Tichys Einblick
"Meine Damen und Herren, liebe Neger"

Steinmeier und Schulz? Das nennt man Amtsentwertung

Es geht nicht um die Person Steinmeier, der durchaus die Voraussetzungen zum Bundespräsidenten mitbringt. Es geht um das Verfahren der Wahl, das ihn und das Amt entwertet.

© Turkish Presidency/Murat Cetinmuhurdar/Anadolu Agency/Getty Images

Frank-Walter Steinmeier ist ein anständiger Mann. Er ist ehrlich, den Menschen zugewandt, seine offene, direkte Art ist oft verblüffend. Sein Umgang mit seiner Frau und Freunden zeigt echte Größe. Dieses Ansehen hat erst jüngst gelitten. Seine Ausfälle gegen Donald Trump sind für einen Chefdiplomaten geradezu peinlich; dass er sich beim Staatsbesuch in Ankara von Erdogan im Bus abholen lässt wie ein Pauschaltourist in Anatalya; dass er dann nur vor türkischen Fahnen posiert und die Deutschland-Flagge verschwunden bleibt, zeigt eine seltsame Schwäche vor frechen Despoten. Parkett-Sicherheit sieht anders aus, und dabei wurde er dafür gerühmt. Was ist los mit ihm? Noch mal peinlich, dass er von seiner Sprecherin verbreiten lässt: Herr Steinmeier fährt gerne Bus. Hilfe, Steini, was ist los? Ich teile manche seiner Positionen, etwa sein Durchstehen bei Hartz IV; andere lehne ich ab.

„Meine Damen und Herren, liebe Neger“

Aber das ist nicht die entscheidende Frage – das Amt des Bundespräsidenten ist viel größer als persönliche Vorlieben oder Abneigungen und sichtbare Schwächen; da haben wir ja mit dem gerne vergessenen Heinrich Lübke (Bundespräsident von 1959 bis 1969) Erfahrung: Der verwechselte Osaka mit Okasa, das Viagra jener fernen Zeit. Er lieferte Satirikern Pointen gratis;  „Meine Damen und Herren, liebe Neger“, bei einem Staatsbesuch in Afrika. „Equal goes it loose“ als Übersetzung von „Gleich geht’s los“. Deutschland übersteht so was, zudem Lübke in lichten Momenten ein kluger Mann gewesen sein soll. Wobei uns ein Leser darauf hinweist, dass schon damals die sogenannten Qualitätspresse den Übergang von Wahrheit und Erfindung zu nutzen wußte (Siehe Nachtrag zur Ehrenrettung Lübkes). Aber in diesem Amt geht es nicht nur um Personen, es geht mehr noch um Verfahren, um die Institution. Institutionen überragen Personen und ihre menschlichen Schwächen. Und deswegen halte ich Steinmeier nicht für das Amt geeignet – nicht als Person, sondern als Opfer eines Verfahrens, das die Institution des Bundespräsidenten schwächt.

Und das Verfahren ist mehr als peinlich.

Nach einigem Hin und Her haben sich die Parteivorsitzenden von SPD und Union auf Steinmeier als gemeinsamen Kandidaten geeinigt. Also wird er gewählt; und in der Bundesversammlung, in der Parlamentarier aus Bund und Ländern sowie Parteifreunde die Stimmen abgeben, ist kein großer Widerstand zu erwarten.

Vielleicht zicken die Grünen und die Linken mosern, aber nicht zu laut. Die Grünen, weil sie zur CDU ins Bett wollen. Die Linken, weil sie auf rot-stasirot-grün hoffen; und immerhin ist dann der Präsident schon mal richtig eingefärbt. Mit Christoph Butterwegge stellt die Linke einen Kandidaten auf, der überall und immer Armut findet, nur nicht in seiner Argumentation, die leicht ist wie Balsaholz und Zahlen verwirbelt wie im freilaufenden Hühnerhof die Ausscheidungen. Die AfD wird dagegen stimmen, aber das wird als demokratischer Akt umgedeutet. (Ein besonderer Witz wäre es, wenn sie ihn wählten …) Steinmeier also ist faktisch schon der kommende Bundespräsident. Der deutsche Abgeordnete ist materiell so von seiner Partei abhängig, dass er das Gewissen, dem er laut Grundgesetz verpflichtet ist, leicht überhört. Nicht einmal die volksferne Wahl in der Bundesversammlung ist noch eine echte Wahl unter Alternativen; auch sie ist durch drei Personen bereits determiniert. Das Grundgesetz wird auf das Niveau einer notariellen Bestätigung des Kaufvertrags für eine Hundehütte reduziert; entschieden hat ein Dreier-Gremium, das in keinem Gesetz als letzte Macht beschrieben ist. Es hat sich so eingespielt. Gut ist es deswegen nicht. Eine Institution wird entwertet. Das kennt man von Merkel, deren Gefühl für übergreifende Stabilität eines Staatswesens schwach ausgeprägt ist.

Wahl ohne Wahl und Wahlvolk

Genauso schlimm: Dieses Verfahren, wie mit dem höchsten Amt im Staat umgegangen wird,  passt nicht in die Zeit. Dieser Makel wird an Steinmeier haften bleiben. Weltweit fordern die Menschen mehr Mitbestimmung, ist von einer Ablehnung der Eliten oder des Establishments und ihrer Kungeleien die Rede. Sie wollen gehört werden.

„Der Wahlausgang in den USA ist aber auch ein Signal an die westliche Welt: Er macht deutlich, dass die alten und eingefahrenen Instrumente der arroganten Gesellschaftsverwaltung an den Menschen vorbei nicht mehr greifen. Für das gesellschaftliche Klima in den USA und in Europa wäre es fatal, wenn sich die Politik nun in gewohnter Manier auf die vermeintlich dummen, ungebildeten und rückschrittlichen Wähler einschießen würde. Diese Routine ist nicht nur sinnlos, sondern selbst Ausdruck genau der politischen Haltung, die überhaupt erst diese missliche Lage heraufbeschworen hat.

Nach dem britischen Votum für den „Brexit“ und dem international zu beobachtenden Erstarken von national und autoritär gesinnten Protest- und Anti-Establishment-Parteien sollten die führenden politischen Kräfte in den westlichen Hauptstädten spätestens jetzt beginnen, grundlegend umzudenken. Es zeigt sich, dass die gerade vom politischen Mainstream seit Jahren gepredigte ‚Alternativlosigkeit‘ nicht mehr ausreicht, um die Unzufriedenheit der Menschen zu betäuben und ihren Wunsch nach Veränderung zu unterdrücken. Für den demokratischen Prozess, der ja aus dem Wettstreit zwischen verschiedenen politischen Konzepten und Ausrichtungen heraus entsteht, kann dies nur positiv sein,“ schreibt Matthias Heitmann.

Natürlich wäre es eine Option, den Bundespräsidenten zu wählen. Dazu bedürfte es einer Grundgesetzänderung, die so schnell nicht zu machen ist. Das lustigste Argument dagegen wurde mir kürzlich in der Münchner Runde des BR entgegengehalten: Man sehe ja in Österreich, dass man die Leute nicht wählen lassen kann … Genau diese Volksverachtung aber ärgert das Volk, oder was immer wir darunter verstehen, also die Wahlberechtigten.

Warum genau Steinmeier?

Dabei lohnt es sich zu untersuchen, warum die Wahl auf Steinmeier fällt. Dass SPD-Chef Sigmar Gabriel ihn vorgeschlagen hat, ist nicht zu kritisieren – erstens, weil Steinmeier sein Mann, ein Politiker der SPD ist und zweitens, weil Gabriel sagenhaften Erfolgt damit hatte: Schließlich hat die CDU ja im Bundestag fast doppelt so viele Mandate wie die SPD. Da wackelt der Schwanz mit dem Hund, oder wie Hugo Müller-Vogg hier kommentierte: „’Wer kämpft, kann verlieren; wer nicht kämpft, hat schon verloren‘ ist durch den Kotau der Union vor der SPD bestätigt. Die kaum noch kampagnenfähige Union mutiert zum Juniorpartner der SPD. Man kann auch sagen: Die Selbstverzwergung geht weiter.“

Der Sieg für Gabriel ist um so triumphaler, weil er wenige Wochen vorher eigentlich die große Koalition zugunsten einer rot-stasirot-grünen Koalition für die Zukunft aufgekündigt hat. Der ungetreue Partner Gabriel wird also für seine Untreue noch mit der Morgengabe des Präsidentenamts für seine Partei belohnt; oder umgekehrt: die verlassene CDU wirft ihm noch das Präsidentenamt hinterher. Und es könnte noch besser kommen: Möglicherweise räumt Steinmeier schon in den nächsten Wochen das Außenministerium für Martin Schulz, der vom Europaparlament nach Berlin wechselt. Dort könnte er dann mit den Insignien und dem Apparat der Macht ausgestattet den SPD-Kanzlerkandidaten geben – dann hat sich Merkel auch noch den Konkurrenten ins Kabinett geholt – mehr Versagen geht nimmer. Und das Publikum wendet sich mit Grausen ob dieser durchschaubaren Spielchen.

Warum verzwergt sich die Union? Angeblich hat sie keinen Kandidaten oder Kandidatin gefunden – oder diese hätten das Risiko gescheut, nicht gewählt zu werden. Nun ist es keine Schande, wenn man keine Mehrheit erhält; das ist ein urdemokratisches Prinzip und die hundert-Prozent-Wahl ein Merkmal von Diktaturen.

Etwas anderes steht dahinter:

Koalitionsspielchen

Angela Merkel wollte unbedingt den grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann zum Präsidenten küren. Sie will damit den Weg zu der schwarz-grünen Koalition im Bund ebnen und so nebenbei die Grünen in Baden-Württemberg schwächen, die ohne Kretschmann nicht viel mehr sind als ein wirrer Haufen.

Die CSU blockiert schwarz-grün; die Bayern wollen sich so nicht verzwergen lassen.

Aus diesem Dilemma fand Merkel den ihr gemäßen Ausweg zu Lasten von Person und Institution. Zwar hat sie im Auftrag der Union viele mögliche Kandidaten gefragt – aber jeder wusste: Pro Forma, und bei geeigneter Konstellation im zweiten oder dritten Wahlgang, wäre die Treue der Kanzlerin und ihrer Partei so wenig wert wie ein Solar-Panel ihrer Energiewende in finsterster Nacht. So bald es geht, würde sie „Ihren“ Kandidaten opfern und auf Grün umschwenken. Als Rangiermasse für das Umparken der Kanzlerin hin zu den Grünen aber will sich keiner missbrauchen lassen.

Es ist dieses Spiel der Macht, von dem sich nicht nur potentielle Präsidenten-Kandidaten abgestoßen fühlen, sondern zunehmend auch Wähler. Sie lernen, dass eine Stimme für die CDU am Ende auch bei den Grünen oder der SPD landen kann. Die alte Koalitonsarithmetik eines Parteiensystems aus Union, FDP und SPD hat sich totgelaufen. Was früher als Tugend galt, dass die Parteien miteinander Koalitionen bilden können, wird zum Wählerschreck: Wer SPD wählt, kann die Linke an die Macht wählen, die früher die Sozis in Gefängnisse steckte. Oder aber der CDU zur Kanzlerin verhelfen; alles ist möglich.

Und wer CDU wählt, kann eben die Grünen kriegen, deren Werte mit denen der meisten CDU-Anhänger nicht kompatibel sind. Merkels Beweglichkeit in alle Richtungen ohne Rücksicht auf Institutionen demotiviert die Kernwähler der CDU, denn klar ist: Wahlaussagen gelten nur bis zum Beginn der Koalitionsverhandlungen, dann sind sie Spielmasse, die gegen Ämter getauscht wird.

Und jetzt also Steinmeier. Und dann noch Schulz?

Steinmeier ist ein ehrenwerter Kandidat. Seine Wahl durch drei Parteivorsitzende aber belastet ihn mit dem Makel der Missachtung der Wähler und missbraucht seinen Anstand. Schulz, das ist der aus dem Europa-Parlament, der Bundeskanzler werden will, taktiert noch mit den verschiedenen Ämtern und schiebt sich die Pöstchen noch zurecht.

Darunter leiden Institutionen.

Und das ist schlimmer, als wenn einer Neger sagt.

Nachtrag: Lübke-Englisch nannte man es.  Beispielsweise soll Heinrich Lübke bei einem Staatsbesuch von Elisabeth II., während sie auf den Beginn eines Pferderennens warteten, gesagt haben: Equal goes it loose, was Gleich geht es los bedeuten sollte. Dieses sowie andere angebliche Zitate waren jedoch Erfindungen der Spiegel-Redaktion. Aber dabei bleibt es nicht. Schon damals galt: Es hätte so sein können. Als „Staatsoberhaupt mit den ausgewiesen miserablen Englisch-Kenntnissen“ habe man ihm nach Ansicht der Frankfurter Allgemeinen solche Zitate jedoch durchaus zugetraut, schreibt dazu Wikipedia. Als Ausdruck vieler Zeitgenossen, „sich Wort für Wort durch die Weltsprache zu hangeln und zu haspeln“, habe diese deutsche Eigenart „Eingang ins kollektive Gedächtnis“ gefunden. 

Die eigentliche Würdigung Lübkes steht aus; man darf wohl sagen: Er ist ein Rufmordopfer der damaligen Kampagnen.

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