Noch steht seine Bronzebüste im Bundeswirtschaftsministerium, das früher schon um Energie und jetzt um Klima im Namen ergänzt wurde. Noch gibt es einen Ludwig-Erhard-Saal. Sein Porträt wurde aber schon abgehängt. Ludwig Erhard und sein Buch „Wohlstand für Alle“ passt nicht mehr in eine Zeit, in der es erklärte Politik der Bundesregierung ist, mit weniger Energie und mehr Ausgaben für den Klimaschutz den Wohlstand zu reduzieren. Die Bevölkerung wird auf Verzicht eingeschworen, bis hin zu Waschlappen statt Dusche.
Aus Ruinen zum Wohlstand für Alle
Anders Ludwig Erhard. Er führte Deutschland aus den Ruinen zum Wohlstand. Sein Buch war sein Wahlprogramm und der Titel Ansporn für die Deutschen. Es hat geklappt. Bis heute. Bis Robert Habeck kam und mit ihm eine radikale Kehrtwende der Wirtschaft von Wachstum und Wohlstand hin zu „De-Growth“, also zur Schrumpfwirtschaft und zum Rückbau von Wohlstand.
Robert Habeck agiert als Kind der Wohlstandsphase Ludwig Erhards; Knappheit an Geld und Gütern hat er nie erfahren, vielmehr eine glänzende Karriere in Partei und Politik absolviert. Was man hat, betrachtet man als selbstverständlich. Auch Gesundheit, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit sind relative Werte für den, der sie wie Habeck wie selbstverständlich in Anspruch nimmt, aber niemals dafür kämpfen musste und immer hervorragend staatlich alimentiert wurde.
Trotzdem absolvierte er ein betriebswirtschaftliches Studium in Nürnberg, im Anschluss volkswirtschaftliche Studien in Frankfurt am Main, wo Erhard 1925 bei Franz Oppenheimer mit einer Kritik an der Arbeitswertlehre promoviert wurde. Er gründete ein Institut für Marktforschung, die heute noch wirkende „Gesellschaft für Konsumgüterforschung“ (GfK). In der Nazizeit vermied Erhard Parteimitgliedschaft, Beamtenstatus oder Beitritt zu einer NS-Organisation.
Ein Denkmal soll zerstört werden
Er führte deshalb ein Leben als gesellschaftlicher Outsider, denn ohne Nähe zum Regime gab es allenfalls freiberufliche Aufträge, und die erledigte er nicht politisch korrekt: Er setzte sich für polnische Zwangsarbeiter ein und widersprach deren rücksichtsloser Ausbeutung; und bediente sich einer Sprache, die die Nähe zum Regime vermissen ließ. Trotzdem wird versucht, ihn als Profiteur des Nazi-Regimes zu diskreditieren. Die taz-Autorin Ulrike Herrmann versuchte in ihrem Bestseller Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen (2019) das Wirtschaftswunder als Legende zu enttarnen. Der Wohlstand ist nach ihrer Auffassung irgendwie automatisch über die Deutschen gekommen, ganz ohne Zutun. Ihr Versuch, Erhard in die Nähe der Nazis zu rücken, entpuppte sich als Lügenmärchen. Aber es hat eine Funktion: Wer Erhard zerstört, zerstört auch die Idee der Marktwirtschaft. Denkmäler müssen zerstört werden, um Erinnerungen auszulöschen.
Erhards Geschichte hat nichts mit diesen Phantasien zu tun, die allein dem Wunsch nach Dekonstruktion der Geschichte erwachsen. Aus der Distanz zum Nationalsozialismus, aber mit Nähe zu Widerstandskreisen bereitete Erhard bereits die Wirtschaftsordnung der Nachkriegszeit vor. Seine Fragen sind angesichts diverser „Wumms-Pakete“, „Sondervermögen“, teuren Energiesubventionen und Euro-Rettungspaketen erschreckend aktuell: Wie bewältigt man ins Unendliche gewachsene Staatsverschuldung bei reduzierter Wirtschaftsleistung? Wie ist der gewaltige Geldüberhang, sind gewachsene Staatsverschuldungen zu verarbeiten? Im Oktober 1947 wurde er Leiter der „Sonderstelle Geld und Kredit“, 1948 Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, praktisch der Wirtschaftsminister der amerikanisch-britischen Bizone.
Mit der Währungsreform im Juni 1948 und der Aufhebung der staatlichen Preissetzung legte er die Grundsteine der Sozialen Marktwirtschaft. Seine Antwort war die Erfindung der D-Mark bei gleichzeitiger Freigabe des Wettbewerbs – damals eine revolutionäre Tat, gegen die sowohl SPD wie Gewerkschaften und Unternehmer protestierten. Er wurde 1949 in Konrad Adenauers erster Bundesregierung Wirtschaftsminister, bevor er 1963 zum Bundeskanzler gewählt wurde. Lange Vorbild und Maßstab für erfolgreiche Wirtschaftspolitik, wird sein „Wohlstand für Alle“-Konzept von der Ampelkoalition zugunsten staatlicher Planwirtschaft, Umverteilung durch Inflation und Preismanipulation abgelehnt. Es ist wie ein Weg zurück in die Ruinenlandschaft der Wirtschaftspolitik, aus der Erhard den Ausweg gezeigt hat.
„Das Bekenntnis von Ludwig Erhard zur Freiheit und zum Wettbewerb in der Wirtschaft, zieht sich wie ein roter Faden durch die streitbare Auseinandersetzung mit Meinungen und Irrlehren seiner wie unserer Zeit in seinem Werk ›Wohlstand für Alle‹. Nach seiner Überzeugung mehrt der Wettbewerb den Wohlstand aller und hilft so, den alten Gegensatz zwischen einer früher nahezu unbegrenzt konsumfähigen Oberschicht und der vielfach noch in bescheidenem Rahmen lebenden Unterschicht zu überwinden.
So stand es im Klappentext der letzten vom Autor autorisierten Nachauflage, die 1964 erschien und anlässlich des 70. Verlagsjubiläums vor zwei Jahren originalgetreu wieder aufgelegt worden ist. An Neuauflage und Nachwort habe ich als Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung noch mitgearbeitet. Das erschien mir wichtig. Die Neuauflage war auch mein persönlicher Abschied. Es gehört zum Ritual der Wirtschaftspolitik bei CDU und FDP, sich auf sein Werk zu berufen. „Was hätte Ludwig-Erhard dazu gesagt“, lautet ein Buchtitel des Wirtschaftsrats und viele Symposien, Preise und ähnliche Veranstaltungen ranken sich darum.
Umarmungen, die erdrosseln
Sie haben den Vorteil, dass Erhard tot ist, die von ihm errichtete Stiftung angepasst. Sie wird neuerdings staatlich finanziert und wurde damit an die Kette gelegt – Erhard hätte diese Abhängigkeit mit dem Ziel der Erdrosselung mit Entsetzen zurückgewiesen. Die legendäre Mitgliedschaft in der Stiftung wird jetzt auch grünen Chef-Ideologen zuteil – die Stiftung soll im Auftrag von Friedrich Merz die Koalition von CDU und Grünen vorbereiten und ihre bisherige Funktion als Mahnerin aufgeben. An seinem Geburtsort wurde ein gewaltiges Ludwig-Erhard-Museum errichtet; mit dem Segen des für seine marktwirtschaftlichen Ideen bekannten Markus Söder.
So eingemauert in die Parteipolitik – Erhard war übrigens nie Mitglied einer Partei – droht keine Störung, kein Grollen aus dem Grab und keine Mahnung, die mit seinem Namen noch Gewicht hätte. Ist ein Gegenstand musealisiert, ist er aus der Gegenwart entfernt, hinter Glasscheiben und in verstaubten Regalen neutralisiert. Denn in die heutige Politik passt Erhard überhaupt nicht mehr und auch insofern ist sein Buch lehrreich. Denn klar ist auch: Mehr Staat, mehr Bürokratie, mehr Beamte, weniger Wettbewerb und immer noch mehr de-facto-Verstaatlichung sind ein wirksames Rezept für Verelendung. Dieses Wissen von Erhard, erlebt und erlitten, ist seinem Nachfolger fremd.
Kann staatliche Subventionierung von Allem eine gute Idee sein? So entsteht in immer mehr Bereichen eine unwirtschaftliche Wirtschaftsstruktur, die von den Bürgern über Steuern finanziert werden muss. Das kann nicht gut gehen. Aber deutsche Politik stört das nicht, im Gegenteil. Sie will ja die Kosten für Produktion und Preise erhöhen.
Ludwig Erhard wollte genau den umgekehrten Weg gehen: Wohlstand für alle zu erzeugen, indem die Kosten und die Preise sinken. Und damit die Preise sinken, muss billiger produziert werden. Der Wettbewerb wird dafür sorgen, dass die Preissenkungen auch beim Verbraucher ankommen und nicht in den Kassen von Produzenten und Händlern kleben bleiben. Während zurzeit die Parteien allesamt darüber reden, inwieweit Mindestlöhne erhöht werden sollten, hatte Erhard ein anderes Rezept: Höhere Nachfrage bewirkt höhere Löhne, und zusammen mit sinkenden Preisen, die in der Zange des Wettbewerbs kleingedrückt werden, ergibt das steigenden Wohlstand.
Wettbewerb ist ein wesentlicher Faktor seines Erfolgsrezepts. Aber wer will noch Wettbewerb? Druck auf die Preise und Druck durch Wettbewerb – von diesem Rezept Erhards ist nichts mehr übriggeblieben. Es wird vielmehr als schädlich zurückgewiesen. Kann das gutgehen? Die jederzeit einsehbaren Zahlen der explodierenden Staatsverschuldung, sinkender Reallöhne und steigender Steuern, die Krise der Sozialversicherung, eine ungeheure Geldschwemme der EZB und anziehende Inflation zeigen:
Es geht nicht gut. Und zwar gar nicht. Die Gesellschaft spaltet sich. Die Schere zwischen einer mehr schlecht als recht versorgten und in Passivität gegängelten Unterschicht und einer von der Euro-Geldschwemme und staatlicher Subventionierung profitierenden Oberschicht öffnet sich.
Es lohnt sich also, Erhard zu lesen, um zu verstehen, wo die Fehler der Gegenwart liegen – und wie sie zu beheben wären. Erhard führte Deutschland aus den Ruinen zu Wohlstand. Gerade wird der Weg in die umgekehrte Richtung beschritten. Und sein Werk ist brennend aktuell.
An manchen Stellen liest sich Ludwig Erhard erschreckend weitsichtig. Gegen immer neues Wachstum wandte er sich schon Anfang der 1960er und damit gegen den damals aufkommenden „Keynesianismus“, der mit immer höherer Staatsverschuldung immer noch höheres Wachstum erzwingen wollte – und scheiterte.
Er war sich bewusst, dass die Leistung früherer Zeiten schnell verspielt werden könnten: „Wohlstand ist eine Grundlage, aber kein Leitbild für Lebensgestaltung. Ihn zu bewahren ist noch schwerer, als ihn zu erwerben“, schrieb Ludwig Erhard.
Da war Robert Habeck noch nicht geboren.
Ludwig Erhard, Wohlstand für Alle. Originalgetreue Neuausgabe, Econ, Hardcover mit Schutzumschlag, 400 Seiten, 20,- €
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