Die AfD feiert bald ihren ersten runden Geburtstag. Am 6. Februar sind es zehn Jahre her, dass Bernd Lucke, Alexander Gauland und andere die „Alternative für Deutschland“ gegründet haben. Am Anfang galt sie als die „Professorenpartei“. Hinter ihr standen Konservative, die der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beweisen wollten, dass deren Währungspolitik eben doch nicht „alternativlos“ sei – daher auch der Name. Spätestens ab 2015 änderte sich die Partei. Viele der Professoren, auch Lucke, traten entsetzt aus, als die AfD in Folge der merkelschen Flüchtlingspolitik weiter nach Rechts driftete und irgendwann mehr mit innerparteilichen Querelen beschäftigt war als mit Sacharbeit.
Von Anfang an hat eine Mauer zwischen CDU und AfD gestanden. Die Christdemokraten haben jegliche Zusammenarbeit ausgeschlossen. Auch schon zu Zeiten Professor Luckes. Dahinter steckte die alte Idee des CSU-Übervaters Franz Josef Strauß, rechts neben der Union dürfe es keine Partei geben. Würde sich doch eine etablieren, werde es die Union schwer haben, weiterhin die Bundesregierung zu führen. Eine Prognose, die sich als wahr erwiesen hat. Während die Grünen mit allen Parteien von Linken und Volt bis zur CSU koalieren können, ist die Union eingeschränkt. Das verschafft den Grünen einen entscheidenden strategischen Vorteil, der sich bis in die Debatten innerhalb der Union auswirkt.
In Bayern ist die Zusammenarbeit zwischen CSU und AfD aufgrund der Wähler-Konstellation kein Thema. Und zwischen CDU und AfD steht die Mauer weiter. Zumal es die AfD den Gegnern einer Zusammenarbeit in der CDU leicht macht, auf Distanz zur rechten Alternative zu bleiben. Doch die CDU steckt in einem taktischen Dilemma fest: Solange es die FDP über fünf Prozent schafft, kommt die CDU an der Ampel nicht vorbei. Außerdem muss sie stärker gegen die andere Oppositionspartei abgrenzen, als sie Attacken gegen SPD, Grüne oder FDP fahren kann, weil sie diese für mögliche eigene Koalitionen braucht. Das macht es ihr schwer, Druck auf die jeweilige Regierung auszuüben. Friedrich Merz erlebt das jetzt im Bund. In Rheinland-Pfalz machen die Christdemokraten diese Erfahrung seit 2016. Nach fünf Jahren Opposition gegen die Ampel fuhr die CDU 2021 in der Heimat von Helmut Kohl ihr historisch schlechtestes Ergebnis ein.
Für die Anhänger der Parteien links der CDU gibt es keine schlimmere Vorstellung, als dass die Mauer zwischen CDU und AfD brechen könnte. Deswegen reagieren sie sensibel auf jede Erschütterung. So nannte es die Süddeutsche Zeitung einen „Kulturkampf“, als die AfD diese Woche der CDU im thüringischen Landtag zu einer Mehrheit verhalf. Die hatte beantragt, dass Land möge künftig in seiner öffentlichen Kommunikation aufs Gendern verzichten. Also zum Beispiel nicht von Bürger:innen, sondern von Bürgern sprechen. Angesichts der Größe Thüringens keine Weltnachricht. Und doch eine bemerkenswerte Meldung. Auf der Seite 10.000.Flies landete der Beitrag der Süddeutschen entsprechend auf Platz zwei der Wertung der Beiträge, auf die am meisten Leute im Netz reagierten.
Kurz vor deren zehnten Geburtstag gibt es noch keine konkreten Zeichen dafür, dass die CDU die Mauer zur AfD niederreißt. Selbst die Entscheidung in Thüringen stellt noch keines dar. Vorläufig setzt die CDU auf die Taktik, sich maximal scharf von der AfD abzugrenzen und zu den Parteien der Ampel kompatibel zu bleiben. Statt die Grünen unter Dauerfeuer zu nehmen, attackiert Merz sie nur vorsichtig, übernimmt aber stattdessen ihre politischen Positionen. Etwa zur Frauenquote.
Bisher gibt es wenige Beispiele dafür, wie sich diese Strategie der CDU auswirkt. Das wichtigste kommt aus Rheinland-Pfalz und fällt ernüchternd für die Christdemokraten aus. Und trotz des chaotischen Bildes, das die Ampel über den Sommer abgab, kratzte die CDU in den Umfragen bestenfalls an der 30-Prozent-Marke. Vorlagen wie Inflation, Energiekrise oder staatliche Ohnmacht gegen Klima-Extremisten kann Merz nicht richtig in Punkte für die größte Oppositionspartei ummünzen.
Der Flügel der Konservativen ist in der CDU geschrumpft. Viele haben frustriert aufgegeben: Nachdem sich 2018 Annegret Kramp-Karrenbauer gegen Merz im Kampf um den Parteivorsitz durchgesetzt hatte oder als Merz endlich da war und statt der konservativen Revolution die Frauenquote im Gepäck hatte. Entsprechend ist vorerst die Zahl derer klein geworden, die am liebsten die Mauer zur AfD einreißen würden.
In der AfD indes wächst die Einsicht, dass nach zehn Jahren das Konzept „Fundamental-Opposition“ totgeritten ist. Im Bundestag hat sich eine Gruppe gebildet, die durch Sacharbeit die Partei aus der Skandalecke holen will, in die sie vor allem der thüringische Landeschef Björn Höcke gebracht hat. Sie suchen auch nach Möglichkeiten, einen Präzedenzfall zu schaffen, nach dem es erstmals eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD gibt. Doch solche Hoffnungen sind bisher gescheitert. Etwa im Saarland. Zum einen an der Wahl-Arithmetik gescheitert, zum anderen an der grandiosen Zerrissenheit, die den westlichsten Landesverband prägt.
So bleibt denn ausgerechnet Höckes Thüringen das Testfeld. Nicht erst seit dem Antrag zum Genderverbot. Der wurde überhaupt erst möglich, weil die Koalition aus Linke, Grüne und SPD in Thüringen keine Mehrheit hat. Die CDU toleriert den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) nur. Denn in Thüringen gibt es eine Situation, die das grüne Machtmodell an eine Grenze bringt und an eine offene Frage innerhalb der CDU ermahnt: Was passiert, wenn Linke und AfD eine Sperrmehrheit haben?
Diese Mehrheit zeichnete sich in Thüringen lange vor der Landtagswahl 2019 ab. Trotzdem beantwortete die CDU die Frage nicht, wie sie in dem Fall mit der Linken umgeht. Die Frage ist so heikel, dass sich die Christdemokraten auf eine Taktik verlegten, die unter Vierjährigen sehr beliebt ist: Wenn ich die Augen fest genug zukneife, ist das Problem nicht da. So stolperte die CDU zuerst in die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD, dann in die Neuwahl auf Druck Merkels und letztlich in die Minderheitsregierung Ramelows. Vorerst letztlich.
Eigentlich hätte die Landtagswahl wiederholt werden sollen. Doch dann verzichtete der Landtag auf seine Auflösung. Auch weil die CDU immer noch mit geschlossenen Augen dasitzt und hofft, dass sich das Problem von alleine erledigt. Allerdings tun die Wähler den Christdemokraten diesen Gefallen offenbar nicht. In den Umfragen gibt es nach wie vor eine Sperrmehrheit für Linke und AfD. Spätestens im Herbst 2024 sind Neuwahlen. Reguläre Neuwahlen. Bis dahin muss sich die CDU entscheiden: Hält sie an der Mauer zur AfD fest, auch wenn das bedeutet, dass die Partei Konrad Adenauers dauerhaft mit der ehemaligen SED zusammenarbeitet?