Tichys Einblick
babylonische Gefangenschaft der Träumer

Robert Habecks Jahr der Industrie und das stille Sterben der deutschen Wirtschaft 

Während Robert Habeck von einem „Jahr der Industrie“ 2023 träumt, wird immer deutlicher, dass „Klimaneutralität“ tatsächlich Industrieneutralität bedeutet. Nicht einmal im Bereich der von ihm gehätschelten All-Electric-Industrie reüssiert seine Wirtschaftspolitik. 

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf der Hanover-Messe am 31.05.2022

IMAGO / Future Image

Die gute Nachricht lautet: Die Rettung ist geglückt. Robert Habeck, der glaubt, dass Politik Kommunikation ist, hat unlängst kommuniziert: „Das nächste Jahr wird ein Jahr der Industrie werden. Die Preise werden runtergehen. Wir werden den Standort Deutschland sichern.“ So staunenswert einfach ist die Rettung geglückt, durch einen simplen Satz des Wirtschaftsministers. Wie gut, dass Deutschland einen Wundermann wie Robert Habeck besitzt, der die Probleme einfach syntaktisch löst: „Die Wirtschaft hat erkannt und will die Dekarbonisierung zu einem Geschäft und Erfolgsmodell für den deutschen Standort, für die deutsche Industrie machen.“ „Klimaneutralität“ durch Industrieneutralität, denn der Wettbewerb findet nicht mehr um die besten und preiswertesten Produkte statt, sondern über die Klimaneutralität, denn „jedem müsste jetzt klar sein, dass der Wettbewerb um die zukünftigen Märkte über die Klimaneutralität der Produktionsweisen erfolgt. Das weiß die Wirtschaft – die muss ich nicht überzeugen.“

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Ein Blick in die Wirtschaft zeigt, wie die Wirtschaft auf dem Weg in die Habecksche Industrieneutralität vorankommt. Deutschlands drittgrößte Industriebranche, die chemische Industrie, wird im Jahr 2022 um sechs Prozent Prozent geschrumpft sein. Laut Verband der Chemischen Industrie ist „jedes vierte Unternehmen … in die roten Zahlen gerutscht oder sogar von Insolvenz bedroht.“ Eine Mitgliederbefragung im Verband offenbart eine erschreckende Perspektive, denn fast 40 Prozent der Firmen drosseln die Produktion oder planen die Reduktion der Produktion, um Energie und große Verluste zu sparen. Sie folgen dem Rat des Wirtschaftsministers, mal einfach eine Weile nicht zu produzieren. Klimaneutralität lässt sich am besten auf dem Weg der Industrieneutralität erreichen. 

Besonders hart trifft es den Mittelstand, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, denn die Konzerne können Teile ihrer Produktion auslagern, zum Beispiel in die USA, wozu Bidens Inflation Reduction Act, der am 1. Januar in Kraft tritt und von Habeck bejubelt wird, starke Anreize bietet. Der Hauptgeschäftsführer des VCI, Wolfgang Große Entrup, geht übrigens davon aus, „dass das Instrument Kurzarbeit ab dem Frühjahr in extremem Ausmaß in Anspruch genommen wird“. 

Der Wumms und der Doppelwumms der Ampel funktioniert wie alle Comic-Lösungen nur im Comic, nicht aber in der Realität. Aus drei Gründen nicht, nicht für die Privathaushalte, nicht für die Industrie. Erstens will die Regierung vermeiden, die Empörung der Bevölkerung über nicht mehr bezahlbare Energiepreise in einen Aufstand zu treiben, vor dem sich nicht nur Annalena Baerbock fürchtet, wozu man den Energiepreis für den Energiekunden irgendwie deckeln muss, zweitens will die im Kern grüne Bundesregierung das Volk zum Energiesparen zwingen, um aktiv in das Privatleben der Bürger hineinzuregieren, wie man es in diesem Ausmaß bisher nur aus Diktaturen kennt. Deshalb wird drittens ein Bürokratiemonster (Doppelwumms) erfunden, das nicht funktionieren wird, zumindest nicht für die Privatkunden und auch nicht für die mittelständische Industrie. Der Präsident des VCI, Markus Steilemann, resümiert: „Die Hürden für unsere Unternehmen, die Hilfen in Anspruch zu nehmen, sind brutal.“ Und er kritisiert die Regierung dafür, dass sie es versäumt hat, „auf EU-Ebene für das Gelingen der Energiepreisbremsen zu sorgen“.

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Frankreich hat beispielsweise überhaupt kein Problem damit, denn Frankreich subventioniert den Strom, indem Frankreich einen von der EU-Kommission akzeptierten Industriestrompreis besitzt, während Deutschland die Stromkosten der Industrie durch ein kompliziertes System von Entlastungen kompensieren möchte, das jedes Jahr neu beantragt werden muss und auch deshalb so kompliziert ist, weil die EU-Kommission in der einen oder anderen Entlastung unzulässige Beihilfen erkennen will. Entweder schließt die EU-Kommission vor französischen Interessen die Augen, während sie die deutschen mit der Lupe prüft, oder die Franzosen haben mit Blick auf Brüssel das schlauere System – oder eben beides. Allerdings lehnt Habeck die Idee des Industriepreises ab und begründet das damit, dass das nur der „schnellere und angenehmere Weg“, doch nicht der bessere sei, schließlich, könnte man hinzufügen, stünde er Habecks Großer Transformation im Weg. Markus Steilemann vom Verband der Chemischen Industrie spricht jedenfalls laut Handelsblatt vom „Industriesterben“ und von „unterlassener Hilfeleistung“. 

Man könnte diese Entwicklung auch in anderen Industriezweigen beobachten, es würde das Bild einer an energetischer Auszehrung sterbenden Volkswirtschaft ergeben. Denn ein ähnlich düsteres Bild zeichnet sich für die metallverarbeitende, für die metallherstellende Industrie, für die Bauindustrie und für die Glas- und Keramik-Herstellung ab. Die Schnapsidee vom grünen Stahl wird die Stahlindustrie in Deutschland erledigen, denn der grüne Stahl ist nicht und wird nicht konkurrenzfähig sein. Er könnte in Deutschland nur mit Subventionen produziert werden und bedürfte strikter Vorgaben, so etwa dass der in Deutschland produzierte grüne Stahl von deutschen Firmen gekauft werden muss. Habeck plagen keine marktrechtlichen Bedenken, er will 2023 mit einigen Konzernen Klimaverträge abschließen, heißt: Gegen Subventionen und Maßregeln verpflichten sich die Konzerne, bestimmte Vorgaben der Regierung zu erfüllen. Vom Klimaschutzvertrag bis zum ersten Vier- oder Fünfjahresplan ist es dann nicht mehr weit. 

In der Wirklichkeit sieht es inzwischen so aus: Aufgehört zu produzieren haben Firmen wie der Metallguss im brandenburgischen Finsterwalde oder die Heger-Gruppe in der Pfalz. Einer der beiden Geschäftsführer von Druckguss Westfalen, Rolf Cramer, prognostiziert: „Kurzfristig werden viele Kunden die Preiserhöhungen zwar mittragen – langfristig aber werden sie zu Lieferanten wechseln, die deutlich niedrigere Energiekosten haben.“ Und die sitzen in China oder in den USA. 

Das Handelsblatt schätzt ein: „Würden die genannten akut betroffenen und die latent belasteten Branchen, etwa Chemie oder Papier, komplett aus Deutschland abwandern, gingen mehr als 500 Milliarden Euro jährliche Wertschöpfung verloren – und damit rund 15 Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung.“ Steilemann weist zu Recht darauf hin: „Chemie steckt in fast allen Gegenständen des täglichen Bedarfs. Eine wirtschaftliche Schieflage der Branche würde zu Versorgungsengpässen in allen Lebensbereichen führen.“ Übrigens auch in der Medizin, bei den Medikamenten, denn die Schildchen in den Lücken auf den Regalbrettern in den Apotheken, dass dieses Produkt nicht mehr geliefert wird, häufen sich. 

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Trotz Faesers Förderung der Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme verantwortet die Ampel auch den Einbruch im Baugewerbe. Bundesbauministerin Klara Geywitz sagte im Bundestag: „In der Tat, wir werden 400.000 (Wohnungen) in diesem Jahr nicht erreichen.“ In einem Appell der 17 Spitzenverbände und Kammern der Bau-, Planungs- und Immobilienwirtschaft heißt es: „Alle Vorzeichen deuten darauf hin, dass es im Jahr 2023 einen dramatischen Einbruch geben wird.“ Man hoffe, wenigstens 200.000 Wohnungen bauen zu können.

Schuld an all dem ist die Energie- und Außenpolitik der Ampel, aber auch die Innen-, Bildungs-, Forschungs- und Steuerpolitik der im Kern grünen Regierung. Man könnte die gegenwärtige und künftige Situation auch als Multiorganversagen und rapiden Realitätsverlust der Politik bezeichnen. Baerbock und Habeck haben bei der Sicherstellung von Energieträgern für Deutschland versagt. Die eine, weil sie ihre Hauptaufgabe darin sieht, Weltinnenpolitik zu treiben (also keine für deutsche Interessen), der andere, weil er sich ins gelobte Wasserstoffland verabschiedet hat. Habecks Energie- und Wirtschaftspolitik läuft auf die größte Umverteilung in der Geschichte Deutschlands und auf Deindustrialisierung hinaus.

Obwohl Deutschland einem katastrophalen Fachkräftemangel entgegengeht, leistet sich die Ampel eine grundsätzlich falsche Migrationspolitik, die sie dann auch noch mit dem Fachkräftemangel begründet. Doch die falsche Migrationspolitik wird das Sozialsystem früher oder später sprengen. Um das Resultat der Politik der Ampel solange als möglich zu verdrängen und zu verschleiern, wird die Sozialquote steigen, die das Land für die Einwanderung dringend benötigter Fachkräfte noch unattraktiver macht, als es ohnehin schon ist. Der Zusammenbruch der inneren Sicherheit und der Logistik, das niedergehende Bildungssystem vergrößert den Bogen nur, den Fachkräfte um Deutschland schlagen. Deutschland bietet keine Perspektiven mehr. Beides also, Vergrößerung des Fachkräftemangels und Energieunsicherheit bezüglich Preisentwicklung und Versorgungssicherheit, sind das Menetekel der deutschen Wirtschaft und des deutschen Wohlstandes. 

Die Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Monika Schnitzer konstatiert, was für jeden offensichtlich ist, nämlich, dass die Energiekosten in Deutschland und Europa weitaus höher sind als in anderen Regionen, höher auch als in den USA. Dass eine „Wirtschaftsweise“ aber dann pseudorealistisch schlussfolgert, dass das auch so bleiben wird und dass dies die neue Realität sei, kommt im Grunde Defaitismus, wenn nicht gar Verrat gleich. Denn die hohen Energiekosten und die Versorgungsunsicherheit bezüglich Energie sind kein Naturereignis, sondern politisch verursacht.  

Man muss kein Wirtschaftsweiser zu sein, um zu wissen: keine Wirtschaft, kein Wohlstand. Deutschland lebt von der verarbeitenden Industrie, hinzu kommen Wartung und Instandsetzung, was zwar zum Dienstleistungssektor gehört, doch das setzt voraus, dass etwas produziert wird, was anschließend zu warten und instand zu setzen ist. Ohne Heizung kein Heizungsmonteur. 

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Man kann natürlich die deutsche Wirtschaft auf der Ebene von Tatoo-Studios denken, wie es die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm zu tun scheint, wenn sie zwar einräumt, dass eine Reihe von Industriezweigen unter Druck stehen, doch dann behauptet: „Daraus folgt noch längst nicht automatisch die Deindustrialisierung.“ Stimmt, denn wer einfach aufhört zu produzieren und nicht mehr zahlen kann, ist nicht insolvent. Schließlich gäbe es noch andere Standortfaktoren außer den Energiekosten, denn: „Deutschland zeichnet sich etwa durch seine Fachkräfte, die Technologiekompetenz und seine Ingenieurkunst aus.“ Doch ohne bezahlbare Energie werden die kompetenten Technologen und Ingenieure zu Museumsangestellten, die den Besuchern von Werken erklären, wie die Maschinen in den Fabrikhallen einmal funktioniert haben, als noch Energie zur Verfügung stand. Am wichtigsten findet die Wirtschaftsweise Grimm, dass „Unternehmen … äußerst anpassungsfähig“ sind, denn, so schreibt das Handelsblatt: „Diese Anpassungsfähigkeit ist notwendig für ein gesamtgesellschaftlich alternativloses Ziel: den Klimaschutz. In der aktuellen Krise steckt zugleich die vielleicht letzte Chance, den Planeten zu retten.“ Klimaschutz als alleiniges und vor allem „alternativloses Ziel“, dem sich alle widerspruchslos unterzuordnen haben, zeigt den totalitären Charakter der Klimaideologie. 

Das Unternehmen Northvolt wollte in Schleswig-Holstein eine Batteriefabrik errichten, die 2025 die Produktion aufnehmen sollte. Nun heißt es: „Angesichts der hohen Energiepreise und des US-amerikanischen Inflation Reduction Act stehen energieintensive, grüne Zukunftsprojekte, wie das Ansiedlungsvorhaben in Heide, in Europa unter Druck.“ Die Batteriefabrik wird wohl nun in den USA errichtet. Dabei ist Northvolt der einzige europäische Batteriehersteller. Nicht einmal im Bereich der von Habeck gehätschelten All-Electric-Industrie reüssiert seine Wirtschaftspolitik. 

Natürlich kann man sich darüber hinwegträumen in der Erwartung des irgendwann einmal kommenden wasserstoffgrünen Paradieses, dass Fachkräfte, Technologiekompetenz und Ingenieurskunst die Bedeutung bezahlbarer und verlässlicher Energie ersetzen. Und wenn das nicht hilft, kann man sich von dem Wirtschaftshistoriker Adam Tooze trösten lassen, der allen Ernstes empfiehlt, sich von den alten Industrien zu verabschieden; schließlich „gibt es andere Sektoren, in denen die deutsche Wirtschaft ihre Ressourcen besser verwenden könnte, Dienstleistungen, Forschung, die Suche nach neuen Technologien“. Was Deindustrialisierung, was das Trugbild von der Dienstleistungsgesellschaft anrichtet, konnte man in Großbritannien in den 1970er Jahren beobachten. 

Auch wenn Habeck und seine sirenenhaften Berater meinen, dass erstens „Klimaschutz“, der bei Lichte besehen nur das größte Umverteilungsprogramm aller Zeiten darstellt, das Hauptziel aller menschlichen Aktivitäten wäre, und zweitens „Klimaschutz“ nur erreicht werden kann durch die vollständige Veränderung der deutschen Wirtschaftswirklichkeit, wird das nur zum wirtschaftlichen Zusammenbruch führen. Denn auch der tollste Dienstleister benötigt ein Büro, das sich in einem Haus befindet, das zuvor erbaut worden sein muss, und benötigt Strom für seinen Computer und Kleidung und Nahrungsmittel, die produziert werden müssen. Natürlich kann man alle Subsistenzmittel importieren – nur was gibt man dafür? Womit bezahlt man? Wie will Deutschland seine künftige Importweltmeisterschaft finanzieren? 

Habecks Jahr der Wirtschaft wird das erste Jahr der Deindustrialisierung. Der Wirtschaftsminister hat sich darüber beklagt, dass einige die Situation schlecht reden würden. Mit einem gerüttelt Maß historischer Kenntnisse würde er wissen, dass diejenigen, die vor dem Schlecht-reden warnten, sich bereits aus der Realität verabschiedet hatten und ihnen deshalb jede Störung ihrer Träume durch die Wirklichkeit als abgrundtief schlecht vorkommen muss. Denn trotz Wumms und Doppelwumms ist und wird die Welt keine Comic-Welt. 

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