Wahlversprechen gebrochen, Bürger abgezockt: Die massiven Steuererhöhungen des FDP-Finanzministers Christian Lindner sind Gesetz. Der brisante Passus, der für hunderttausende Bürger sehr teuer zu werden verspricht, findet sich als Artikel 12 im Jahressteuergesetz 2022, und trägt die sperrige Bezeichnung: „Anpassung der Vorschriften der Grundbesitzbewertung nach dem sechsten Abschnitt des zweiten Teils des Bewertungsgesetzes an die Immobilienwertermittlungsverordnung vom 14. Juli 2021“. Hinter der staubtrockenen Formulierung verbirgt sich eine klammheimliche Steuererhöhung für Immobilienerben, die in einzelnen Fällen bis zu 500 Prozent betragen kann. Christian Lindner nannte das „Wermutstropfen“. Nach diesen Tropfen allerdings werden viele Familien schwere Kopfschmerzen und dauerhafte Migräne erleiden.
Nach dem Gesetz, dem der Bundestag mit Stimmen der FDP zugestimmt hat weil es auch aus dem Haus ihres Parteivorsitzenden und Finanzministers Christian Lindner (FDP) stammt ändert sich am 1. Januar 2023 vor allem der sogenannte Sachwertfaktor für Immobilien, mit dem der Wert eines Hauses oder einer Wohnung multipliziert wird. Dazu kann noch ein Regionalfaktor kommen. Praktisch bedeutet das: Der Wert, den das Finanzamt für eine Immobilie im Erb- oder Schenkungsfall zugrunde legt, steigt vielerorts drastisch – und damit die Steuer, die Erben oder Beschenkte abliefern müssen.
Im Musterfall eines freistehenden Hauses von 220 Quadratmetern, Baujahr 2004, mit einem Grundstück von 700 Quadratmetern schlägt vor allem der Sachwertfaktor zu Buche, der sich hier ab 1. Januar 2023 von 0,9 auf 1,3 erhöhen würde. Zusammen mit dem zusätzlichen Regionalfaktor legt der Fiskus nicht mehr wie bisher 487.505 Euro für die Immobilie zugrunde, sondern 714.277. Und fordert keine Erbschaftssteuer wie bisher von 9.625 Euro – sondern demnächst 57.855 Euro, mehr als das Fünffache.
Denn an den ohnehin geringen Freibeträgen ändert sich nichts. Sie liegen nach wie vor bei 500.000 Euro für Lebenspartner und bei 400.000 Euro für Kinder. Seit 2009 wurden sie nicht erhöht. Allein schon wegen der Inflation und vor allem wegen der Wertsteigerung bei Immobilien müssten sie eigentlich dringend angehoben werden.
Da jetzt das Jahressteuergesetz so in Kraft treten wird, bleibt vielen Erben, die nicht über ausreichend Bares verfügen, nichts anders übrig, als einen Kredit aufzunehmen, um ihre Erbschaft überhaupt antreten zu können. Faktisch zahlen sie also das Haus ihrer Eltern zum zweiten Mal ab. Besonders empfindlich träfe die Neuregelung Erben in Gegenden mit starker Wertsteigerung. Ein vor 40 Jahren in einer damals wenig attraktiven Randlage von München erbautes Reihenhaus kann heute durchaus mit einer Million Euro bewertet werden.
Vertreter der beiden linken Ampelparteien argumentieren, die faktische Steuererhöhung treffe Erben ja gar nicht so hart: Lebenspartner, die erben, müssten keine Steuer zahlen, wenn sie weiter in der Immobilie wohnen. Und Kinder könnten ebenfalls bis zu 200 Quadratmeter steuerfrei erben, vorausgesetzt, sie nutzen das Haus oder Wohnung ihrer Eltern mindestens für 10 Jahre nach dem Erbfall. Nur passen diese Ausnahmen oft schlecht zur Lebenswirklichkeit. Viele Senioren suchen nach dem Tod des Partners eine kleinere Bleibe. Kinder leben häufig schon aus beruflichen Gründen nicht am gleichen Ort wie ihre Eltern.
Die Union versucht jetzt, über den Bundesrat deutlich höhere Freibeträge durchzusetzen: 825.000 Euro für Ehepartner und 660.000 Euro für Kinder. Damit könnte zumindest ein Reihenhaus auf die nächste Generation übergehen, ohne die Erben in finanzielle Probleme zu stürzen. Ob das gelingt, ist offen. Am Freitag jedenfalls haben die Koalitionsparteien das Jahressteuergesetz im Bundestag verabschiedet – ohne Freibetragserhöhung.
Auf Anfrage von TE teilte das Bundesfinanzministerium mit, Bundesfinanzminister Christian Lindner habe sich für höhere Freibeträge bei der Erbschaftssteuer ausgesprochen. Eine Anpassung an die allgemeine Preis- und Kostenentwicklung erscheine empfehlenswert. „Da es sich aber um eine Ländersteuer handelt, sollte eine entsprechende Initiative vorzugsweise von den Ländern kommen.“
Am 16. Dezember muss der Bundesrat in der letzten Sitzung des Jahres entscheiden. Die unionsgeführten beziehungsweise -mitregierten Länder könnten, wenn sie ihre Zustimmung verweigern, das Gesetz zumindest aufhalten. Es käme dann in den Vermittlungsausschuss. Weil wegen der Weihnachtspause eine Klärung für sehr unwahrscheinlich gilt, könnte die Neuregelung der Immobilienerbschaft dann nicht wie vorgesehen zum 1. Januar in Kraft treten.
Allerdings: Die schwarz-grüne Landesregierung von Schleswig-Holstein unter Daniel Günther (CDU) ließ schon mitteilen, sie habe gegen das Jahressteuergesetz nichts einzuwenden.