn irgendwann in seinem Chaos hinter mir gelassen zu haben.
Als ich nun unseren Weihnachtsschmuck sortierte und an all die Öfen und Heizungen dachte, fiel mir ein, dass immer zu Weihnachten, oben auf dem Hochofen 4, in luftiger Höhe, das Ding war so um die 70 Meter hoch, ein Christbaum stand, und wie der Gedanke an diesen Ofen, als ich vor kurzem erfuhr, dass er bereits 2012 abgerissen wurde, in mir doch tatsächlich eine gewisse Wehmut auslöste. Nicht dass ich ihn nun auf meinem Weihnachtswunschzettel hätte, aber in der Rückschau stand er in einer Weise für ein Lebensgefühl von Innovation und Fortschritt, wie man es heute gar nicht mehr nachvollziehen kann. Ebenso für meine persönliche Einsicht, dass für Wohlstand ein Preis zu zahlen ist, der sich auch schon mal in einem ungeliebten Aufenthalt am Hochofen 4 manifestieren kann, in einer Werks-Welt, die heute mehr denn je den meisten verschlossen bleibt. Nur zu Weihnachten, da war er mit seinem winzig wirkenden Weihnachtsbaum in luftiger Höhe eine kleine Attraktion für alle, die es nicht verlernt hatten, etwas genauer hinzuschauen.
Heute bestärkt mich diese Erinnerung, dass Weihnachten und Traditionen im allgemeinen nicht in Vergessenheit geraten sollten, egal wo und egal wie die Zeiten sind, und während ich so den Weihnachtsschmuck sortiere, kommt mir der Gedanke, ob ich nicht vielleicht beim diesjährigen Weihnachtsplätzchenbacken ganz unauffällig eine „4“ forme und diese ebenso dezent an die wenig frequentierte Seite unseres Weihnachtsbaumes hänge.
Von TE-Stammleser Johann Thiel