Die Ampel scheint einen grundlegenden Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik zu planen – zumindest Teile der Ampel-Parteien. Deutschland und Europa sollen autarker werden. Dass ganze Zweige der Industrie nach Asien ausgelagert wurden, soll rückgängig gemacht werden. In Branchen wie der Pharmaindustrie, wozu auch die Herstellung medizinischer Mittel gehört, soll es wieder eine autarke europäische Produktion geben.
Noch ist das nur vage. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat eine europaweite Initiative angekündigt. Zusammen mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will er eine europaweite Änderung des Ausschreibungsrechts durchsetzen. Dann soll der Preis nicht mehr als einziges Kriterium über die Bestellung entscheiden. Staaten und Behörden dürften teurer bei europäischen Unternehmen einkaufen und darauf verweisen, dass diese eher die dauerhafte Versorgung mit dem Produkt garantieren könnten.
Außen-Staatssekretär Tobias Lindner (Grüne) führt in der Aktuellen Stunde, die seine eigene Partei eingeleitet hat, einen Eiertanz auf, wie die neue Chinapolitik denn nun aussehen soll: Einseitige Abhängigkeiten sollen abgeschafft werden. Und wie? Investitionen aus China dürften die Sicherheit in Deutschland nicht gefährden – aber grundsätzlich würde sich die Ampelregierung weiterhin Investitionen aus China wünschen und diese auch fördern. China sei zwar als „Partner“ und „Konkurrent“ anzusehen, aber auch als „systemischer Rivale“. Und die „Rivalität wird immer mehr zum dominanten Faktor“. Es gäbe in China auch andere Kräfte, habe sich jetzt gezeigt. Aber Deutschland müsse sich mit dem China auseinandersetzen, „wie wir es vorfinden“. Was von Lindner wie der mächtige Flug eines Adlers wirken soll, ist doch eher das Gehopse eines Kanarienvogels von Stange zu Stange.
Zumal die Ampel in der Aktuellen Stunde an viele Schwächen erinnert wird, die sie anscheinend ausgeblendet hat, als sie das Thema China und Covidproteste selbst ansetzte. Etwa ihre eigene Uneinigkeit: „Der Bundeskanzler steht nicht hinter dieser Politik“, erinnerte Johann David Wadephul (CDU) die Teilnehmer der Debatte, deren Zahl überschaubar klein ist am frühen Mittwoch-Nachmittag. Der Kanzler entscheide zur Not auch gegen den Widerstand der Koalitionspartner, zum Beispiel als sich das chinesische Staatsunternehmen Cosco in den Hamburger Hafen eingekauft hat. Scholz werde an seiner prochinesischen Politik festhalten, kündigte Wadephul an.
„Die Außenministerin ist zu China bisher stumm“, sagte sein Fraktionskollege Nicolas Zippelius (CDU). Annalena Baerbock (Grüne) halte sich bei dem Thema zurück, weil sie wisse, dass der Kanzler sie darin überstimmen werde. Der schaue bei China gerne zu vielem weg. Etwa in der Frage, wie China seine in ausländischen Demokratien lebenden Bürger behandele. Alexander Radwan (CSU) hielt es zwar durchaus für richtig, „das Undenkbare zu denken“ und politische Veränderungen in China für möglich zu halten. Doch darauf sei Deutschland schlecht vorbereitet: Es schütze seine Unternehmen viel schlechter, als das China mit seinen tue. Statt immer nur missionarisch in der Welt unterwegs zu sein, müsse Deutschland wieder seine eigenen Interessen vertreten.
Es gebe keine Exit-Strategie aus der Corona-Politik, sagte Dagmar Schmidt (SPD), meinte damit aber nicht ihren Parteifreund Lauterbach, sondern China. Hierzulande sei die Pandemie viel besser verlaufen. Alle hätten offen ihre Meinung sagen können, alle hätten auf die Straße zum Demonstrieren gekonnt. Noch in diesem Jahr verboten zahlreiche deutsche Städte Demonstrationen gegen die Corona-Politik. Noch in diesem Jahr schickten deutsche Innensenatoren und Innenminister ihre Polizei auf die Menschen los, die trotzdem zu den geplanten Terminen in den Innenstädten waren. Das alles hat Schmidt vergessen. Wenn es für Sozialdemokraten peinlich wird, können sie sich stets auf ihr gutes schlechtes Gewissen verlassen.
Jürgen Braun (AfD) schlug in die gleiche Kerbe: Hausdurchsuchungen bei Demoteilnehmern. Wasserwerfer, die unter dem Beifall der Staatsmedien eingesetzt werden. Übergriffe gegen Teilnehmer von Demonstrationen, die dafür gesorgt hätten, dass sich sogar UN-Menschenrechtsexperten eingeschaltet hätten. Das alles sei eben nicht nur Covid-Politik in China gewesen, sondern auch in Deutschland. Ebenso wie das Verbot privater Besuche oder des Lesens eines Buchs auf einer Parkbank. Genauso wie Menschen, die staatlich zum Denunzieren ermutigt worden wären.
Außer der üblichen moralischen Empörung haben Ampel-Hinterbänkler wie Nils Schmid (SPD) oder Gyde Jensen (FDP) nicht viel entgegen zu setzen. Ohnehin hat sich die Ampel mit dem schlecht vorbereiteten Thema keinen Gefallen getan. Es ist ja ehrenwert, deutsche Pharmaunternehmen zurückholen zu wollen. Ein Plan, eine Utopie. Die Realität sieht momentan allerdings so aus, dass Konzerne wie BASF ankündigen, auf Dauer Deutschland und die EU wegen der monströsen Energiepreise verlassen zu wollen.