In der Generaldebatte des Bundestages vom 23. November 2022 hat Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU/CSU) Kanzler Olaf Scholz (SPD) wegen seines Umgangs mit der Bundeswehr heftig kritisiert. Mit Blick auf den sinkenden Verteidigungshaushalt (2023: 50,1 Milliarden; 2022: 50,4 Milliarden) sagte Merz: „Das ist ein grober Wortbruch gegenüber dem Parlament und vor allem gegenüber der Bundeswehr.“ Merz erinnerte zudem daran, dass Scholz am 27. Februar 2022, drei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, versprochen habe, „mindestens zwei Prozent“ des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung bereitzustellen. Dieses Ziel sei in weite Ferne gerückt.
Merz hat Recht. Indes ist alles noch viel schlimmer. Weder Scholz noch seine überforderte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) haben bislang Nennenswertes auf den Weg gebracht. Die 100 Milliarden „Sondervermögen“ (vulgo: Sonderschulden) dümpeln vor sich hin. Die Bundeswehr ist neun Monate nach dem Einmarsch Putins in die Ukraine keinen Deut besser aufgestellt als vor dem 23. Februar.
Wir haben uns hier auf TE regelmäßig mit der Ertüchtigung und mit der Finanzierung der Bundeswehr befasst. Zuletzt am 31. Oktober 2022.
Wie „messen“: Kanzler Scholz, Ministerin Lambrecht, setzen, Note 6, „ungenügend“, wie es in der Schule heißt! Schneckentempo und Streichlisten, wohin man schaut. Die Waffenlieferungen an die Ukraine (bislang für 1,2 Milliarden; zum Vergleich; USA: 27,6 Milliarden) können da keine Ausrede sein. Aus dem 100-Milliarden-Euro-Sonderschuldentopf ist schließlich noch nahezu nichts geordert.
Es kommt hinzu: Zu dem von Scholz zugesagten Nato-„Zwei-Prozent-Ziel“ fehlen immer noch 16 bis 17 Milliarden. Die geplanten 50,1 Milliarden machen rund 1,5 BIP-Prozent aus. Um die 2 Prozent zu erreichen, müssten es 66 bis 67 Milliarden sein.
Überall knirscht es – Ausgewählte Beispiele
- Erst Mitte Dezember macht das Parlament den Weg frei für den Kauf des US-F35-Tarnkappenbombers für 7,6 Milliarden Euro. Zum ersten Mal kauft die Bundesregierung gleich Munition mit – weit mehr als 500 Bomben. Gesamtsumme: 9,99 Milliarden Euro. Ab 2027 soll eine deutsche F-35 fliegen.
- Mitte Dezember schicken die USA das Kaufangebot für 60 schwere Transporthubschrauber vom Typ CH-47F Chinook. Kostenpunkt: ca. 6 Milliarden Euro. Hier drohen allerdings aufgrund eines mangelhaften Auswahlverfahrens Verzögerungen um zwei Jahre und Stückzahlreduzierungen, wie die Regierung am 9. November im Verteidigungsausschuss einräumte. Die Regierung berichtete in einer Geheimsitzung zudem von Problemen mit Luftbetankung beim Chinook ein.
- Für eine hinreichende Schutzausrüstung (Helme, Westen, Nachtsichtgeräte) sind 10 Milliarden zu veranschlagen. Pläne dafür liegen nicht vor.
- Kostspielig ist und bleibt das deutsch-französisch-spanische Kampfjetprojekt FCAS (Future Combat Air System). Die Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland sollen angeblich ausgeräumt sein. Aber erst 2040 soll der erste Jet einsatzbereit sein.
- Noch keineswegs mitkalkuliert sind die Kosten, die für neue Kasernen (die Bundeswehr soll um 20.000 Mann wachsen) und für die Renovierung von Kasernen zu veranschlagen sind. Auch geht es wohl um zweistellige Milliardenbeträge. Ebenfalls einzukalkulieren wäre der bis 2025 geplante Aufwuchs der Bundeswehr von einer Personalstärke von 183.000 auf 203.000. Hier geht es bestimmt auch um 3 Milliarden (jährlich!).
- Nicht eingerechnet ist die laut „Ampel“-Koalitionsvertrag geplante Anschaffung von Drohnen. Und noch gar nicht hochgerechnet sind die Kosten einer Vision von Kanzler Scholz, der Ende August in Prag die Errichtung eines „European Sky Shield“, also eines Raketen-, Drohnen- und Flugabwehrsystems ankündigte.
- Und: Für Artillerie sind null Euro eingestellt. Der geplante Transportpanzer, ein Boxer mit dem Turm des Schützenpanzers Puma, taucht gar nicht erst auf in der Projektliste für 2023.
Die CDU/CSU-Fraktion hat nun unter anderem in Sachen Munition nachgebohrt. Generalinspekteur Eberhard Zorn hatte errechnet, dass bis 2031 rund 20 Milliarden Euro allein für Gefechtsmunition investiert werden müssten. Tatsächlich wurden für 2023 ganze 1,25 Milliarden Euro bewilligt. Und das in einer Situation, in der die Munitionsvorräte der Bundeswehr allenfalls für zwei Tage reichen und damit weit vom Nato-Standard einer Bevorratung für 30 Tage entfernt sind.
Maulkörbe und Schweigegelübde?
Die Verteidigungsministerin schaltet auf „nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“. Sie hält sogar das Parlament im Dunkeln. Seltsame Begründung: Eine Offenlegung der Informationen berge die Gefahr, „dass Einzelheiten über die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Bundeswehr bekannt würden.“ Nicht nur am Rande: Die halbjährlichen Berichte über die Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme für die Öffentlichkeit sollen künftig obendrein verwässert werden, um Mängel zu verbergen. So klare Analysen wie wir sie noch vor Jahresfrist bekamen, wird man dann wohl nicht mehr bekommen.
Lambrecht verdonnerte zudem die Inspekteure der Teilstreitkräfte zum Schweigen: Sie forderte nach Welt-Informationen Loyalität ein. Das heißt: Die Drei-Sterne-Generale sollen die Klappe halten. Vermutlich hat Lambrecht vor allem den Heeres-Chef Alfons Mais (60) im Blick: Dieser hatte den Mumm, Klartext zu reden. In einem Interview für die „Süddeutsche“ vom 11. November 2022 sagte er: „Wir könnten keinen Kampf über mehrere Wochen führen.“ Grund: „Wir verfügen derzeit über keine komplette deutsche Brigade, die sofort und ohne längere Vorbereitungszeit in der Lage wäre, einen Kampfauftrag über mehrere Wochen durchzuführen.“ Und weiter: „Das Heer, so wie es heute dasteht, verfügt noch über vier Artilleriebataillone, etwa 100 Panzerhaubitzen und knapp 40 Raketenwerfer Mars. Von denen ist tagesaktuell immer nur ein Teil einsatzbereit.“
Alles in allem: Warum Scholz seine SPD-Genossin Christine Lambrecht und nicht den renommierten Verteidigungsexperten Hans-Peter Bartels (SPD) auf dem Chefposten im Bendler-Block haben wollte, wird jetzt immer klarer. Er wollte auf diesem Posten jemanden, der ihm mit Mahnungen, Forderungen, Widersprüchen nicht in die Quere kommt.