Tobias Hans (CDU) stellt 2022 in Deutschland die große Ausnahme da. Er ist einer der ganz wenigen, die für ihr Verhalten während der Pandemie büßen mussten. Vielleicht der einzige. Der Studienabbrecher galt vor Corona als Leichtgewicht, das Amt des saarländischen Ministerpräsidenten hatte der Politikersohn sich nicht in einer Wahl verdient, sondern bekam es von seiner Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) vererbt.
In der Pandemie inszenierte sich das Leichtgewicht dann als Hardliner: Ungeimpfte, so freute Hans sich bei Maybrit Illner, seien mit den 2G-Regeln aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Auch sonst führte er im Saarland strengere Regeln ein als im Rest der Republik: Wer einen Freund besuchte, um ihm in Not zu helfen; wer einkaufen ging und sich dabei mehr als zwei Orte von seinem Wohnort entfernte, der musste hohe Bußgelder bezahlen. Und Hans selber? Fuhr unterdessen in Urlaub. Er gehört zu der Politiker-Generation, die Corona prägte: Die selbst unaufhörlich Opfer fordert, aber wie selbstverständlich nicht dazu bereit ist, diese Opfer auch selbst zu bringen. Im März hat das Saarland gewählt – selten ist ein Ministerpräsident mit so einem harten Tritt aus dem Amt gekickt worden wie Tobias Hans.
Doch Hans ist die Ausnahme. Fast alle sind noch im Amt, die politisch wie verbal während der Pandemie daneben lagen. Zum Beispiel Markus „180 Grad“ Söder (CSU). Er galt als federführend bei den Schließungen von Kitas. Mittlerweile räumt sogar Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein, dass diese überflüssig waren. Söder rief die Menschen dazu auf, ihre Mitmenschen zu denunzieren, wenn diese gegen die Corona-Regeln verstoßen. Damit ließ er sich als „Team Vorsicht“ feiern. Nun, da sich der Wind gedreht hat, möchte Söder gerne die Kritik an den Maßnahmen anführen und setzt demonstrativ das Oktoberfest durch. Geht es nach den Umfragen, bleibt Söder über 2023 hinaus Ministerpräsident in Bayern.
Anderes Beispiel: Malu Dreyer (SPD). Die verkündet 2021 in befreundete Kameras, dass Ungeimpfte gar nicht Weihnachten feiern sollen. Auch wenn es dokumentiert ist, will der rote Grinch es am nächsten Tag nicht gesagt haben. Doch so wie ihre Aussage real ist, ist es auch die Politik, die sie betreibt: Und die lässt Ungeimpften faktisch keine Möglichkeit Weihnachten zu feiern. Auch Dreyer ist noch im Amt, auch bei ihr sprechen die Umfragen dafür, dass sie dort bleiben kann. Und das, obwohl sie während der Ahrflut ihre Landeskinder in deren Todeskampf buchstäblich alleine gelassen hat.
Nun sind Ministerpräsidenten gewählt. Aus gutem Grund gibt es hohe Hürden, sie aus dem Amt zu bringen. Doch das gilt nicht für TV-Experten. Davon gibt es mehr als genug, sie sind verzichtbar, vor allem, wenn es um das Thema Gesundheit geht. Und trotzdem setzen die Sender immer wieder auf den vermeintlichen Weltärzte-Präsidenten Frank Ulrich Montgomery. Obwohl der mit seinen Forderungen oft daneben lag. Obwohl der bewiesen hat, dass er verbal nicht das Wasser halten kann. Für seine „Tyrannei der Ungeimpften“ wäre Montgomery an jedem bayerischen Stammtisch ausgelacht worden. Trotzdem gilt er für die meisten Medien noch als satisfaktionsfähig. Über die Funke-Mediengruppe forderte Montgomery erst jüngst den „zweiten Corona-Booster auch für Jüngere“. Das klingt besser als: die vierte Impfung in weniger als zwei Jahren. Meint aber das Gleiche.
Mit der winzigen Ausnahme Saarland haben sich die Machtverhältnisse nicht geändert. Die Hardliner von einst sind immer noch in politischen Ämtern, auch wenn sie jetzt Kreide gefressen haben, weil jetzt Kreide angesagt ist. Die gleichen Experten kommen zu Wort. Verantwortet von den gleichen Redakteuren wie etwa Rainald Becker – der in den Tagesthemen Menschen als „Spinner“ und „Wirrköpfe“ bezeichnet hat, weil die sich ein freies Leben wie vor der Pandemie zurückgesehnt haben.
Deutschland ist nicht gut durch die Pandemie gekommen. Wirtschaftlich nicht, aber vor allem nicht gesellschaftlich. Am lautesten beklagen die Spaltung diejenigen, die sie durch ihre Attacken herbeigeführt haben. Sie sind wie die Diebe, die nicht ihre Tat bereuen, sondern dass sie erwischt wurden. Außer Krokodilstränen tragen sie wenig zur Aufklärung bei. Für diese gäbe es viele Möglichkeiten: Untersuchungsausschüsse im Bundestag. Selbstkritische Reflexion von Politikern, Experten und Journalisten. Eine ergebnissoffene Analyse in den Medien – allen voran in den öffentlich-rechtlichen. Das alles wird es aber nicht oder bestenfalls kaum geben. Denn dafür fehlt die wichtigste Voraussetzung: die Bereitschaft, sich den eigenen Fehlern zu stellen.
Dreyer, Söder, Montgomery und Konsorten wollen am liebsten, dass ihre Aussetzer still vergessen werden. Deswegen nutzten Ertappte den aberwitzigen Begriff der „Hetzjagd“, als ein liberaler Politiker im Internet an ihre Verfehlungen erinnerte. Der Mantel des Schweigens ist das Kleidungsstück der Stunde. Das ist aber nicht nur unbefriedigend im Sinne der Gerechtigkeit. Die gleiche Besetzung garantiert dafür, dass die gleichen Fehler immer und immer wieder begangen werden, solange ihr Tun nicht reflektiert wird.
Deswegen darf auch Lauterbach so weitermachen, als wenn nie was passiert wäre. Auf Twitter schreibt er: „Der Rückgang der Coronafallzahlen scheint gestoppt…“ In dieser Formulierung kommt zum Ausdruck, wie sich beim Gesundheitsminister die Maßstäbe verschoben haben. Weniger Menschen, die sich infizieren, ist bei ihm etwas, dass es zu stoppen gilt. Der Minister hängt an der Pandemie, der er seine Karriere verdankt. Und die, die ihn stoppen müssten, sind selbst moralisch belastet und handlungsunfähig, weil sie alles vermeiden, was sie an ihre unaufgearbeitete Schuld erinnert.