Auch die Konjunktur ist ein Durcheinander geworden. So viele Krisen zur gleichen Zeit, so viele sich gegenseitig widersprechende Meldung von der Konjunktur und aus der Wirtschaft, die meisten zwar noch immer negativ, zuletzt aber auch wieder positive Indikatoren.
Noch ist der Mainstream der Konjunkturprognosen für das Winterhalbjahr und für 2023 negativ. Vorherrschend sind die Konjunktur-Auguren noch bis in die Gegenwart der Auffassung, dass die deutsche Wirtschaft trotz „Doppel-Wumms“ 2023 in eine Rezession abdriftet, allerdings nicht mehr in dieselbe „gerissen wird“, wie noch im Herbst die Wortwahl war.
Einigkeit herrscht bei Prognostikern in einer Hinsicht: Das Jahr 2023 wird noch schwieriger als 2022 schon war. Laut ifo-Konjunktur-Indizes sind sowohl das Geschäftsklima wie die Erwartungen der Unternehmen bis zuletzt deutlich gefallen, sogar in der Automobilindustrie, in der die Hersteller noch im dritten Quartal 2022 über Rekordgewinne berichteten. Doch selbst die Automobilindustrie hat aus ihrem falschen Optimismus in früheren Konjunkturzyklen gelernt. Und bekennt offen: „Es wird eine Rezession kommen“, so BMW-Chef Oliver Zipse. Doch er fügt dem zum Trost ein neues Verständnis hinzu, wie man damit umgehen kann: „Das hört sich immer so dramatisch an. Aber wir wachsen halt mal eine Zeit lang nicht mehr. Also geht die Welt nicht unter, wenn mal eine Rezession kommt. Dafür sind wir die letzten zehn Jahre gewachsen.“ (Automobilwoche).
Ohne Zweifel haben die Pessimisten in der Wirtschaft noch die besseren Argumente auf ihrer Seite: Die negativen Konjunkturindikatoren überwiegen. Krisen-Marathonmanagement ist gefragt, eine Entspannung ist in den Köpfen der Unternehmen erst einmal nicht absehbar
Noch verhindern hohe Bestände an zuvor aus Teilemangel nicht abgearbeiteten Aufträgen und Bestellungen ein Durschlagen auf die Produktion und den Arbeitsmarkt.
Doch das Bild täuscht. Die Automobilindustrie kann dafür als Beispiel stehen. Der Automarkt in Deutschland wie im Hauptabsatzmarkt Westeuropa ist gegenüber 2019 um mehr als ein Drittel eingebrochen. Die Kaufkraft der Menschen sinkt. Ein Auslaufen der Inflationswelle ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Kosten für Energie und Gas steigen weiter oder bleiben hoch. Inflationsängste und die Furcht vor weiter steigenden EZB-Zinsen kommen hinzu „Es gibt ein reelles Risiko, dass demnächst vermehrt Kredite nicht mehr bedient werden. Das gilt ausdrücklich auch für Autokredite“ ( Hans-Peter Burghof, Universität Hohenheim.).
Unter zunehmenden Kauf-Stornierungen leidet der Autohandel schon jetzt, im Massensegment des Marktes, dort wo der kleinere Geldbeutel regiert, kehren wieder Autorabatte ein. Besonders beängstigend für die Zukunft ist, dass und im Mittelstand, vor allem in der Automobilindustrie, eine Pleitewelle heranrollt.
Nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden stiegen die Bruttomonatsverdienste der Arbeitnehmer (einschließlich Sonderzahlungen) von Juli bis September dieses Jahres zwar um durchschnittlich 2,3 Prozent im Vorjahresvergleich an. Die Verbraucherpreise indessen nahmen im selben Zeitraum um 8,4 Prozent zu. Daraus errechneten die Statistiker einen Reallohnverlust von 5,7 Prozent. „Damit mussten die Beschäftigten in Deutschland bereits im vierten Quartal in Folge einen Reallohnverlust hinnehmen“.
Es handele sich um den stärksten sowie den am längsten anhaltenden Reallohnrückgang seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2008, so das Amt in Wiesbaden. Im zweiten Quartal waren die Reallöhne um 4,4 Prozent, im ersten Quartal um 1,8 Prozent und im letzten Quartal 2021 um 1,4 Prozent gesunken. Schnelle Entspannung ist nicht in Sicht, zumal die Inflationsrate laut Experten zunächst hoch bleiben wird. Deutschland wird 2022 ärmer werden, das ist nicht mehr zu verhindern.
Auch in 2023 droht vielen Beschäftigten ein Kaufkraftverlust, allerdings stehen die Chancen nicht schlecht, dass der Rückgang deutlich geringer ausfällt. So rechnen die Wirtschaftsweisen damit, dass sich die Inflationsrate leicht abschwächt – und zwar von durchschnittlich 8,0 Prozent im zu Ende gehenden Jahr auf 7,4 Prozent. Gleichwohl bleibt für viele Haushalte die finanzielle Lage schwierig, zumal, so das DIW, die während der Pandemie angefallenen Zwangs-Ersparnisse allmählich aufgebraucht seien.
Doch der private Konsum ist auch ein Hort der Stabilität. So erweisen sich bislang der Dienstleistungssektor und die Bezieher fester Einkommen, wie die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sowie die wachsende Anzahl von Rentner, noch als robuste Konsumkomponente. Dem widerspricht, dass die Verbraucherstimmung im Sommer 2022 auf einen beispiellosen Tiefstand eingebrochen ist, sich zuletzt aber nach GfK Ermittlungen und Aussagen des Einzelhandels wieder gefangen hat zumal die staatlichen Hilfspakete viele Einkommensverluste abfedern, wenngleich nicht beseitigen können.
Und gerade eben meldete das Statistische Bundesamt, dass die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal nicht nur um 0,3, sondern gar um 0,4 Prozent gewachsen ist. Getragen wurde das Wachstum vor allem vom privaten Konsum, der um ein Prozent gegenüber dem Vorquartal zulegte.Das macht Hoffnung, auch wenn die Hauptbelastungen für die Verbraucher noch kommen werden.
Die potentielle Rezession wird sichtbarerer beim Export! Die deutsche Volkswirtschaft lebt fast zur Hälfte vom Export und einem störungsfreien Welthandel, einzeln Branchen sogar zu 70 Prozent und mehr. Die deutschen Exporte (Importe) sind im Oktober 2022 um -0,6 Prozent gegenüber September gesunken, die Importe aber um -3,7 Prozent.
Diese Entwicklung ist (noch nicht) dramatisch, nährt aber die Furcht vor einer sich anbahnenden Welt-Rezession. Auch Doomsday-Ökonom Nouriel Roubini, der 2009 als einziger Ökonom die Weltfinanzkrise vorhergesehen hat, glaubt an die „Megathreats“ einer kommenden großen Krise, hält aber diesmal ein Entrinnen für möglich. Immerhin… belasten. Nach Meinung des DIW wird die exportorientierte Wirtschaft in den kommenden Monaten zunehmend die Abschwächung der Weltkonjunktur zu spüren bekommen. Weiterhin gehe vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine ein hohes Eskalationspotenzial nach unten aus, zumal die gegenwärtige Coronawelle in China die Probleme bei internationalen Lieferketten wieder verschärfen könnte.
Ein Drittel der Weltwirtschaft dürfte bis 2023 in eine Rezession abrutschen, sagt der Internationalen Währungsfonds (IWF) voraus. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat sich daher zuletzt pessimistisch zu den Aussichten für Export-Europameister Deutschland gezeigt. Er rechnet im kommenden Jahr mit einem Rückgang der Ausfuhren von zwei Prozent, was ein Verlust der deutschen Exportwirtschaft 2023 von über 70 Milliarden Euro bedeuten würde.
An dieser Stelle sei ein Rückgriff auf zwei Zitate von Friedrich Hölderlin erlaubt: „Was wäre das Leben ohne Hoffnung? Ein Funke, der aus der Kohle springt und verlischt.“ (Buch Hyperion). Und: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ (Patmos Gedicht 1803). Es gibt eine Reihe von positiven Signalen, die auf ein baldiges Abklingen der Rezessionsgefahr hindeuten. Als da sind:
- Die Gewerkschaften haben in vielen Branchen angesichts der starken Teuerung bereits kräftige Lohnabschlüsse durchsetzen können. Die rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie etwa bekommen in zwei Schritten 8,5 Prozent mehr Geld sowie 3000 Euro Einmalzahlung steuer- und abgabenfrei, d.h. netto
- Ähnliche Abschlüsse mit Netto-Einmalzahlungen gab es zuvor in der Chemie. Im gesamtwirtschaftlichen Ergebnis heißt das, dass der Staat einen Teil der Lohnkosten trägt, dafür aber die Gefahr einen drohenden Lohn-Preis-Spirale vermieden werden kann. Dies stabilisiert die Kaufkraft in 2023/24.
- Die jüngten Daten des DIW-Konjunkturbarometer deutet leichte Hoffnungszeichen für die deutsche Wirtschaft hin. Die deutsche Wirtschaft kann den befürchteten Absturz wohl vermeiden, das Konjunkturbarometer ist im November zu aller Überraschung kräftig gegenüber Oktober gestiegen, die wirtschaftlichen Aussichten hätten sich aufgehellt. Allerdings bestehe kein Grund zur schnellen Entwarnung.
Auch aus der Industrie meldet das DIW Signale der Entspannung. Die Wahrscheinlichkeit, dass im Winter eine Gasmangellage eintreten wird, habe sich in den vergangenen Wochen verringert, schrieben die Forscher. Zudem trügen die Entlastungspakete der Bundesregierung dazu bei, die Folgen der Krise abzufedern.
Das ifo-Institut überrascht ebenfalls mit leicht positiven Signalen aus der Wirtschaft. Ifo meldet eine tendenzielle Entspannung bei Versorgungsengpässen. Der Materialmangel in der deutschen Industrie sei aktuell so gering wie seit gut anderthalb Jahren nicht mehr, allerdings nicht in der Autoindustrie.
»Die Zahlen machen Hoffnung. Dennoch kann noch nicht von einer tiefgreifenden Entspannung gesprochen werden«, so der Leiter der ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. »Viele Aufträge können noch immer nicht abgearbeitet werden.«
- Was aber andererseits auch die Produktion und die Beschäftigung hochhält, der Arbeitsmarkt blieb bis zuletzt stabil. Zwar fiel der Rückgang der Arbeitslosigkeit etwas schwächer als sonst für den November üblich. Doch insgesamt sei der Arbeitsmarkt stabil, hieß es von der Bundesagentur für Arbeit.
- Positive Nachrichten gibt es für Deutschland zuletzt nicht nur vom Arbeitsmarkt, sondern auch bei den Inflationsdaten. Der Index der Verbraucherpreise, im allgemeinen als Inflation bezeichnet, ist im November nicht weiter angestiegen. Die Teuerungsrate gegenüber dem Vorjahr, die im Oktober bei 10,4 Prozent einen neunen Höchststand erreicht hatte, schwächte sich im November auf 10,0 Prozent ab. Auch in der Eurozone ist die Inflation erstmals seit Sommer vergangenen Jahres wieder gesunken und lag im November bei 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat
- Last but not sei der monatliche ZEW Konjunkturindex (Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) erwähnt, der als ein wichtiger Frühindikator für die deutsche Wirtschaft gilt. Die vor kurzem veröffentlichten Konjunkturerwartungen für November sind mit -36,7 Punkten besser ausgefallen als erwartet (Prognose war -50,0; Vormonat war -59,2).
Damit ist der Index gleichwohl das neunte Mal in Folge negativ, nicht einmal im Corona-Crash waren die Daten so negativ, lediglich in der Finanzkrise gab es noch schlechtere Werte.
Als Fazit bleibt festzuhalten:
- Die Märkte haben zwar nicht immer, aber häufig recht. Seit seinem Tief von Anfang Oktober hat der Deutsche Aktienindex gut 20 Prozent zugelegt und notiert nun nur rund 1.700 Punkte unter seinem Allzeithoch von 16.285 Zählern von vor einem Jahr (Bert Rürup). Auch ist die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal um satte 0,4 Prozent gewachsen statt geschrumpft. Das macht Hoffnung!
- Es sieht alles danach aus, dass eine markante Rezession vermieden werden kann. Der Winter ist bisher mild, so dass recht wenig geheizt werden muss, und Öl ist heute kaum teurer als vor einem Jahr. Die gerissenen Lieferketten sind größtenteils wiederhergestellt, und die globalen Frachtraten sinken rapide.
- Außerdem erzielten die 40 Dax-Konzerne rekordhohe Gewinne von zusammengerechnet 30 Milliarden Euro im dritten Quartal und hatten sehr gute Ergebnisse in den beiden Vorquartalen. Das lässt erwarten, dass die deutschen Topunternehmen ihre Rekordgewinne aus dem Vorjahr von 129 Milliarden Euro auch 2022 wiederholen können. Damit hatte in den vergangenen Monaten wohl kaum jemand angesichts der vielen globalen Krisen gerechnet (Bert Rürup)
Ifo-Chef Clemens Fuest verlautete: „Die Rezession dürfte weniger tief ausfallen, als viele erwartet haben.“ Die Unternehmen bewerten ihre aktuelle Lage zwar schlechter, blickten aber weniger pessimistisch in die Zukunft. Und die Kollegen vom DIW kommen zu dem Schluss: „Die deutsche Wirtschaft zeigt sich insgesamt widerstandsfähiger als gedacht und kann den von vielen befürchteten Absturz wohl vermeiden. … Allerdings gibt es leider wenig Hoffnung auf eine rasche und kräftige Erholung von der gegenwärtig schwierigen Situation“.