Der Hausärzteverband sieht wegen des Medikamentenmangels eine große Belastung für die Patienten und Arztpraxen. „Die Lieferengpässe sind in der hausärztlichen Versorgung sehr deutlich spürbar. Die Lage ist angespannt“, sagte die stellvertretende Bundesvorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
„Das Problem ist nicht neu, das Ausmaß schon.“ Die Verbandsvizechefin warnte vor ernsten Auswirkungen. „Viele Medikamente können im Zweifel durch ein anderes Präparat ersetzt werden. Das erfordert in unseren Praxen einen enormen zusätzlichen Aufklärungsaufwand“, betonte sie. „Gerade jetzt, wo die Hausarztpraxen aufgrund der starken Infektionswellen brechend voll sind, ist das eine zusätzliche zeitliche Belastung, die nur bedingt leistbar ist.“ Besonders dramatisch sei es, „wenn es kein geeignetes Ersatzpräparat gibt beziehungsweise es nicht verfügbar ist. Das kann für die Patientinnen und Patienten ernste Folgen haben.“
Buhlinger-Göpfarth kritisierte den ökonomischen Druck bei der Arzneimittelversorgung. „Die Gründe, weswegen sich die Situation in den vergangenen Jahren so zugespitzt hat, sind vielfältig. Einer ist sicherlich, dass in Teilen der Medikamentenversorgung lange das Prinzip ‚billig first‘ galt.“ Die Priorität solle aber die Versorgungssicherheit sein, forderte die Vizeverbandschefin. „Die Politik muss jetzt zeitnah reagieren.“
Auch in deutschen Krankenhäusern wachsen offenbar die Versorgungsprobleme bei wichtigen Arzneimitteln wie Antibiotika, Krebspräparaten und Notfallmedikamenten für Herzinfarkte und Schlaganfälle. „Zunehmend verursachen Lieferengpässe große Probleme – auch im Krankenhaus“, sagte Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. 40 Prozent der Lieferengpässe, die dem Bundesinstitut für Arzneimittel im 3. Quartal 2022 gemeldet worden seien, beträfen das Krankenhaus.
Besonders problematisch sind Lieferengpässe bei Notfallmedikamenten, wie seit April dieses Jahres beim Wirkstoff Alteplase, der als lebensrettende Maßnahme zum Beispiel nach Herzinfarkten und Schlaganfällen eingesetzt wird. In der derzeitigen Welle von Atemwegserkrankungen ist aber auch zum Beispiel der Mangel am Breitband-Antibiotikum Amoxicillin ein großes Problem.
Grund dafür seien, so Gaß, oft akute Probleme in der Herstellung, aber auch unzureichende Produktionskapazitäten und eine steigende Nachfrage. In diesem Jahr seien viele Arzneimittel betroffen, die zur Basisversorgung zählten, wie zum Beispiel gewöhnliche Antibiotika oder Medikamente, die für die Krebstherapie existenziell seien. „Im Moment haben wir Probleme bei paracetamol- und ibuprofenhaltigen Fiebersäften für Kinder.“
Das betreffe nicht nur die niedergelassenen Ärzte, sondern auch die Krankenhäuser und hier besonders die extrem belasteten Kinderstationen, so Gaß. „Wir müssen auf jeden Fall Wege finden, um auch in der Arzneimittelversorgung eine größere Unabhängigkeit des europäischen Kontinents zu gewinnen“, forderte Gaß. „Das Diktat des Einsparens um jeden Preis muss enden, denn es gefährdet die Versorgung.“
Für die Kliniken kämen zu den Problemen bei den Medikamenten auch Lieferprobleme bei Medizinprodukten, wobei auch hier wiederum Kinder in besonderem Maße betroffen seien: „Insbesondere Kinderkardiologen sowie medizinische Fachgesellschaften schlagen diesbezüglich bereits Alarm, da die kleinen Patienten nicht mehr adäquat versorgt werden können.“