In gewisser Weise ist es ruhig geworden um den russischen Überfall auf das Nachbarland Ukraine. Nach der Befreiung der westlich des Dnipro gelegenen Region Cherson im Spätsommer bleiben Erfolgsmeldungen aus. Ein paar vorgebliche Quadratmeter Landgewinn hier, zurückgeschlagene Attacken dort – glaubt man den Militärpressestellen in Moskau und Kiew. Ansonsten hat Putin einen Strategiewechsel vorgenommen. Angesichts der zunehmenden Erfolgslosigkeit seiner Bodentruppen versucht er den Widerstandswillens der attackierten Bevölkerung durch gezielte Zerstörung der infrastrukturellen Lebensgrundlagen zu zermürben. Daneben gibt es Überlegungen, neue Fronten zu installieren, um das ursprüngliche Kriegsziel doch noch zu erreichen. Und die Anlage von kleinen Maginot-Linien in der Angst davor, dass die Ukraine tatsächlich sogar das bereits sicher geglaubte Diebesgut zurückholen könnte. All das wiederum flankiert durch ständig wiederholte Vernichtungsfantasien gegen die NATO in der Hoffnung, die Militärstrategen im Westen vor einer vielleicht unvermeidlichen Konsequenz abzuhalten.
Kaum noch Bewegung und scheinbar keine Optionen
In der Ukraine ist es kalt geworden. Das gilt nicht nur für die Unterstände der Soldaten beider Seiten an den Frontlinien – dank Unterstützung durch die Radikalmuslime in Teheran, die derzeit damit beschäftigt sind, die Freiheitswünsche der eigenen Bevölkerung niederzuknüppeln, schaltet Russland derzeit regelmäßig die Strom-, Wasser- und Heizversorgung der ukrainischen Metropolen aus. Die Reparaturtrupps sind im Dauereinsatz – und kaum waren sie erfolgreich, startet aus Russland die nächste Welle. Der gezielte Angriff auf die zivile Infrastruktur gilt nach internationalem Völkerrecht als Terror und Kriegsverbrechen. Aber das traf ebenso für den unprovozierten Überfall Russlands auf das Nachbarland im Februar des Jahres und im Jahr 2014 zu – insofern auch in Moskau nichts neues.
So wirkt der Verteidigungskampf der Ukrainer ebenso wie die Kriegswalze Russlands derzeit wie eingefroren – und alle Beteiligten, auch die Ukraine-Unterstützer im Westen, befinden sich scheinbar in der Sackgasse. Über Optionen darf spekuliert werden.
Russlands Vernichtungsfeldzug gegen die Nationalisten
Ich sagte es schon im März: Der Kreml glaubt seine eigenen Lügen. Waren es erst „nur“ wenige Faschisten, die in Kiew die Macht an sich gerissen hatten, um die angeblich zwangsweise zu Ukrainern gemachten Russen jenseits der Grenzen der Russischen Föderation zu knechten, hat sich in Moskau mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch diese gefühlten Russen zu annähernd 100 Prozent faschistische Nationalisten sind, die bedenkenlos getötet, zumindest jedoch vertrieben werden dürfen. Anders zumindest ist der Terror gegen die zivile Infrastruktur nicht zu erklären, denn er trifft ja nicht jene wenigen „Regierungsfaschisten“ um Wolodymyr Selenskyj, sondern vor allem jene gefühlten Russen, um deren vermeintliche Befreiung willen Putin seine „militärische Spezialoperation“ vorgeblich gestartet hatte.
Ein Stellungskrieg mit hohem Blutzoll
Militärisch befindet sich der Konflikt in der Sackgasse. Entlang der Frontlinie haben sich die Gegner eingegraben und beharken sich mit Artilleriegefechten und versuchten Vorstößen, welche, glaubt man der Ukraine, vor allem auf russischer Seite einen hohen Blutzoll fordern sollen.
Der Winter tut das seine, um die Bewegungslosigkeit zu manifestieren. Auch hier sollen die Russen die schlechteren Karten haben, scheinen doch Nachrichten an die Daheimgebliebenen zu belegen, dass vor allem die Zwangsrekrutierten Russlands ihre wärmende Wäsche selbst erwerben müssen. Zudem scheint die klassische Missachtung des Einzelnen nicht nur bei der regulären Armee, sondern auch bei den Söldnertruppen von Wagner und den Tschetschenen einen unerwartet hohen Blutzoll einzufordern. Die Wagnersöldner sollen ihre Rekruten verheizen wie andere das Stroh im Bollerofen, heißt es. Verbürgt zumindest ist ein gezielter Schlag der Ukraine gegen einen Kommandostand der Kadyrowski aus Tschetschenien.
Was hat Russland in der Hinterhand?
Gleichwohl ist das Personalverhältnis eher zu Ungunsten der Ukraine ausgelegt. Russland, so wird anhand unterschiedlicher Quellen angenommen, soll mittlerweile mehr als 100.000 seiner Soldaten verloren haben. Die Ukraine meldet diese Verluste als Tote. US-Analysen gehen zumindest davon aus, dass mehr als 25.000 Russen nicht mehr zu ihren Familien zurückkehren – und weitere bis zu 100.000 dieses als Verwundete und Krüppel tun werden. 25.000 Opfer – das ist auch die Zahl, die als Blutzoll der Ukraine angenommen wird. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass die russische Seite mit im Ergebnis erfolglosen, aber umso vehementer geführten Attacken deutlich mehr Personal einbüßt, als die ukrainischen Verteidiger zu beklagen haben.
Doch Russland hat mehr Personal in der Hinterhand. Auch wenn ein Teil der eiligst mobilisierten Männer, deren vorgebliche Gesamtzahl von 300.000 von Beobachtern als zu hoch angezweifelt wird, offenbar mit Vorsatz in die Knochenmühle geschickt wurde, soll Russland gegenwärtig mindestens 200.000 Mann vorhalten, die zum Einsatz trainiert werden. Tatsache aber bleibt auch, dass Putins Überfall einige der klassischen, russischen Eliteeinheiten gänzlich aufgerieben hat. Das vom Kreml mittlerweile ins Feld geführte Personal ist zunehmend weniger kampffähig – und zudem von Zwangsrekrutiertem zu Zwangsrekrutiertem weniger motiviert.
Nicht zuletzt deshalb unternimmt Putin den Versuch, in Belarus Hilfstruppen für einen neuen Vorstoß auf Kiew und möglicherweise auch Lemberg/Lwiw zu rekrutieren. Unterstützung aus anderen früheren Sowjetrepubliken kann der Chef im Kreml nicht mehr erwarten – zu groß ist dort mittlerweile die Befürchtung, im Falle eines russischen Erfolgs in der Ukraine selbst zum nächsten Opfer der imperialen Großmachtträume Putins zu werden. So entstehen hier nun jedoch Rechnungen, deren Begleichung Putin einfordern könnte, sollte er den gefühlten Verrat der bisherigen Verbündeten an seinem Kampf gegen Kiew überleben. Das allerdings wissen auch die Herren in Astana, Jerewan und anderswo, die zunehmend auf Distanz zum Kreml gehen und von Tag zu Tag mehr hoffen, dass Russland nicht erfolgreich sein möge.
Putins Vabanque mit Belarus
Putins Besuch in Minsk kurz vor dem katholischen Weihnachtsfest dürfte nicht zuletzt deshalb vorrangig dem Ziel dienen, den bislang zögerlichen Aljaksandr Lukaschenka in den Kampf zu zwingen. Der weißrussische Diktator befindet sich in der Zwickmühle. Ohne Putins Rückendeckung hätten ihn die Bürgerproteste nach der von ihm gefakten Wahl längst hinweggefegt. Zudem stationiert Putin seit geraumer Zeit erhebliche Truppenteile in Belarus. Sie könnten den Zweck erfüllen, vom Norden aus erneut in die Ukraine vorzudringen und so Entlastung für die festgefahrenen Fronten im Osten und Süden der Ukraine zu schaffen. Sie könnten zudem den Zweck erfüllen, eine zum Mitkämpfen gezwungene, weißrussische Armee bei der Stange zu halten. Nicht zuletzt auch könnten sie, sollte es darauf ankommen, Lukaschenka selbst zur Geisel Moskaus nehmen. Denkbar bleibt aber auch, dass sie ungewollt das Ende des russischen Imperiums und damit das Ende Putins organisieren.
Denn ob die belarussischen Sicherheitskräfte auch dann noch hinter ihrem Diktator stehen, wenn dieser sie als Kanonenfutter gegen die ukrainischen Nachbarn einsetzen muss, ist nicht ausgemacht. Zwar hatten sie wenig Skrupel, die eigene Bevölkerung zu unterdrücken, solange der Chef in Minsk ihre Pfründe garantierte. Damit aber könnte es schlagartig vorbei sein – und spätestens dann, wenn sich ganze Einheiten dem Kriegseinsatz verweigern oder sogar auf die Seite der Bevölkerung stellen sollten, könnte es mehr als eng werden für den Ex-KGB-Mann Lukaschenka.
Dem scheint dieses Risiko bewusst zu sein, weshalb er sich bislang stets bemüht hat, Putins Avancen zum Kriegseintritt zwar freundschaftlich, aber doch konsequent zu umschiffen. Dem Russen wiederum scheint die Möglichkeit eines Abfalls der Weißrussen – oder auch nur eines Bürgerkriegs im Land zwischen Baltikum und der Ukraine – gänzlich undenkbar. Doch es könnte zum Funken werden, der in Russland selbst den Unmut über den Einsatz zum Explodieren bringt.
Probleme mit dem Kriegsgerät
Die Ukraine jedenfalls versucht seit geraumer Zeit, innerhalb der Russischen Föderation vorhandene Sollbruchstellen zu strapazieren. Deren zu Beginn der „Spezialoperation“ beschrittene Weg, die Invasionsarmee vorrangig aus Freiwilligen aus den Kaukasus- und Sibirienprovinzen zu bestücken, hat nicht nur in Dagestan angesichts ausbleibender Nachrichten von Familienangehörigen und heimkehrender Särge Unmut organisiert. Zwar hat Putin die Lage auch in den Kreml-fernen Regionen bislang unter Kontrolle – doch nicht selten in der Geschichte waren es scheinbar unbedeutende Ereignisse, die große Reiche ins Wanken gebracht haben.
Spürbare Probleme hat Russland offenkundig bereits bei der Versorgung seiner Armee mit Drohnen und Lenkwaffen. Da wird der Massenimport kostengünstiger Einfachdrohnen aus dem Iran zum Fundament für die Attacken auf die zivile Infrastruktur auch dann, wenn deren Abschuss- und Ausfallquote vergleichsweise hoch sein soll. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass immer noch genug dieser Waffen ihr Ziel erreichen, um die Strom-, Wasser- und Heizungsversorgung des überfallenen Landesdeutlich spürbar zu beschädigen.
Der Ukraine wiederum geht es kaum besser. Immer noch ausgerüstet mit Waffen aus Sowjetproduktion, geht ihr in vielen Waffengattungen die Munition aus. Lieferant Russland fällt aus – und auch sonst ist dieses Kriegsgerät zunehmend schwerer zu erhalten.
Der Kampf am Boden hat sich deshalb festgefahren. Nicht so allerdings Russlands Vorgehen aus dem sicheren Hinterhalt. In der Luft hat es Russland im Gegensatz zum Bodenkampf derzeit recht komfortabel. Selbst die iranischen Drohnen können fernab von der Front gestartet werden. Marschflugkörper und Lenkwaffen beginnen ihre tödliche Reise sogar weit entfernt über dem Kaspischen Meer, abgeschossen von strategischen Bombern fern jeder Kampflinie. Und doch war es der Ukraine jüngst gelungen, mit einem unerwarteten Coup etwas Unruhe in die russische Militärführung zu bringen.
Am 5. Dezember kam es auf den Stützpunkten der strategischen Atombomber im Gebiet Rjasan und bei Saratow zu Attacken mit offenbar aus der Sowjetzeit stammenden Marschflugkörpern. In welchem Umfang dabei Bomber beschädigt oder zerstört wurden, war auf Satellitenaufnahmen nicht ersichtlich – Russland jedenfalls räumte lediglich drei tote und vier verletzte Soldaten ein. Dennoch war die Militärführung geschockt – auch deshalb, weil diese veralteten Systeme, die offenbar in der Ukraine gestartet waren, den langen Flug über russisches Territorium weitgehend unbemerkt schaffen konnten.
Die Angst vor dem Übergreifen auf Russland
Ohnehin scheint es gegenwärtig Putins größte Angst, dass der von ihm begonnene Krieg in spürbarem Umfang russisches Kernland erreichen könnte. Die russischen Propagandisten werden deshalb nicht nur nicht müde, die Legende von einer ukrainischen Kriegsschuld zu verbreiten – im Internet kursiert sogar ein Film, der einen offenbar angetrunkenen Putin zeigt, der als Grund für die Terroraktionen gegen die Infrastruktur den vermeintlichen Angriff der Ukraine auf die Brücke von Kertsch nennt und den Vorlauf seines völkerrechtswidrigen Überfalls gänzlich ausblendet. Vor allem aber gefällt sich Moskau in verbalen Attacken gegen die Unterstützer der Ukraine, denen mit Konsequenzen unerwarteten Ausmaßes gedroht wird, sollten ihre Waffenlieferungen dazu eingesetzt werden, die Zerstörung auf russisches Gebiet auszudehnen.
Bislang kuscht der Westen in dieser Frage artig, doch die Kämpfe werden so nicht zu beenden sein. Denn aktuell sorgen die westlichen Waffenlieferungen lediglich dafür, dass sich die Gegner gegenseitig in Schach halten können. Weder ist so Russland in der Lage, die Ukraine wie gewünscht in die Knie zu zwingen, noch wird die Ukraine in die Lage versetzt, ihr Territorium bis an die Landesgrenze zu befreien und so den Gegner zur Aufgabe seiner Ambitionen zu zwingen.
Die Illusion von 300 Panzern und Frieden
Nicht ohne Grund unterstrich deshalb der ukrainische Oberkommandierende Walerij Saluschnyj in einem Gespräch mit dem britischen Economist, dass er für einen Sieg über die russische Armee 300 Kampfpanzer, 600 bis 700 Schützenpanzer und 500 Haubitzen benötige. Solche Zahlen sind illusorisch auch ohne Blick auf das „Puma“-Desaster der Bundeswehr – und so wirkt der Konflikt wie auf einem unsichtbaren Status Quo eingefroren.
Ein wenig Verlust ukrainischen Territoriums – zu teuer als Preis für einen gefühlten Frieden, wenn zum Ausgleich wieder günstiges Gas- und Öl aus Sibirien in der EU landet?
Russlands Selbstvernichtung oder aktives Eingreifen von außen
Das Problem: Das, was mittlerweile als Angriffskrieg bezeichnet wird, ist in sich selbst zu teuer geworden. Die Schäden und Zerstörungen, die Putins Terror in der Ukraine verursacht hat und noch verursachen wird, sollen von Russland bezahlt werden. Das allerdings wird nur dann geschehen können, wenn ein Nachkriegsrussland ähnlich hilflos am Boden liegt wie das Deutsche Reich nach 1918 und 1945. Dazu wiederum wird es nicht reichen, in der Ukraine lediglich gegenzuhalten – dazu muss Russland nach der Sowjetimplosion von 1989/90 in die nächste Phase des Zerfalls eintreten.
Wie diesen Prozess aber organisieren, ohne selbst aktiv einzugreifen? Bislang scheint die Antwort auf diese Frage in eben jener Zurüstung zu liegen, die Russlands Sieg verhindert – aber auch einen der Ukraine nicht zulässt. Ein Verschleißkrieg, der erwartbare Offensiven vor allem der russischen Seite immer teurer werden lässt – und der gleichzeitig verhindert, dass Kiew triumphierend auf russisches Staatsgebiet vorstößt. Russland soll sich am Ende selbst zerstören im Versuch, über die Ukraine den Westen zu zerstören.
Doch kann eine solche Strategie der NATO-Staaten dauerhaft funktionieren? Einen schlecht ausgerüsteten Stellvertreter einen Krieg führen lassen, in den man selbst längst unmittelbar verstrickt ist, ohne jedoch selbst Kriegspartei werden zu wollen?
Völkerrechtlich gilt nach wie vor: Jedes Mitgliedsland der NATO wie auch jedes andere hätte jederzeit das Recht, an der Seite der Regierung in Kiew unmittelbar in die Verteidigung des Landes gegen den Angreifer einzugreifen. Putin selbst hat mit seinem Vorgehen in Syrien das Muster geliefert: Assad rief – Moskau kam und sicherte dem wankenden Präsidenten das politische Überleben.
Ein entsprechendes Eingreifen westlicher Armeen in eine um solche Hilfe nachsuchenden Ukraine wäre nichts anderes. Moskau weiß das und droht in solchen Fällen mit dem Einsatz strategischer A-Waffen gegen die NATO. Doch auch das stellt sich komplizierter dar, als es zu sein scheint. Angenommen, ein NATO-Staat stationierte zur Verteidigung der Ukraine eigene Einheiten außerhalb des Bündnisgebiets. Solange dieses nicht auf einem NATO-Beschluss beruht, hätte die NATO damit nichts zu tun und Moskau stünde vor der Situation, mit einem eigenen Angriff gegen diese Einheiten tatsächlich den NATO-Bündnisfall zu provozieren, oder aber dieses Eingreifen in irgendeiner Weise akzeptieren zu müssen. Schließlich hat auch NATO-Mitglied Türkei das Bündnis nicht gefragt und Russland kein Problem damit, als Erdogan in Syrien einmarschierte. Und dort war er nicht einmal gerufen worden.
Putin lebt von seiner scheinbaren Unberechenbarkeit
Die Tatsache, dass ein solche Vorgehen westlicher Nationen bislang ausgeblieben ist, liegt maßgeblich in der Unberechenbarkeit der Kreml-Führung. Die USA und ihre Verbündeten könnten den Krieg auch ohne NATO-Engagement in wenigen Tagen beenden, wenn sie entsprechend vorgingen und die Ukraine unter ihre militärischen Fittiche nähmen. Putin müsste dann entscheiden: Aufgabe und Rückzug oder Selbstvernichtung durch einen in Russland gestarteten atomaren Erstschlag.
Weil das so ist, spielt er gezielt und bislang erfolgreich mit genau dieser Option. Wobei niemand im Westen tatsächlich weiß, wie gefährlich das angeblich größte Atomwaffenarsenal der Welt heute noch ist. Die NATO meinte auch zu wissen, dass Russlands konventionelle Armee fast unschlagbar ist, bis Putin das Gegenteil unter Beweis stellte. Ob über dreißig Jahre nach dem Untergang der Sowjetunion der kostenintensive Unterhalt der Massenvernichtungswaffen angesichts von Schlendrian und Korruption deren Einsatzfähigkeit gewährleistet hat, bleibt Spekulation.
Russland darf nicht gewinnen
Keine Spekulation hingegen ist, dass Russland seinen Krieg gegen die Ukraine aus westlicher Sicht keinesfalls gewinnen darf. Denn dann wären all die Investitionen, die auf westlicher Seite bislang getätigt wurden, um die Ukraine im Kampf gegen den Gegner auf Augenhöhe zu halten, umsonst gewesen. In den Hinterzimmern des Geldes laufen längst schon Planspiele, die die zunehmend fragile weltwirtschaftliche Situation zumindest auf Seiten von EU und USA deutlich stabilisieren sollen. Ist die Bedrohung aus Moskau aus der Welt, könnte eine im Westen eingebundene Ukraine zum Motor eines neuen, globalen Aufschwungs werden. Der mit westlichem Kapital finanzierte Wiederaufbau des Landes schüfe, ähnlich der BRD nach 1945, ein hochmodernes, leistungsfähiges Industrie- und KI-Land, dessen Prosperität auf die an eigener Überalterung leidenden Volkswirtschaften des Westens wie ein Jungbrunnen wirken könnte.
Zynisch formuliert könnte man deshalb sogar auf die Idee kommen, dass Russland in der Ukraine noch nicht genug zerstört hat, um die kapitalistische Wertschöpfungsmaschinerie mit entsprechender Durchschlagskraft anzuwerfen. Vielleicht aber muss das Morden und Zerstören auch deshalb noch etwas andauern, um eines Tages nach dem Wiederaufbau der Ukraine diesen Vorgang in einem sich selbst zerlegenden Nach-Putin-Russland wiederholen zu können. Daran könnten dann sogar die gegenwärtigen Zaungäste in Peking und Delhi regen Anteil nehmen. Geld ist schließlich immer da, wenn es gebraucht wird. Und die Voraussetzungen, aus den unendlichen Weiten zwischen Ostsee und Pazifik prosperierende Landschaften ohne den Hemmschuh einer im 19. Jahrhundert verhakten Führung zu machen, standen noch nie so gut.
Nicht nur Kapital und Politik suchen nach sinnvoller Beschäftigung und der Chance, die Zerrüttungen des globalen Handels und der Corona-Panik in einer neuen Dynamik auch ohne Klima-Panik zu überwinden. Um zu verstehen, wie eine neue Goldgräberstimmung aussehen könnte, ist allerdings eine Erkenntnis unvermeidbar, die in den Thinktanks mittlerweile mit Blick auf die Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts gewonnen wurde. Damals vertraute das Kapital darauf, dass das nachsowjetische Russland aus sich selbst heraus den Weg zur marktorientierten Dynamik finden würde. Die daraus entstandene Situation eines mafiös-despotischen Herrschaftssystems soll künftig um jeden Preis vermieden werden. Weshalb auch deshalb der Zermürbungskrieg noch einige Runden vor sich haben könnte, ohne sich zu einem globalen Schlagabtausch entwickeln zu dürfen.