Fünf Stühle eine Meinung. So heißt ein beliebtes Urteil über Anne Will. Die Gäste sucht die Redaktion gerne nach dem Schema aus: je ein Vertreter von SPD und Grünen, ein grüner Experte und eine noch grünere Journalistin. Damit die Schlagseite nicht allzu sehr auffällt, braucht Anne Will dazu noch einen Alibi-Christdemokraten. Der Posten ist wie gemacht für Norbert Röttgen. Dessen Rolle in Talkshows besteht meistens darin, zu sagen, dass er ja grün-rote Politik eigentlich gut finde, aber er wolle fragen, ob er ein Detail doch kritisieren dürfe. Darf er. Dann wird er niedergebrüllt, lächelt brav und die Ausgewogenheit ist ausreichend angedeutet.
Röttgen ist ein Gescheiterter. In Nordrhein-Westfalen wollten ihn die Menschen nicht als Ministerpräsidenten. Merkel feuerte ihn als Bundesminister. Zwei mal trat er für den Bundesvorsitz der CDU an, zwei mal sagte ihm die Partei, dass sie ihn nicht will. Beim zweiten Mal wurde seine Schatten-Generalsekretärin Ellen Demuth zu einem Problem für Röttgen. Entgegen der Partei-Räson hatte sie tagsüber den amtierenden CDU-Vorsitzenden Armin Laschet scharft auf Twitter kritisiert. Noch am gleichen Abend distanzierte sich Röttgen von ihr – live im Fernsehen. Geholfen hat es ihm nicht. Ein aalglatter Karrierist und doch ein Verlierer. Mit genau diesem Profil wurde Röttgen der meist eingeladene Talkshow-Gast von ARD und ZDF, wie das Fachportal Meedia ermittelt hat.
Der Krieg in der Ukraine war 2022 das bestimmende Thema in den Talkshows von ARD und ZDF. 46 von 105 Ausgaben beschäftigen sich unmittelbar mit dem Angriff Russlands. Rechnet man Themen dazu, in denen die Runden einen Bezug zum Krieg herstellten, etwa die Energiekrise oder die Inflation, ging es in mehr als der Hälfte der Sendungen um die Ukraine. Lediglich Corona spielte als anderes Thema mit elf Ausgaben noch eine nennenswerte Rolle. In der Auswertung der Themen berücksichtigt Meedia Lanz und Maischberger nicht, da diese an einem Abend über Unterschiedliches sprechen.
Manche Gäste verdanken ihren Talkshow-Aufstieg dem Ukraine-Thema. So kam FDP-Frontfrau Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf 17 Einsätze und teilt sich mit Kühnert den vierten Platz. Sie war die Frau mit den meisten Show-Offensiven. Und selbst Hinterbänkler wie Roderich Kiesewetter (CDU) kamen durch die Ukraine zu ihren 15 Minuten Ruhm beziehungsweise 13 Talkshow-Einladungen. Roderich Kiesewetter war mit Friedrich Merz in Kiew und erzählte in den Talkshows, dass er mit Merz in Kiew war. Und dass er sich in Kiew auskenne, weil er mit Merz dort war. Kiesewetter buchten die Shows vor allem in der Frühphase des Krieges. Dann konnte auch in den Redaktionen keiner mehr hören, dass er ja mit Merz in Kiew gewesen sei.
Diese Frühphase des Krieges war 2022 die erfolgreichste Zeit der Talkshows von ARD und ZDF. Alle fünf Shows erreichten ihre beste Quote des Jahres in der Phase vom 24. Februar bis zum 6. März. Den besten Wert schaffte Anne Will am 6. März mit 5,27 Millionen Zuschauern. Mehr Zuschauer auf einmal wollten übers ganze Jahr keine der Shows sehen. Maischberger erreichte zuletzt nicht mehr mit jeder Ausgabe die Grenze von einer Million Zuschauern in der Erstausstrahlung.
Noch offensichtlicher wird die linke Schlagseite von ARD und ZDF bei Linken und AfD. Doppelt so viele Wähler holte die AfD im Vergleich zu den Linken. Auf mehr als 16 mal so viele Einladungen wie die AfD kam die Linke in öffentlich-rechtlichen Talkshows. 33 Einladungen der Linken stehen zwei Einladungen der AfD gegenüber. Die FDP hat bei der Wahl rund ein Prozentpunkt mehr geholt als die AfD – kommt bei ARD und ZDF aber auf 40 mal so viele Talkshow-Einladungen.