Das Ifo-Institut hat die Kosten des Staates für die drei Entlastungspakete der Bundesregierung berechnet. Zu den reinen Zahlen – rund 135 Milliarden Euro in den Jahren 2022, 2023 und 2024, also 3,8 Prozent der Wirtschaftsleistung des Jahres 2021, plus rund 90 Milliarden für die noch nicht vom Bundestag abgesegnete Gas- und Strompreisbremse – sah sich Ifo-Forscher Andreas Peichl genötigt, noch eine eigentlich banale Feststellung mitzuliefern: „Die Realeinkommensverluste durch die höheren Energiepreise müssen gesellschaftlich getragen werden. Der Staat kann diese Verluste nicht verhindern, er kann sie nur umverteilen. Wenn der Staat versucht, die gesamte Bevölkerung abzuschirmen, kann er weniger öffentliche Güter bereitstellen oder muss in der Zukunft höhere Steuern erheben.“
Wenn sich die politische Klasse, jedenfalls zumindest die derzeit regierenden Parteien, in einem einig sind, dann ist es die Ablehnung der erstgenannten Option. Vor allem, sofern diese „öffentlichen Güter“ irgendwie unter ihren Lieblingsvokabeln „sozial“, „Solidarität“, „Klimaschutz“ oder Ähnlichem einzuordnen sind. Ein sich selbst einschränkender Staat liegt jenseits ihres Denkhorizonts. Denn der bedeutete auch Einschränkungen für die politische Klasse selbst, die diese öffentlichen Güter verwaltet und zuteilt.
Sie schlagen auch vor, was die „Wirtschaftsweisen“ früherer Zeiten immer ablehnten: höhere Steuern. Konkret soll der Spitzensteuersatz von gegenwärtig 42 Prozent zeitlich befristet angehoben oder alternativ ein Energie-Soli für Besserverdienende eingeführt werde. Sie wollen Bürger mit wenig Geld entlastet sehen, die „einen wesentlich höheren Anteil ihres Einkommens für Miete und Lebensmittel ausgeben als Haushalte mit höherem Einkommen“.
Der Gedanke, dass der Staat in dieser Krise womöglich selbst seine Ausgaben reduzieren könnte, wie das jedes vernünftig geführte Unternehmen und jeder Privathaushalt tun muss, taucht in dem Gutachten nicht auf. Die Vokabel Sparsamkeit fehlt in ihm gänzlich, nur einmal ist vom „Kraftstoffsparen“ die Rede
Finanzminister Christian Lindner beeilte sich zwar mit einer Absage: Die Bundesregierung beabsichtige, „keine Steuern zu erhöhen“. Aber die bisherige Erfahrung mit der Ampel-Koalition spricht nicht gerade für die Durchsetzungskraft des kleinsten Partners FDP.
Dass der Spitzensteuersatz längst nicht nur „Spitzenverdiener“ betrifft, sondern schon ab einem Jahresgehalt von noch nicht einmal 59.000 Euro (bei verheirateten Doppelverdienern 117.000 Euro) für jeden Euro fällig wird, der darüber hinausgeht, also mehrere Millionen Menschen aus der Mittelschicht betrifft, spielt für die Wirtschaftsweisen offenbar ebenso wenig eine Rolle wie für Schneider und andere der üblichen Talkshow-Solidaritäts- und Steuerdebattierer. Es soll wohl so den meisten Spitzensteuersatzzahlern, die sich mit Mühe eine bürgerliche Existenz aufgebaut haben, verschleiert werden, dass nicht (nur) Topmanager und Millionenerben betroffen sind, wenn von jenen „Reichen“ die Rede ist, die die exorbitant steigenden Preise angeblich problemlos verkraften und den anderen dabei helfen sollen.
Dieser Sachverständigenrat war einst so etwas wie das Gewissen der marktwirtschaftlichen Ordnung und Vernunft. So haben sich die Vorgänger des jetzigen jedenfalls seit den fernen Zeiten Ludwig Erhards, der 1964 den Rat einsetzte, ihren halb ironischen, halb ehrfurchtsvollen Spitznamen verdient. Zuletzt wirksam wurde sein politisches Gewicht in der Ära von Gerhard Schröder, als die damaligen Weisen vor allem die Agenda-Reformen antrieben. Damals forderten sie eine dann auch vollzogene massive Steuersenkung für Unternehmen und Bürger. Wirtschaftsweise, die nach höheren Steuern verlangen – das schien jahrzehntelang undenkbar.
Über die Jahre sorgte die SPD, mittlerweile auch die Grünen, allmählich für eine ihr genehmere Zusammensetzung des Rates. Der Jubel von Ulrich Schneider („Sogar die Wirtschaftsweisen…“) zeigt, wohin die Reise mit dieser Institution der alten Bundesrepublik gegangen ist. Schaut man die Titel früherer Gutachten an (Seiten 429 ff.) , in denen vor allem der Begriff „Stabilität“ oft vorkam und zum Beispiel 2003 „Staatsfinanzen konsolidieren“ gefordert wurde, wird die Veränderung ab Ende der 2010er Jahre deutlich: „gemeinsam bewältigen“, „Transformation“, „Klimapolitik“ …