Tichys Einblick
Versinkt Europa im Mittelmeer?

Flüchtlings-Katastrophe und Griechenland-Desaster

Tausende Ertrinkende im Mittelmeer und versinkende Milliarden in Griechenland haben eines gemeinsam: die Unfähigkeit der EU, mehr zustande zu bringen als politischen Zeitgewinn. Der humanitäre Preis ist ebenso unerträglich und unverantwortlich wie der politisch-gesellschaftliche.

Der 10-Punkte-Plan der EU ist eine reine Polizei- und Verwaltungsoperation. Bis es gelingt, Asyl-Verfahren auf afrikanischem Boden in Auffanglagern und die sichere Überfahrt zu organisieren, werden viele Monate vergehen. Das in Libyen hinzukriegen, wo keine staatliche Struktur mehr existiert, verlangt nicht weniger als eine Besetzung. Ein UN-Einsatz müsste von vorneherein mit Waffeneinsatz gegen die kriminellen Schleuserbanden vorgehen. Mindestzeitraum 10 Jahre.




Der Blick auf die Karte Afrikas in der New York Times zeigt, woher die Flüchtlinge kommen. Soll das Sterben im Mittelmeer aufhören, müssen die Herkunftsländer südlich der Sahara und im Nahen Osten befriedet werden. Ohne ein gewaltiges, langfristiges Aufbauprogramm ohne bisheriges Vorbild kann das nicht gehen. 10 Jahre werden dafür nicht genug sein. Hat die UNO dazu die Kraft? Oder hat China längst Pläne, wie es diese Lücke füllt und dabei seine schon gute Präsenz in Afrika weiter ausbaut. Wann springen die USA über ihren Schatten und kooperieren mit China? So oder so, auf die EU können wir nicht setzen. Sie ist ja schon mit Griechenland und Euro überfordert. Und zittert vor den Folgen von Flüchtlingsströmen in den kommenden Wahlen der Mitgliedsstaaten. Vom Wahlausgang in Großbritannien hängt ab, ob dort 2017 die Mitgliedschaft in der EU dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wird. Mehr spricht dafür als dagegen.

Kommen wir zum zweiten Problemfeld: Griechenland

Neoliberaler Populismus für Griechenland

Der griechische Ökonom Theodore Pelagidis hält ein Szenario für wahrscheinlich, in dem die Syriza-Regierung irgendwann in diesem oder nächsten Monat ihren „nationalen Populismus“ durch einen „neoliberalen Populismus“ ersetzen muss. Also das Gegenteil dessen tun wird, was sie den Wählern versprochen hat, um anschließend trotzdem an der eigenen Inkompetenz ganz und gar zu scheitern. Was Pelagidis anschließend für nötig hält, bedeutet noch mehr direkte Eingriffe der EU als bisher. Welche Krise das in Griechenland zur Folge hätte, müssen wir uns selbst ausmalen.

Auch ohne von der Ukraine und den Befürchtungen der Balten und Polens mit Blick auf Moskau zu reden, ist unübersehbar: Die Regierungen in den nationalen Hauptstädten und die Kommission in Brüssel sind völlig überfordert, etwas anderes zu tun als bisher: weiter Durchwursteln. Zeit kaufen, um die eigenen nächsten Wahlen zu bestehen. Ich fürchte, die Verantwortlichen halten das auch noch für „alternativlos“. Der Rest ist öffentliche Rhetorik, und kein bisschen mehr.

Dann aber versinkt im Mittelmeer mit tausenden Toten zugleich eine politische Idee: Europa.




Die mobile Version verlassen