Tichys Einblick
Eine bundesrepublikanische Posse

Kanzleramt ordnet neue Spesenregeln für Geheimdienste an

Womöglich kann ein smarter Pädagogen-James-Bond die Klima-Extremisten künftig auf Steuerzahlers Kosten zum Essen einladen.

Die Präsidenten der Nachrichtendienste Deutschlands: Thomas Haldenwang vom Verfassungsschutz, Martina Rosenberg vom MAD sowie Kruno Kahl vom BND, Berlin, 17.10.2022

IMAGO / Mike Schmidt

Das ist wieder typisch deutsch – in dreifacher Hinsicht: Erstens durften Geheimdienstchefs bislang für die Bewirtung pro Person 30 Euro ausgeben. Zweitens: Das darf jetzt nach einer Entscheidung des Kanzleramtes bei „Anlässen von besonderer Bedeutung“ deutlich mehr sein. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags, das die Arbeit der Nachrichtendienste kontrolliert, hatte sich dafür eingesetzt, den Präsidenten der Nachrichtendienste einen „Ermessensspielraum“ bei solchen Anlässen zu ermöglichen. Drittens: Das entsprechende Schreiben des Kanzleramtes an die drei „Geheim“-Dienste trägt zwar den Vermerk „geheim“. Aber kaum war das Schreiben verfasst, fand es den Weg in die Öffentlichkeit. 

Geheimdienstarbeit made by Germans!

Was ist der Hintergrund für diese Posse? Der Bundesrechnungshof hatte die Nachrichtendienste gerügt, nicht zu spendabel bei Einladungen zum Essen zu sein. Betroffen von dieser Mahnung sind das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD). Sehr konkret ging es beim Mahnschreiben des Rechnungshofes um ein „date“ des Verfassungsschutzes: Im September 2021 war eine Delegation eines ausländischen Nachrichtendienstes recht aufwendig bewirtet worden. Für das Abendessen waren Kosten von 143 Euro pro Person entstanden, für das Mittagessen auf einem eigens angemieteten Katamaran sogar 203 Euro pro Person.

Freilich wissen wir nicht, wo und wie viele Personen den Katamaran bevölkerten. Mit oder ohne Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang? Ob Kaviar aufgetischt und Champagner kredenzt wurde? Und ob ein Escort-Service mit an Bord war. Wahrscheinlich nicht, denn sonst wäre es auch für 143 plus 203 Euro nicht zu machen gewesen. Welcher ausländische Geheimdienst mag es wohl gewesen sein? Der KGB vermutlich nicht, denn sonst wäre Haldenwang als politischer Beamter von Innenministerin Faeser (SPD) in den vorzeitigen Ruhestand „entsorgt“, ja nicht einmal querversetzt worden wie Arne Schönbohm, der von seinem Amt als Chef der Bundesanstalt für Sicherheit (BSI) wegen angeblicher früherer Nähe zu einem russischen Verein freigestellt wurde.

War der britische Secret Intelligence Service (SIS; bekannt unter dem Namen MI6 = Military Intelligence Section 6) mit an Bord? Oder der US-Auslandsgeheimdienst Central Intelligence Agency (CIA)? Oder der israelische Mossad? Wahrscheinlich nicht. Denn das sind andere Augenhöhen. Wären diese „Dienste“ mit von der  Partie gewesen, hätten sie wahrscheinlich zu Haldenwangs Spesenabrechnung gesagt: „Lass mal Thomas, wir regeln das schon!“

Die neue Regelung macht die deutschen Dienste jedenfalls nicht effektiver. Dafür hängen sie viel zu sehr an der Kandare von Regierungsparteien, die – wie im Fall der „Grünen“ – die „Dienste“ immer schon gerne abgeschafft hätten. Und sie hängen an der Kandare eines Bundesverfassungsgerichts vom 19. Mai 2020. Danach gilt für die ansatzlose strategische Telekommunikationsüberwachung durch den BND auch im Ausland das Grundgesetz. Was im Extremfall heißt, dass etwa Islamisten auch im Ausland ein gewisses Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach bundesdeutschem Recht haben. Aber das ist ein anderes Thema.

Einen Markus Wolf wird und kann ein bundesrepublikanischer „Dienst“ nicht haben

Mit solchermaßen gebremsten Diensten ist kein Staat zu machen. Da hatte es der andere deutsche Staat, die DDR, leichter. Natürlich war dieser Staat ein Unrechtsstaat, den nur ein paar Ostalgiker und Unverbesserliche zurücksehnen. Aber bestimmte Dinge funktionierten dort. Zum Beispiel der Auslandsspionagedienst HVA (Hauptverwaltung Aufklärung) des Ministeriums für Staatssicherheit.

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Dessen Chef war von 1952 bis 1986 der geheimnisumwitterte „Mann ohne Gesicht“ Markus Wolf (1921 – 2006). Hätte Wolf etwa nur mit – umgerechnet – 30 Euro hantieren können, wäre es ihm nicht gelungen, seine „Romeo-Agenten“ auf einsame Vorzimmer-Sekretärinnen wichtiger Politiker anzusetzen. Vor allem wäre es ihm nicht gelungen, das aussichtsreiche konstruktive Misstrauensvotum vom 24. April 1972 gegen Bundeskanzler Brandt zu kippen, indem er etwa den CDU-Abgeordneten Julius Steiner mit 50.000 DM bestach, damit sich dieser der Stimme enthielte.

Der andere, der dem CDU-Gegenkandidaten Rainer Barzel die Stimme verweigerte, war – wohl auch nach Bestechung – der CSU-Abgeordnete Leo Wagner. Wenig später gelang der HVA noch ein zweites Mal ein Skandal, der die Republik erschütterte, als mit Günter Guillaume am 24. April 1974 ein seit Oktober 1972 besonders enger Mitarbeiter des Bundeskanzlers Brandt vom Bundesnachrichtendienst (BNA, damals offenbar funktionsfähig) als DDR-Spitzel enttarnt wurde und Willy Brandt am 7. Mai 1974 zum Rücktritt zwang.

Aber vielleicht reicht es zu einem klima- und erziehungsbewegten James Bond

Heute ist das alles anders. Heute haben wir einen Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang, der zwar überall (vor allem „rechts“) eine „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zu erkennen glaubt, der aber das durchaus sich anbahnende Entstehen einer neuen, diesmal „grünen“ RAF (einer GAF, also einer Grünen Armee-Fraktion) aus dem Sammelbecken der „Letzten Generation“ und der Klima-Extremisten nicht wahrhaben will.

Klimakleber
Die Innenminister von Bayern und NRW gegen Haldenwangs Wort zu Klima-Extremisten
Anlässlich einer Podiumsdiskussion des SWR hatte Haldenwang am 16. November gemeint: Die „Letzte Generation“ sei nicht extremistisch; sie begehe zwar Straftaten, aber keinen Extremismus: Für eine Beobachtung der „Letzten Generation“ sieht Haldenwang dementsprechend und „derzeit“ keinen Anlass. Wörtlich: „Ich erkenne jedenfalls gegenwärtig nicht, dass sich diese Gruppierung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet, und insofern ist das kein Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz.“ Und weiter: „Aber das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung jetzt nicht extremistisch.“

Wir haben nicht gehört, dass Haldenwang seine Einschätzung geändert hätte, nachdem die Klimakleber am 24. November 2022 den Berliner Flughafen BER lahmgelegt hatten. Im Gegenteil: Er ließ seine Sprecherin mitteilen, dass auch diese Störaktion nicht verfassungsschutzrelevant sei.

Bei so viel Chuzpe müssen auch wir unsachlich werden und fragen: Wird Haldenwang die „Letzte Generation“ zum Essen einladen? Die Grenze der Bewirtungskosten ist mittlerweile ja nach oben offen. Selbiges muss auch so sein, denn diese Generation hat nun wiederholt auf Nahrungsmittel (Tomatensuppe, Kartoffelbrei) verzichtet, ja sogar gehungert, um berühmten Gemälden zu Leibe zu rücken. Haldenwang wird sich da nicht lumpen lassen, und auch die „Aktivisten“ werden sich nicht zieren, haben sie in Haldenwang doch neben so manchen Presseleuten, manchen „Grünen“ und der Evangelischen Kirche Gesinnungsgenossen.

Also, Herr Verfassungsschutzpräsident, geben Sie den klimabewegten pädagogischen James Bond, der den jungen Leuten sagt: „Ich verstehe euch ja bestens, aber bitte begründet eure Aktionen bloß nicht damit, dass ihr eine andere Republik haben wollt.“ Und sagt bloß nicht zu oft, was eure oberste Ikone Neubauer gesagt hat: „Die Wahl zwischen Zeit und Demokratie haben wir nicht.“ Übellaunige könnten das als umstürzlerisch und verfassungsfeindlich anprangern und mir das Wort im Mund herumdrehen und behaupten, hier handle es sich um eine verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Demokratieprinzips und des staatlichen Gewaltmonopols.

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