Tichys Einblick
Konservative Widerborstigkeit

Nonkonformismus als Geschenk: die Familie Braunfels-Hildebrand

Konformismus ist das Grundübel unserer Demokratie. Weil es mühsamer ist, bewährte Standards zu verteidigen als dem Mainstream hinterherzulaufen, hat es konservative Widerborstigkeit besonders schwer. Doch diese „Felsen in der Brandung“ haben ihren Eigensinn und ihre innere Unabhängigkeit stets verteidigt

Das Krankenhauswesen ist krank. Aber wie viele Chefärzte rebellieren? Die Bildungskatastrophe lässt immer weniger Kindern eine Chance. Aber wie viele Schuldirektoren gehen auf die Barrikaden? Wie viele Automobilingenieure sagen offen, was sie vom Elektrifizierungswahn halten? Ein paar, aber lieber nicht öffentlich. Wie viele Journalisten glauben wirklich den Unsinn, den sie verzapfen? Der Mainstream nährt sich selbst. Jasager, Duckmäuser, Konformisten, wohin man schaut. Es ist das Erzübel unserer Demokratie.

Lange Zeit galt Kritik an den herrschenden Verhältnissen als Eigenschaft linker Gesinnung. Aber das stimmt nicht mehr. Die links-grüne Ideologie ist zu einer autoritären, staatsgläubigen, freiheitsfeindlichen Bewegung verkommen. Umso schwerer hat es konservative Widerborstigkeit, weil sie nicht revolutionär zu Werke geht, sondern sich dem Verfall der Sitten, des Verstands, der Vernunft widersetzt. Bewährte Standards zu verteidigen ist mühsamer, als der Zeitenwende hinterherzuhecheln.

Wo kommen sie her, die verheerende Bequemlichkeit, die Anpassungslust und die Untertanenseligkeit? Wird sie von Vorvätern weitervererbt? Das hieße dann aber umgekehrt, dass auch Widerborstigkeit im Blut läge. Woher, falls vorhanden, kommt sie?

Mit dieser Frage im Kopf stieß ich auf eine bemerkenswerte Familie namhafter Künstler, die als Familienverbund bisher noch gar nicht wahrgenommen wurde. Mir geht es aber nicht zuerst um die Bedeutung Adolf von Hildebrands, des bedeutendsten deutschen Bildhauers des späten 19. Jahrhunderts, um seinen Schwiegersohn Walter Braunfels, einen der erfolgreichsten Opernkomponisten zwischen den Weltkriegen, oder um dessen Enkel Stephan, einen der kreativsten Architekten unserer Zeit. Es geht um etwas anderes.

Eine Anleitung für Gegenwart und Zukunft
Ohne Zugehörigkeit kann es keine Freiheit geben
Es fällt auf, dass die Protagonisten dieser Familie auf besondere Weise aneckten, sich am Zeitgeist und dessen geistigen und politischen Machthabern rieben.

Der Jurist Ludwig Braunfels, Literat und Mitgründer der „Neuen Frankfurter Zeitung“ (später „Frankfurter Zeitung“), musste 1848 ebenso ins Exil fliehen wie der Eisenbahnpionier und berühmte Volkswirt Friedrich Bruno Hildebrand. Dessen Sohn Adolf legte sich mit Kaiser Wilhelm II. an und bekam in Berlin keinen Fuß mehr auf den Boden.

Der Sohn Ludwigs wiederum, Walter Braunfels, wies Hitler nachweislich die Tür, als der bei ihm eine Hymne bestellen wollte. Sein Schwager, der berühmte katholische Philosoph Dietrich von Hildebrand, musste als Erzfeind der Nazis fliehen. So geht es weiter bis zu Stephan Braunfels, dem Architekten der Bundestagsbauten in Berlin, der sich streitbar wie kein Zweiter seines Fachs in sämtliche großen Städtebaudebatten warf. Alle setzten sich gegen den Mainstream und die ihn repräsentierenden Kräfte zur Wehr.

Ich erzähle keine klassische Aufstiegs- und Erfolgsgeschichte, sondern die Geschichte einer Haltung. Sie ist ein Appell an Eigensinn und innere Unabhängigkeit. Woher aber kommen die Selbstgewissheit und damit die innere Freiheit? Aus einem sicheren Urteil. Und das sichere Urteil? Das erwirbt nur, wer eigenständig denkt.

Damit sind wir im Kern der gegenwärtigen Krise der Demokratie. Gegen den Kollektivismus, der in Deutschland immer wieder und immer noch Denken und Handeln bestimmt, können sich nur Individualisten durchsetzen – nicht nur in der Kunst, sondern auch im Journalismus und in der Politik. Individuelle Freiheit aber erwirbt nur, wer um das als richtig und wahr Erkannte kämpft.

Der deutsche Konformist kommt allerdings erst richtig zu sich, wenn er mit dem Finger auf Nonkonformisten zeigen darf. Die Blockwartmentalität ist keine Spezialität von Hausmeistern, wir finden sie in allen Schichten der Bevölkerung.

Auch davon erzählt diese Familie. Es waren die Modernisten der Neuen Musik, die dem von den Nazis mit Berufsverbot belegten Spätromantiker Walter Braunfels nach dem Krieg die Wiedergutmachung verweigerten. Sein Enkel Stephan kämpft gegen den Filz der Baubürokraten, gegen neidische Kollegen und eine autoritätsgläubige Presse.

So ist die Geschichte einer Familie, sind diese „Felsen in der Brandung“, wie das gerade erschienene Buch heißt, keine periphere kulturhistorische Betrachtung, sondern alles in allem auch eine Expedition ins Herz der Finsternis dieses Landes.


Wolfgang Herles, Felsen in der Brandung. Die Geschichte einer deutschen Künstlerfamilie. Benevento, Hardcover mit Schutzumschlag, 328 Seiten, 35 €.


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