Sich selbst sieht Elon Musk vor allem als brillanten Techniker und Unternehmer. Aber ohne eine besondere zusätzliche Fähigkeit wäre der 51jährige Amerikaner mit südafrikanischen Wurzeln nicht dorthin gekommen, wo er jetzt steht: Musk ist ein veritables Unterhaltungstalent. Seit der Tesla- und Starlink-Gründer den Kurznachrichtendienst Twitter im Oktober für 44 Milliarden Dollar übernommen hatte, informierte er seine Anhängerschaft über fast jeden Schritt als neuer Chef des kalifornischen Unternehmens mit dem blauen Vogel. Sein Millionenpublikum erfuhr auf diese Weise, dass der neue Eigentümer an vielen Abenden auf einem Sofa in der Bibliothek des Twitter-Hauptquartiers übernachtete. Am Montag überraschte Musk die Öffentlichkeit mit einer Twitter-Abstimmung: „Soll ich als Unternehmensführer von Twitter zurücktreten?“ fragte er, und fügte hinzu, er würde das Ergebnis der Abstimmung in jedem Fall akzeptieren.
Macht Elon Musk nun Donald Trumps Schwiegersohn zum Twitter-Chef?
Der Multi-Unternehmer Elon Musk ließ bei Twitter über sich als Unternehmenschef abstimmen – und wird wohl demnächst an einen Nachfolger übergeben. Seit Übernahme der Aktienmehrheit im Oktober änderte er die Unternehmenspolitik der Plattform radikal. Und er dürfte sie auch in Zukunft prägen.
Einige Stunden später stand das Ergebnis fest: Gut 58 Prozent votierten dafür, dass Musk seinen CEO-Posten räumen sollte – bei über 17,5 Millionen Abstimmungsteilnehmern. Mit seiner Aktion scheint Musk seinen Abgang von der Spitze der Plattform selbst organisiert zu haben. Denn es galt von Anfang an als unwahrscheinlich, dass der Multi-Unternehmer dauerhaft Twitter-Vorstandschef bleiben würde. Diejenigen, die für seinen Abgang stimmten, dürften bei weitem nicht alle Musk-Gegner sein. Im Gegenteil: Etliche Anhänger meinen, jetzt, da er dort einen Kulturwandel durchgesetzt habe, sollte er sich wieder um das sehr viel komplexere Unternehmen Tesla kümmern. Dessen Aktienkurs war in den letzten Wochen stark gesunken – vor allem, weil Musk massiv eigene Aktien verkaufte, um seine operative Kasse zu füllen.
Mit Twitter übernahm der Tech-Unternehmer eine schwer kranke Firma: Der 2006 gegründete Kurznachrichtendienst verbuchte 2021 bei einem Umsatz von fünf Milliarden Dollar einen Nettoverlust von 221 Millionen Dollar. Die Plattform hängt außerdem fast völlig von Werbeeinnahmen ab, die im vergangenen Jahr 92 Prozent des Umsatzes ausmachten. Bis jetzt hat das Unternehmen kaum Wege gefunden, seine Nutzer zu monetarisieren.
Als Musk ins Twitter-Hauptquartier einzog, schockte er die Mitarbeiter mit der Ankündigung, eine Pleite sei nicht ausgeschlossen – falls sich die Firma nicht radikal ändern sollte. Und diese Änderungen setzte er zusammen mit einem kleinen Mitarbeiter-Team in beachtlicher Geschwindigkeit und Rücksichtslosigkeit durch: Von den ehemals 7500 Mitarbeitern blieben nach Wochen des Rauswurfs nur 2 700 übrig. Die Tatsache, dass Twitter trotz des massenhaften Personalabgangs immer noch funktioniert (wie Musk twitterte: „besser“), demonstriert, was nicht wirklich als Geheimnis in San Francisco galt: in der Plattform gab es eine große Zahl von Angehörigen der so genannten „Managerial class“, Angestellte, die zum eigentlichen Unternehmenszweck wenig bis nichts beitrugen, aber hohe Gehälter kassierten. „Für jeden, der hier programmiert, scheint es zehn zu geben, die irgendetwas managen“, spottete Musk kurz nach der Übernahme. Nach seinen Worten soll das Unternehmen in Zukunft wesentlich stärker durch Ingenieure und Softwareschreiber bestimmt werden.
Durch die Massenentlassung reduzierte der neue Eigentümer den Kostenblock der notleidenden Plattform erheblich. Die Tatsache, dass Twitter seit Oktober fast täglich in den Nachrichten auftauchte – auch deshalb, weil Musk sich alle Mühe gab, Angriffe der woken und linken US-Intelligenzia auf sich zu ziehen – funktionierte offenbar als gewaltige Gratis-Werbeoffensive. Im November erreichte Twitter erstmals die Marke von weltweit 250 Millionen täglichen aktiven Nutzern (monetiziable daily active user, mDAU). Diese Gruppe der hoch aktiven Nutzer gilt als harte Währung. An Ende des 2. Quartals 2022 lag ihre Zahl noch bei 237,8 Millionen. Mit der Einführung des kostenpflichtigen blauen Hakens (blue verified) könnte Musk einen Weg gefunden haben, die Abhängigkeit von Werbeeinnahmen allmählich zu senken.
Nach außen wirkte vor allem die neue Moderationspolitik von Twitter spektakulär: Mit der Übernehme durch den Tesla-Eigner endete der so genannte Shadow Ban für konservative und politisch mittige Teilnehmer, der bis dahin dafür gesorgt hatte, dass deren Inhalte seltener angezeigt wurden, während linke Inhalte teils massive technische Unterstützung erfahren hatten. Das alte Management von Twitter leugnete diese Praxis öffentlich. Als konservative Nutzer ab November 2022 plötzlich über Nacht zehntausende neue Follower gewannen und linke schlagartig tausende verloren, zeigte sich: Der Shadow Ban war lange heimliche Firmenpolitik von Twitter – und Musk beendete diese. „Das ist keine rechte Übernahme von Twitter“, meinte Musk vor der Belegschaft, „das ist eine Übernahme durch den gemäßigten Flügel.“ Um „der digitale Marktplatzt in der Stadt zu werden“, so Musk, „müssen wir Leute mit einem weiten Spektrum an Ansichten repräsentieren, auch, wenn wir mit diesen Ansichten nicht einverstanden sind.“
Gelöscht werden allerdings nach wie vor Tweets, die zu Gewalt und Rechtsbruch aufrufen oder so genanntes Doxxing darstellen – also die Verbreitung von privaten Daten zu einer Person gegen den Willen des Betroffenen. Darüber gab es vor wenigen Tagen eine heftige Auseinandersetzung: Twitter hatte eine Reihe von amerikanischen Journalisten-Konten mit dem Doxxing-Vorwurf gesperrt – was die Betroffenen bestritten. Inzwischen sind ihre Konten wieder entsperrt.
Als Ziel für das Unternehmen hatte Musk kürzlich in einem Gespräch mit dem Autor Jordan B. Peterson vorgegeben, Twitter sollte „in 12 bis 18 Monaten die Zahl von einer Milliarde Nutzer überschreiten“. Dann könnte die Plattform tatsächlich zum ersten Mal profitabel werden.
Viele Beobachter vermuten, dass Musk schon den neuen CEO für Twitter kennt, der nach dem ersten großen Aufräumen dieses mittelfristige Ziel ansteuern soll. Gerüchteweise wird Jared Kushner genannt, Anwalt, Investor – und Ehemann der Trump-Tochter Ivanka. Mit Kushner zeigte sich Musk beim Endspiel der Fußball-WM in Katar auf der Prominentenbühne. Es gibt noch ein anderes Indiz, das darauf hindeutet, der nächste Twitter-CEO könnte die Linken möglicherweise genauso aufregen wie der aktuelle. Den Wohlmeinenden, die schon bei der Nachricht über das Abstimmungsergebnis jubelten, schrieb Musk: „Wie das Sprichwort sagt: sei vorsichtig mit dem, was du wünschst – denn es könnte in Erfüllung gehen.“
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