„Eppur si muove!“ – „Und sie bewegt sich doch!“ Der Sage nach soll das Universalgenie Galileo Galilei dies vor sich hingemurmelt haben, als er nach der Inquisition durch die katholische Kirche wieder gehen durfte. Was war passiert? Der Gelehrte entdeckte, dass sich die Erde um die Sonne drehte – nicht umgekehrt. Aber Galileo entdeckte dies nicht nur. Nein. Er war auch als Wissenschaftler so mutig und veröffentlichte seine Erkenntnisse.
Zur damaligen Zeit wurde in Rom die Lehre von der Erdbewegung als absurd und irrgläubig bezeichnet. Pech für Galileo. Die Aussage einer bewegten Erde stand der Heiligen Schrift entgegen. Daher wurde gegen Galilei und sein Buch das Inquisitionsverfahren (Prozessverfahren der römisch-katholischen Kirche) eingeleitet. Galileo musste seiner Lehre von der Erdbewegung abschwören und blieb bis zu seinem Tode unter der Aufsicht der Inquisition. Erst über 350 Jahre später, im Jahre 1992, wurde Galileo Galilei durch den Vatikan rehabilitiert. Bleibt zu hoffen, dass die Aufarbeitung bei uns schneller geht.
Neulich war ich in eine angeregte Diskussion verwickelt. Dabei kam mir Galileos Ausspruch in den Sinn. Nein, tatsächlich ging es weder um die Bewegung der Erde noch um Corona. Viel trivialer: Es ging um das Rasenmähen im Spätherbst. Soll man oder soll man nicht? Bei mir siegte die Faulheit, es nicht zu tun – schon Wochen vor der Diskussion hatte ich damit abgeschlossen. Also nahm ich bei der Diskussion automatisch den Part des „Ich mähe nicht mehr“ ein und suchte innerlich händeringend nach Argumenten für meine Position.
Nur eigene Beobachtungen konnte ich mir hierfür zurechtlegen. Ein zu kurzer Rasenschnitt mache bei einsetzender Winterkälte dem Grün zu schaffen. Mein Gesprächspartner war in der Gartenarbeit viel versierter und hatte ein Leichtes, mir seine Argumente um meine kalten Ohren zu hauen. Da ertappte ich mich, wie sehr ich mir in diesem Moment eine Studie wünschte, die mich in meiner Faulheit unterstützen könnte.
Seit Corona ist der Wunsch nach Studien exponentiell angestiegen. Eine Bekannte erzählte mir, dass selbst in Sachen Kindererziehung für eine Position nun häufiger der Satz kommt: „Für meine Ansicht gibt es mittlerweile gute Studien.“ Doch damit nicht genug. Plötzlich werden bereits zu banalen Themen Studien als Beleg für eine Aussage verlangt. Es scheint fast so, als habe die Bevölkerung mit Covid eine unbändige Lust auf Studien bekommen, und nur wenn der Beweis einer Behauptung via Studie erbracht werden kann, kann die Diskussion aufrechterhalten werden. Allein der Hinweis auf eine Studie dient als schlagkräftiges Argument.
Bedauerlicherweise werden doch einige daran scheitern, eine Studie korrekt auszuwerten und logische Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Dies muss man tatsächlich lernen. Wie peinlich eine Falschinterpretation sein kann, hat nun schon des Öfteren unser Bundesgesundheitsminister erfahren müssen.
Nun erschien bei Springer Link am 1. November 2022 eine Studie mit der Überschrift: „Zensur und Unterdrückung von Covid-19 Heterodoxie: Taktik und Gegentaktik.“ Aber ja, Sie haben Recht. Der Titel lädt nun nicht direkt zum Lesen ein. Und als Eyecatcher taugt er auch nicht. Und was bitte ist eine Heterodoxie? Die Heterodoxie kann als abweichende Lehre oder Meinung verstanden werden. Wer das in diesem Sinne übersetzt, wird vermutlich mehr Interesse an diesem Artikel bekommen.
Worum geht es in der Studie? Im Prinzip wird aufgezeigt, dass Personen und deren abweichende Meinungen zu Covid-19 zensiert und dem Ansehen dieser Personen absichtlich geschadet wurde. Mittels bestimmter Unterdrückungstaktiken wurden der Ruf und die Karriere geschädigt – und dies unabhängig des akademischen oder medizinischen Status und dem gesellschaftlichen Ansehen der Personen. Die Taktiken und Gegentaktiken werden in dieser Studie anschaulich beschrieben und einen aufgeschlossenen Leser wird es bei der Lektüre schaudern.
Galileos Beispiel ist nun mehrere hundert Jahre alt. Haben wir uns nicht weiterentwickelt? Ist Wissenschaft nicht vor allem durch den Dialog und Austausch geprägt? Durch die Entwicklung von Thesen und deren Diskussion? Meinung und Gegenmeinung: Ein wissenschaftlich und offen geführter Diskurs ist so wichtig wie das Salz in der Suppe.
Doch spätestens seit Corona gibt es diesen wissenschaftlichen Diskurs nicht mehr. Beziehungsweise es darf ihn nicht mehr geben. Abweichende Meinungen werden nicht gehört. Die Person dahinter wird diskreditiert und gecancelt. Vor allem im ÖRR saßen meist nur Angehörige des Mainstreams. Mutige Gegenstimmen gab und gibt es von Anfang an. Nur wurden diese Personen nicht eingeladen. Kritische Nachfragen durch Journalisten, Redakteure und Moderatoren hatten die Mainstreamer nicht zu befürchten. Sie schwammen auf einer sanften Welle der Sympathie und konnten gelassen den Talkshow-Abend als Teilnehmer vorbeiziehen lassen. Eine Befragung wie durch die Inquisition hatten diese auserwählten Talkshow-Gäste nicht zu erwarten.
Zurück zur Studie. Wie liefen nun die Unterdrückungsmaßnahmen ab? In den sozialen Medien wurden beispielsweise Accounts von kritischen Einzelpersonen und Gruppen gelöscht. Auch wurde die – ich übersetze folgend aus der Studie – „Sperrung der Sichtbarkeit von Inhalten eines Nutzers, ohne ihn darüber zu informieren“, veranlasst. Es wurden Accounts von Personen oder Gruppen gelöscht bzw. deren geäußerten Inhalte „unsichtbar“ gemacht. Grund dafür ist, dass deren gegenteilige Meinung nicht zum öffentlichen Narrativ passen mochte.
Möglich macht dies auch die Technik. Dieser Fakt darf nicht ungeachtet bleiben. Die technischen Möglichkeiten der Einflussnahme von Informationstechnologieunternehmen sind nahezu unbegrenzt. Einerseits bieten diese sogenannten sozialen Medien eine schier unvorstellbare Kontaktvernetzung in aller Welt – und das in Sekunden. Dafür zahlen die Nutzer den Preis der Kontrolle – und letztendlich müssen sie damit rechnen, zensiert zu werden.
Ein sehr nachdenklich stimmendes Beispiel aus der Studie möchte ich nicht vorenthalten. Drei Epidemiologen der Universitäten Harvard, Stanford und Oxford veröffentlichten im Oktober 2020 eine Erklärung, die sogenannte Great Barrington Declaration. Diese Erklärung wurde von vielen namhaften Wissenschaftlern und Ärzten, darunter auch ein Nobelpreisträger, unterzeichnet. Auch die Initiatoren dieser Erklärung waren keine Unbekannten in der wissenschaftlichen Landschaft. In dieser Erklärung sprachen sich die Wissenschaftler gegen allgemeine Lockdowns aus. Sie plädierten vielmehr dafür, dass man sich auf den Schutz der vulnerablen Gruppen konzentrieren solle. Um nun diese sogenannte Gefährdung durch Andersdenkende zu verringern, veränderte Google kurzerhand seinen Suchalgorithmus. Im Klartext: Diese Erklärung sollte nicht mehr so einfach via Suchmaschine gefunden werden. Auch Facebook war nicht untätig und löschte eine Seite, welche von einer Gruppe von Wissenschaftlern eingerichtet worden war, die an der bereits oben genannten Erklärung beteiligt waren.
Besonders hart traf es einen in der Epidemiologie prominenten und weltweit meist zitierten Fachkollegen. Dieser wurde auf Twitter deshalb zensiert, weil er es als Epidemiologe und Experte für Infektionskrankheiten gewagt hatte zu sagen, dass nicht jeder den Covid-19-Impfstoff brauchen würde. Das Account-Profil des Experten wurde zwar nicht gelöscht, jedoch erfolgte eine Verwarnung. Nutzer von Twitter wurden daran gehindert, seinen kritischen Beitrag über die Impfung zu liken oder auf Twitter weiterzuverbreiten, also zu retweeten.
Weitere Beispiele, liebe Leser, entnehmen Sie bitte der Studie. Klar ist jedenfalls, dass unter Beteiligung von Technologieunternehmen die Möglichkeiten der Zensur auf eine neue Schwelle gehoben worden ist, unter der sogar namhafte Wissenschaftler zu leiden hatten.
Werden nun bestimmte Meinungen offen negiert, weggeleugnet oder unterdrückt, so verstärken sich das Misstrauen und die Unsicherheit der Bevölkerung. Es beginnt ein regelrechter Respektverlust gegenüber bestimmten Behörden oder Institutionen. Beispielhaft können hier das RKI (Robert-Koch-Institut) oder die Stiko (Ständige Impfkommission) angeführt werden. Allein die Tatsache, dass das RKI bis heute nicht zwischen „mit“ oder „an“ Covid verstorben unterscheiden kann, führte von Beginn an zu einem massiven Vertrauensverlust in die Zahlen und Aussagen des RKI.
Auch die Impfkommission hat jahrelanges Vertrauen aufgrund nicht nachvollziehbarer Covid-Impfempfehlungen verspielt. Es gab in beiden Fällen auch kritische Stimmen aus den Fächern der Epidemiologie, der Virologie und der Infektiologie. Gehört wurden diese Stimmen nicht. Und so darf es nicht wundern, wenn durch Zensur neben einem enormen Vertrauensverlust auch wichtige Informationen und wissenschaftliche Erkenntnisse übersehen werden. Das alles können Sie in dieser Studie nachlesen.
Wie endete nun meine Diskussion über das Rasenmähen? Gut. Denn schnell waren wir uns einig, dass jeder für seinen eigenen Rasen verantwortlich ist. Und wenn nun meine Grashalme aufgrund der Länge durch den Schnee abbrechen und der Schimmel sich unter der Schneedecke bildet, dann ist es so. Ein wenig Gelassenheit kann auch im Garten nicht schaden. Als wir uns freundlich verabschiedeten und ich weiter durch die kalte Morgenluft spazierte, hörte ich mich selbst sagen: „Und er wächst doch eh wieder.“
Dr. Friedrich Pürner, Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Epidemiologe