„Alle Menschen sollen gleichberechtigt, frei, sicher und selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben.“ So schlicht und richtig beginnt der Aktionsplan „Queer leben“ des sogenannten Queer-Beauftragten der Bundesregierung Sven Lehmann. Aber so einfach bleibt es natürlich nicht. Denn um diesen Idealzustand zu erreichen, will man sich nicht bloß auf Recht und Gesetz stützen, sondern auch auf politische Agitation und Pädagogik. Der Plan, dem das Bundeskabinett bereits zugestimmt hat (hier der offizielle Text), spricht sich für eine „aktive Politik“ gegen die Diskriminierung von LSBTIQ*-Personen aus und will die „Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ überall dort fördern, wo etwas in die Zuständigkeit des Bundes fällt.
Und so kann man schon an dieser frühen Stelle ins Stolpern kommen. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung verordnet also einem nicht ganz kleinen Teil der Gesellschaft, ein „queeres“ Leben zu führen, und dem Rest, dieses Leben so zu akzeptieren. Das wird schon durch das Cover des Aktionsplans deutlich, auf dem die Deutschlandfahne zur Teilmenge des Regenbogens zu werden scheint und nur noch als Reminiszenz ins Bild ragt.
Die fadenscheinige Kollektividentität dient politischen Zwecken
In Wahrheit ist es keineswegs so, wie es Lehmann etwas bemüht in einer Pressekonferenz erklärte, dass sich nämlich alle unter dem Akronym „LSBTIQ*“ subsumierten Gruppen bruchlos zu einer „queeren“ Gemeinschaft fügen würden. In Wahrheit sind die subsumierten Menschen überraschenderweise Individuen und schon insofern nicht für eine Art Gender-Identitätsgruppen-Kampf – als Ablösung für den Klassenkampf älteren Datums – bereit.
Der Twitter-User Ali Utlu verwehrt sich gegen die Einordnung in Schubladen, die letztlich der Akquirierung von Steuertöpfen diene. Den Kampf für Transrechte dechiffriert Utlu als Erweiterung der „Opfergruppe“ aufgrund einer weitgehend imaginierten gesamtgesellschaftlichen Diskriminierung, die Homosexuelle heute kaum noch betrifft. Utlu meint kurz und knapp: „Weil man an den Steuertöpfen hängt und die eigenen Arbeitsplätze sichern möchte, wurde aus LGBT queer & kümmert sich jetzt um Heteros.“
Die propagierte Kollektividentität von LSB-irgendwas war eigentlich schon immer fadenscheinig, wie man auf jeder Pride-Parade erleben kann, deren Charakter mit dem der einstigen Love-Parade vergleichbar ist – eine Verbindung aus Festumzug und Libertinage, mit bunten Wagen und wummernden Bässen. Die auch an anderer Stelle proklamierte Gruppenidentität diente eigentlich schon immer der Akquirierung von Wählerstimmen für die Grünen und allgemeiner für das linke Lager. Für Mariana Harder-Kühnel, AfD-Obfrau im Familienausschuss, verfolgt Lehmann „eindeutig Politikansätze der radikalen Linken, die die traditionelle Ehe und Familie sowie die beiden biologischen Geschlechter durch neue ideologische Konstrukte ablösen wollen“.
Gewalttaten: Die dominante Tätergruppe bleibt unerwähnt
Der vorgestellte Aktionsplan kann aber trotzdem – gerade durch diesen ideologischen Charakter – Aufschluss über politische Tendenzen unserer Gegenwart geben. Die in seinen Augen gefährdete „freie, sichere und selbstbestimmte“ Teilhabe an der Gesellschaft konkretisierte Lehmann in der Pressekonferenz durch die Erläuterung: Noch immer gebe es in Deutschland jeden Tag „mindestens drei bis vier Übergriffe auf queere Menschen“, und das sei nur das bekannte „Hellfeld“. Das Dunkelfeld will er fortan besser ausleuchten. Schon im Mai kündigte Lehmann auf Twitter die „explizite Erfassung queerfeindlicher Kriminalität“ an. Aus welchem Umfeld diese Taten begangen werden, ließ Lehmann dabei allerdings ungesagt.
Zu erinnern ist an den tödlichen Angriff auf einen jungen Transmann beim Christopher-Street-Day in Münster, dem ein verbaler Ausfall gegen zwei lesbische Frauen vorausging. Täter war der Tschetschene Nuradi A., der zum Prozessbeginn in diesen Tagen behauptet, weder homophob noch queerfeindlich zu sein. In einigen Pressemeldungen wird die schon bekannte Herkunft des Täters wiederum verschwiegen (so hier und hier).
Offener mit seinen Überzeugungen war der Syrer gewesen, der am 4. Oktober 2020 ein schwules Paar in Dresden mit zwei Messern angriff. Gegenüber dem forensischen Psychiater hatte der inzwischen zu lebenslänglicher Haft Verurteilte gesagt, dass Homosexuelle für ihn Feinde Gottes seien, die „bekämpft, geschlagen und getötet“ werden müssten.
Verschärftes Offenbarungsverbot plus NetzDG: Kommen nun digitale Redeverbote?
Konkret will die Bundesregierung laut Aktionsplan das geplante Selbstbestimmungsgesetz verabschieden, um damit das Transsexuellengesetz von 1980 zu ersetzen, das angeblich verfassungswidrig ist, aber natürlich auch reformiert werden könnte. In dem Zuge soll es auch zu Entschädigungen für „Unrecht an trans- und intergeschlechtlichen“ Personen kommen, das „dem Bund zurechenbar“ ist. Man weiß noch nicht, wie groß die Forderungen ausfallen werden. Auch ein allgemeiner Hang zur Heimlichkeit, Verheimlichung in Sachen Geschlechtsidentität zeigt sich. So fordert der Aktionsplan die Erweiterung des Offenbarungsverbotes samt Strafbewehrung.
Das heißt, dritten Personen wäre es verboten, den ursprünglichen Namen und eventuell das ursprüngliche, eigentliche Geschlecht einer Person „auszuforschen“ oder öffentlich zu machen. Wie weit dieses Verbot ausgeweitet werden soll und welche „Sanktionen“ hier kommen sollen, wird nicht konkretisiert. Unklar bleibt so, ob die feine Linie zwischen dem Schutz der Privatsphäre und öffentlichen Redeverboten überschritten wird, wie man es etwa im Pronomenstreit an kanadischen Universitäten gesehen hat. Auch ein Elternteil, das sich zum Geschlechtswechsel entschieden hat, müsse das fortan nicht mehr „offenbaren“, auch nicht gegenüber der eigenen Kernfamilie, wie die NZZ anmerkt. Rechtliches und soziales Geschlecht fielen dann vollends auseinander.
Später heißt es, auch „Hasskriminalität und -rede“ gegen die Betroffenen sollten stärker bekämpft werden. Dazu seien auch „präventive Maßnahmen und Strategien im Sinne von Demokratieförderung“ vor allem im „digitalen Raum“ gefragt, so etwa durch eine „entschlossene“ Anwendung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes „im Detail“ durch die sozialen Netzwerke (Twitter, Facebook, Instagram). Das bedeutet: Die Bundesregierung, mindestens der grüne Teil von ihr, wirbt für eine Verengung des Meinungskorridors durch Blockierungen und Sperrungen im Netz.
Von der „Stärkung“ zur Indoktrinierung von Kindern ist es ein kleiner Schritt
Den Schlüssel für die Ausdehnung der Strafbarkeit könnte ein neues Kunstwort bilden: „Queerfeindlichkeit“ soll alle Diskriminierungen gegen homo- und bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen zusammenfassen. Queer erweist sich damit als Klammerbegriff für die Abkürzung LSBTIQ*. Die Feinde der offenen Gesellschaft werden damit in deren Inneres verlagert, eigentlich ausgedacht. Die Gesellschaft wird einem Freund-Feind-Schema unterworfen, das die politischen Debatten vergangener Zeiten blass aussehen lässt.
Als nächstes wird es Kurse geben, in denen auch Lehrer „besonders geschult und sensibilisiert“ werden, wie es jetzt schon für Adoptionsstellen empfohlen wird. In den USA hat man diese Erfahrung (Anti-Vorurteilskurse für staatliche Angestellte) bereits gemacht und zum Teil auch schon wieder hinter sich. Der Grund laut Aktionsplan: „Benachteiligungen führen nachweislich zu schlechteren Chancen auf gute Bildungsabschlüsse und müssen daher verhindert werden.“
Die pädagogische „Stärkung von Jugendlichen und Kindern“ wurde schon 2021 in einem Gesetz beschlossen, so dass schon heute „die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen, Jungen sowie transidenten, nichtbinären und intergeschlechtlichen jungen Menschen zu berücksichtigen“ sind. Zu finden ist diese Bestimmung im Achten Buch des Sozialgesetzbuchs, „Kinder- und Jugendhilfe“, unter dem harmlos anmutenden Titel: „Grundrichtung der Erziehung, Gleichberechtigung von jungen Menschen“. Dass „Gleichberechtigung“ auch die Indoktrinierung im Sinne einer woken Ideologie bedeuten kann, fällt erst durch den dritten Absatz des Paragraphen ganz auf.
Auf unscheinbare Weise ideologisch wird es auch an anderer Stelle, wo das Abstammungs- und Familienrecht dahingehend geändert werden soll, dass zwei lesbische Frauen, von denen eine ein Kind bekommt, automatisch beide zu rechtlichen „Müttern“ des Neugeborenen werden. Aus pragmatischer Sicht mag das sinnvoll erscheinen, erspart es doch eine förmliche Adoption. Ideologie und ein merkwürdiger Automatismus bleibt das dennoch, denn die Abstammung eines Menschen ändert sich nicht einfach durch einen Federstrich.
Gesundheitssystem auf „Antidiskriminierung“ gebürstet: Hindernisse für angleichende OPs sind zu beseitigen
Daneben wird „Queerfeindlichkeit“ in verschiedenen Lebens- und Gesellschaftsbereichen angegangen: Das beginnt schon am Arbeitsmarkt, der für viele queere Menschen voller Hürden zu sein scheint. Das „Diversity-Management“ am Arbeitsplatz soll folglich verstärkt werden. Im Sport will man präventiv „gegen Rassismus, Sexismus, und LSBTIQ*- Feindlichkeit“ tätig werden und „Antidiskriminierungsarbeit“ fördern (passend zur WM und den rührenden Worten Gianni Infantinos, während er sich gleichzeitig für europäische Untaten entschuldigte und zur Nachsicht für den Gastgeber Qatar warb).
— The Athletic | Football (@TheAthleticFC) November 19, 2022