Der Großhandelspreis für Strom in Deutschland liegt in diesem Jahr um 31 Prozent unter dem, der ohne die drei letzten noch produzierenden deutschen Kernkraftwerke zu berappen wäre. Wären auch die drei Kernkraftwerke Gundremmingen, Grohnde und Brokdorf noch am Netz wären es stolze 54 Prozent weniger. Das hat eine Strompreissimulation von Björn Peters, Inhaber der Unternehmens- und Politikberatung Peters Coll in Kelkheim, ergeben, der der Kernenergie nahesteht.
Von den niedrigeren Preisen würden vor allem Unternehmen profitieren, die Strom selbst einkaufen. Skeptiker wie Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, glauben allerdings nicht, dass die Kostensenkungen bei Endkunden der Stromversorger ankämen, wenn sie sich realisieren ließen. Stephan Kohler, Chef der Deutschen Energieagentur (Dena) in Berlin, sekundiert: „Die Laufzeitverlängerung bringt dem normalen Stromkunden keine Ersparnis, allenfalls Stabilität.“
Heute würde in der Energieforschung oft nur der Lastgang eines Jahres betrachtet, klagt Peters. „Professionelles Risikomanagement in der Energiemodellierung würde bedeuten, auch seltene Phasen extremer Kälte, Bewölkung und Windstillstand zu berücksichtigen“, sagt er. Denn in jeder Situation müsse die Stromversorgung gesichert sein. Heute sorgen dafür Stein- und Braunkohle, überraschenderweise in großem Umfang auch Erdgaskraftwerke. Die Kernenergie kann hier zwar wenig bewirken. Doch da die Grundlast heute ausschließlich von Kohle- und Kernkraftwerken bereitgestellt wird, also die Menge an Strom, die unabhängig von der Tageszeit verbraucht wird, könnten zusätzliche Kernkraftwerke Kohle ersetzen. Außerdem böten sie Versorgungssicherheit, weil sie kontinuierlich arbeiten und damit auch Stromlücken bei Nachbarn wie Frankreich und der Schweiz stopfen könnten.
Da die Preise für Erdgas und Kohle drastisch angestiegen sind, habe sich auch der Großhandelspreis für Strom drastisch verteuert. Das habe keineswegs erst mit dem Lieferstopp für Erdgas aus Russland begonnen, sondern schon in der ersten Jahreshälfte 2021. Niedrige Windstromproduktion habe bereits zu einem Mehrverbrauch an Erdgas geführt, und zwar in ganz Westeuropa. Dadurch hätten sich bis Mitte 2021 die Preise für Erdgas und CO2-Emissionszertifikate im Verhältnis zum Jahresanfang bereits verdoppelt. Bis zum Jahresende 2021 seien diese Preise dann um das Drei- bis Vierfache angestiegen.
Die Kostensenkungen kommen nicht zuletzt zustande, weil deutsche Kernkraftwerke längst abgeschrieben sind und nur noch Kosten für Personal, Wartung und Brennstoff anfallen. Selbst wenn sich der Uranpreis verdoppeln würde, stiegen die Erzeugungskosten gerade mal um 0,5 Rappen (etwa 0,5 Eurocent) pro Kilowattstunde, rechnet der Verband der Schweizer Kernkraftwerksbetreiber vor, ein Plus von fünf bis zehn Prozent. Bei Erdgaskraftwerken mache der Erdgaspreis dagegen stolze 70 Prozent der Produktionskosten aus.
„Wenn Stromabschaltungen drohen, energieintensive Industrien geschlossen abwandern, muss jeder Beitrag geleistet werden, der zur Absenkung der Energiepreise beiträgt“, resümiert Peters. Damit liegt er auf einer Linie mit der Wirtschaftsprofessorin Veronika Grimm, einer der fünf Wirtschaftsweisen in Deutschland. „Längere Laufzeiten haben signifikante Auswirkungen auf die Preisentwicklung in Deutschland und den Nachbarländern“, sagte sie, als die Entscheidung zum befristeten Weiterbetrieb von drei deutschen Kernkraftwerken noch nicht gefallen war. Auch die positiven Auswirkungen auf die CO2-Bilanz seien nicht zu unterschätzen. „Ich empfehle, in dieser schwierigen Situation keine Möglichkeit ungenutzt zu lassen.“