„Macht kaputt was euch kaputt macht“. Das 1969 veröffentlichte Protestgedröhn der deutschen Rockband „Ton Steine Scherben“, genoss in der damals florierenden Hausbesetzer-Szene sowie unter den 68ern große Popularität. Die berüchtigte Kommune Nr.1 warb unter anderem mit diesem Slogan für Brandangriffe auf Kaufhäuser. Wer die Geschichte der RAF studiert, erkennt dabei die Übernahme dieses Mottos und den daraus resultierenden nahtlosen Übergang von der „Gewalt gegen Sachen“ zur „Gewalt gegen Menschen“.
Die Parallelen zur gegenwärtigen Szene der Klima-Extremisten drängen sich unweigerlich auf, zumindest wenn man nicht Thomas Haldenwang heißt und Chef des deutschen Verfassungsschutzes ist. Denn dieser verlautbarte nun während einer Diskussionsveranstaltung des SWR auf dem Hambacher Schloss, dass die Behauptung von Alexander Dobrindt, man müsse eine Entwicklung der „Letzten Generation“ zu einer „Klima-RAF“ verhindern, „Nonsens“ sei – zumindest gemäß Haldenwangs nicht näher ausgeführter „fachlicher Meinung“. Für Haldenwang stehen die Klimakleber der „Letzten Generation“ auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung und sind somit „kein Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz“. Deren Straftaten seien eben nur das – Straftaten –, diese machen die Gruppierung aber nicht extremistisch, so der oberste Verfassungsschützer.
Interessant wurde es vor allem, als Haldenwang den Begriff des Extremismus näher zu erklären trachtete. Dieser stellt den Staat, die Gesellschaft und die freiheitlich demokratische Grundordnung infrage. Doch genau dies „tun die Leute eigentlich nicht“, meinte Haldenwang. In einem bemerkenswerten Anflug von Sophisterei, die man dem ansonsten recht bieder auftretenden Haldenwang kaum zutrauen würde, deutete er in Folge die Pattexkinder der „Letzten Generation“ zu Musterdemokraten um, da diese doch lediglich ein Handeln der Regierung fordern. „Also anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man eben die Funktionsträger zum Handeln auffordert.“ Eigentlich ein intellektueller Salto mortale mit Punktlandung, die Juroren in Politik und Medien strahlten förmlich vor Begeisterung.
Um Haldenwangs Aussagen besser einordnen zu können, lohnt es sich, einen kurzen Überblick über dessen bisherige Amtszeit als Leiter des deutschen Verfassungsschutzes zu gewinnen. Nachdem sein Vorgänger Hans-Georg Maaßen mit Schimpf und Schande wegbefördert wurde, überschlugen sich Deutschlands intellektuelle Leitmedien vor Freude über seinen Nachfolger Haldenwang. Die FAZ ordnete für ihre Leser die beiden Verfassungsschützer in leicht erkennbare Schubladen mit entsprechender Konnotation: „Dem ‘Krieger’ folgt ein ‘Verwalter’“ hieß es damals und man betonte, dass Haldenwang „keine politische Agenda und keinen Geltungsdrang“ habe. Auch die Welt arbeitete sich vor allem daran ab, dass Haldenwang „ein Gegenentwurf zu Maaßen” sei. Doch bevor die Leser sich noch die Frage stellen könnten, ob das denn so eine gute Sache sei, legte die Welt nach und betonte Haldenwangs „zurückhaltende, bodenständige und einigermaßen uneitle“ Art.
Maaßen, so die Welt, „drängte zuletzt immer öfter an die Öffentlichkeit, gab umstrittene Interviews und vertrat sogar offen eine Gegenposition zur Bundeskanzlerin“. Vor allem letzteres erscheint in der gegenwärtigen Medienlandschaft als besonderer Affront. Im Vergleich dazu galt Haldenwang als „stiller Verwalter mit wenig politischen Ambitionen“. Diese Vergleiche erinnern dabei frappierend an jene, die bei der österreichischen Bundespräsidentenwahl zwischen Alexander van der Bellen und Norbert Hofer angestellt wurden. Die Kampagne van der Bellens betonte dabei immer die „Zurückhaltung“, mit der der ehemalige Chef der österreichischen Grünen das Amt des Bundespräsidenten im Gegensatz zum Kandidaten der FPÖ bekleiden wollte. Nach der Wahl van der Bellens entpuppte sich dieser jedoch als der politisch ausgesprochenste Präsident Österreichs der 2. Republik. Man ist geneigt, daraus abzuleiten, dass Politiker und Beamte in hohen Ämtern, denen Zurückhaltung und wenig politische Ambition nachgesagt wird, im Gegenteil eher ein Garant für politische Linientreue und mediale Dauerpräsenz, dank der pflichtbewussten Ausführung ihrer Rolle in der Hofberichterstattung, sind.
Dass Haldenwang eben solch ein Typus eines „zurückhaltenden“ Sprachrohrs der Politik sein würde, zeichnete sich bereits früh ab. Weniger als einen Monat nach seinem Amtsantritt machte er bereits vor der Alpen-Prawda den Kotau, als er der Süddeutschen Zeitung einen „stärkeren Kampf gegen rechts“ versprach. Er sprach damals von einer „neuen Dynamik im Rechtsextremismus“. Die Ereignisse in Chemnitz, die Haldenwang letztendlich in seine Position spülten, zeigten angeblich wie anschlussfähig ausländerfeindliche Hetze inzwischen sei. Im Fachsprech eines Mannes mit fachlicher Kenntnis verortete Haldenwang damals ein „Trigger-Ereignis“ – der Terminus technicus des Verfassungsschützers für die Tötung eines deutschen Mannes.
Auch zur AfD hatte Haldenwang damals der Süddeutschen einiges zu sagen. „Wenn eine Partei im Deutschen Bundestag diese Debatte immer wieder lautstark befeuert, dann kann auch dies dazu beitragen, dass der Rechtsextremismus neue Anhänger findet.“ Die parlamentarisch legitime Diskussion der desaströsen Migrationspolitik wurde somit in einen direkten Zusammenhang mit Rechtsextremismus gestellt, ohne diesen näher zu definieren. Folgt man der oben zitierten Definition Haldenwangs von Extremismus und der vorbildlich Demokraten der „Letzten Generation“, muss man feststellen, dass es offensichtlich demokratisch ist, die Regierung durch Straftaten zur Änderung ihrer Politik zu erpressen, während es dem Extremismus Vorschub leistet, in Bundestagsdebatten missglückte Migrationspolitik zu thematisieren und auf parlamentarischem Weg Veränderung anzustreben. Bemerkenswert.
Was Haldenwang damals auch bereits thematisierte, war die sogenannte „Kontaktschuld“, auch wenn er diese natürlich nicht beim Namen nannte. „Normale Demonstranten“ hatten sich laut Aussage Haldenwangs neben Rechtsextremisten eingereiht, ein deutlicher Warnschuss an all jene, die dachten, man könnte sorglos vom Demonstrationsrecht Gebrauch machen, ohne in des Teufels Küche zu kommen. Wo die mögliche geographische, wenn auch nicht inhaltliche, Nähe zu Rechtsextremen schon immer ein Damoklesschwert über den Häuptern all jener waren, die zu fragen wagten, ob Merkels Politik der offenen Grenzen wirklich das Maximum an „bürgerlicher Mitte“ sei, das man noch erwarten dürfe, so verbreitete sich die Kontaktschuld in Zeiten von Corona fast noch schneller als das Virus selbst. Noch Anfang 2022 zitierte ntv Haldenwang mit der Überschrift: „Neue Szene von Staatsfeinden“. Gemeint waren Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen, oder zumindest die „radikalen Extremisten“ unter ihnen, die das „demokratische Staatswesen grundlegend“ ablehnen. „Wie groß die Gruppierung sei, wisse man noch nicht“, schrieb ntv. Was zunächst wie eine Ungenauigkeit erscheint, entpuppt sich als Methode, denn wo die Gruppe ungenau definiert ist, bleibt zunächst jeder verdächtig.
Man merkt dabei auch, dass Haldenwang sich normalerweise durchaus nicht scheut, den Begriff des „Extremismus“ mit breiten Pinselstrichen anzubringen. Die Extremisten bräuchten nach seiner Aussage kein spezifisches Thema. „Ob das jetzt Corona ist oder die Flüchtlingspolitik, oder auch die Flutkatastrophe: Da hat man teilweise die gleichen Leute gesehen, die versuchten, den Eindruck zu vermitteln, der Staat versage und tue nichts für die Menschen.“ Wie konnte man angesichts des vorbildlichen Einsatzes von Anne Spiegel und Konsorten während der Flutkatastrophe auch nur von einem Versagen sprechen? Das tun nur Extremisten, die die freiheitlich demokratische Grundordnung in Frage stellen. Womit auch die tiefere Bedeutung dieses oft zitierten Begriffs endlich deutlich wird: Gemeint ist natürlich der demokratische Beschluss der Familie Spiegel, um sich die Freiheit zu nehmen, inmitten einer Flutkatastrophe in den Urlaub zu fahren. So viel Grundordnung muss sein.
Aber nicht nur der Kampf gegen rechts ist eine Domäne des obersten Verfassungsschützers, auch außenpolitisch schätzt er die Weltlage weitsichtig ein. So berichtete Haldenwang erst im Oktober bei der öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums von einer Verschärfung der russischen Spionageaktivität in Deutschland. Er rechnete damit, dass russische Spione zukünftig „noch konspirativer vorgehen“ werden. Der aufmerksame Leser beginnt spätestens nun bei Haldenwang ein Muster zu erkennen, einen gewissen Hang zur „eindringlichen Ungenauigkeit“, die vor allem in Form von Konjunktiven, unvollständigen Komparativen („noch konspirativer“ als was?), und Relativierungen („eigentlich“) zum Ausdruck kommt.
Doch auch Spekulationen gehören zum Repertoire von Haldenwang, wenngleich er sie offensichtlich nur in bestimmten Situationen beherrscht. Denn bei derselben Anhörung sprach er über deutsche Politiker, die nach Moskau gereist waren „und sicherlich nicht mit leeren Händen nach Hause“ kamen. Das mag zwar eine legitime Vermutung sein, allerdings stellt sich die Frage, ob solche Spekulationen ins Aufgabengebiet des Leiters des Verfassungsschutzes fallen. Und wenn sie es tun, dann muss unvermeidlich die Frage gestellt werden, ob die Reisen anderer Politiker ins Ausland weniger unverfänglich sind, und vor allem auch, ob die vom Climate Emergency Fund finanzierten Klima-Extremisten der „Letzten Generation“ nicht auch in diese Kategorie fallen sollten.
Selbst wenn man in den Störungen der öffentlichen Ordnung der „Letzten Generation“ eine demokratisch legitimierte Einflussnahme auf die Politik erkennen möchte, so müsste diese Annahme doch aufgrund der Finanzierung durch ausländisches Großkapital zumindest einige Zweifel darüber hervorrufen, wer denn nun hier Einflussnahme auf die deutsche Politik betreibt. Dass dabei bei Haldenwang nicht die Alarmglocken läuten, liegt aber letztlich daran, dass diese Einflussnahme wohl gewollt ist, was man nicht zuletzt an der Aneignung sprachlicher Codices durch die Politik, aber eben auch durch Haldenwang selbst bemerkt. Im Zuge der parlamentarischen Anhörung warnte Haldenwang nicht nur vor Russland, sondern auch vor China, als er sagte: „Russland ist der Sturm, China der Klimawandel“. Die Übertragung solcher Terminologie auf die Einschätzung geopolitischer Entwicklungen spricht Bände.
Auch die Kontaktschuld, die Spaziergänger gegen Corona-Maßnahmen pauschal in extremistisches Licht taucht, gilt offensichtlich nicht für die „Letzte Generation“, auch wenn die Klimakleber sich offen in einer Koalition mit anderen Extremistengruppen wie zum Beispiel „End Fossil Occupy“ befinden. Diese fordern auf ihrer Webseite unverblümt, „das System zu verändern, indem wir die fossile Industrie weltweit stoppen“. Dazu setzen sie Besetzungen von Schulen und Universitäten ein und wärmen dabei klassische Versprechungen radikal-sozialistischer Bewegungen auf. Die Rede ist dann von der „Zerschlagung der fossilen Industrie“, obwohl diese ein „Grundpfeiler unseres Systems“ ist. Wie viel näher an „macht kaputt was euch kaputt macht“ muss es denn noch kommen, bevor solche Vergleiche nicht als „Nonsens“ abgetan werden? Die Extremisten träumen davon, einen „Umbruch in der Geschichte zu organisieren“ und möchten „beweisen, dass eine andere Welt möglich ist“. In der neu zu erschaffenden Welt soll es dann auch „um Menschen gehen und nicht um den Profit“. Auch ein Schuldenerlass des „globalen Südens“ ist eine der zentralen Forderungen der Koalition.
Die Radikalen von „End Fossil Occupy“ berufen sich auf ihrer Webseite auch auf einige Vorbilder, wie zum Beispiel die „Pinguin Revolution“, eine Reihe von Schülerprotesten, die 2006 in Chile stattfanden. Die Proteste trafen dabei auf die sozialistische Regierung der ersten weiblichen Präsidentin Chiles, Michelle Bachelet. Nach etwas über einem Monat der Proteste gab die Präsidentin nahezu allen Forderungen der protestierenden Schüler nach, die sich völlig überraschend als fast deckungsgleich mit althergebrachten sozialistischen Kernforderungen erwiesen. Fast wäre man geneigt zu mutmaßen, dass die Protestbewegung der sozialistischen Regierung recht gelegen kam.
Angesichts der offenen Unterstützung der Narrative diverser Klimagruppen muss man auch in Deutschland zu dem Schluss kommen, dass die radikalen Klima-Extremisten ein Mittel zum Zweck der Durchsetzung politisch längst feststehender Ziele sind. Die Klima-Extremisten sind das Feigenblatt der Politik, das Ablenkungsmanöver, das dem Bürger weismachen soll, es handle sich hier um den Willen des Volkes, der ungezügelt zum Ausdruck kommt. Die Realität ist vielmehr, dass die bezahlten Aktivisten die Speerspitze der Legitimierung eines von langer Hand geplanten, radikalen gesellschaftlichen Umbaus bilden.
Dobrindts Vergleich mit der RAF ist alles andere als „Nonsens“, im Gegenteil, er beschreibt die vorhersehbaren Entwicklungen sehr gut. Doch es gibt einen großen Unterschied zu damals, der in der Debatte außen vor gelassen wird: Im Gegensatz zur RAF erfreuen sich die radikalen Klima-Extremisten der medialen und politischen Unterstützung des Mainstreams. Die „Letzte Generation“ und ihre Proteste sind gewollt und deshalb erfüllt ein politisches Sprachrohr wie Thomas Haldenwang auch nur seine Pflicht, wenn er ihren Extremismus abstreitet und sie der Öffentlichkeit stattdessen als vorbildliche Demokraten verkauft.