Tichys Einblick
Realitätsverweigerung

Die Liebediener – Ökonomen stützten die verharmlosenden Inflationsprognosen der EZB

Die EZB hat lange die Inflationsgefahr verharmlosen können, weil renommierte Ökonomen ihr dabei behilflich waren. Nicht zuletzt der Präsident des DIW stieß ohne Unterlass in das Horn der EZB-Oberen. Der Scherbenhaufen der EZB-Stabilitätspolitik ist auch ein Fiasko ihrer Hof-Ökonomen.

Hauptsitz der EZB in Frankfurt am Main

IMAGO / Hannelore Förster

Sogar in einem Leitmedium des deutschen Establishments werden die Prognosefehler der EZB bei der Einschätzung der Inflation mittlerweile abgehandelt. Dies lässt sich deshalb nicht vermeiden, weil zahlreiche Vertreter von Geschäftsbanken und Vermögensverwalter die krassen Fehlprognosen der Inflationsentwicklung durch die EZB beim Namen nennen. In Deutschland ist so eine Diskussion in Gang gekommen, auf die man in Frankreich noch getrost warten darf. Dort ist die EZB-Politik genauso wenig ein Thema wie das Interview von Präsidentin Christine Lagarde in einem Boulevard-Blatt zu überwiegend privaten Sachverhalten, welches sogar den Weg auf die amtliche Webseite der EZB fand.

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In der Diskussion über die Methodenfehler der EZB bei der Inflationsprognose wird bislang Kritik an jener wissenschaftlichen Megastruktur ausgespart, die es der EZB ermöglicht hat, trotz unübersehbarer Indizien für die seit Ende 2020 zunehmende Inflationsdynamik ihre anmaßende, kontrafaktische Behauptung aufrechtzuerhalten: die inflationären Tendenzen seien nur ein Intermezzo und würden sich von selbst zurückbilden. Angesichts des von der EZB seit 2008 (durch eine versiebenfachte Geldmenge M3) geschaffenen inflationären Potenzials widersprach diese Realitätsverweigerung jeglicher ökonomischen Ratio und hätte besonnene Monita der Wirtschaftswissenschaftler hervorrufen müssen. 

Doch das Gegenteil war der Fall: Der Präsident des DIW stieß ohne Unterlass in das Horn der EZB-Oberen. Vorsichtiger verhielt sich – um wissenschaftliche Glaubwürdigkeit besorgt – der Ifo-Chef Clemens Fuest. Volker Wieland – der devote Organisator der ECB-Watcher-Conference, einer Veranstaltung, bei der kritische Fragen nicht zugelassen werden – gesellte sich erst zu den moderaten EZB-Kritikern, nachdem der Sachverständigenrat eine Inflationsprognose vorgelegt hatte, die der EZB zuwiderlief. Das Institut der deutschen Wirtschaft lässt durch seinen Präsidenten nicht Kritik an der bisherigen Inflationsignoranz der EZB, sondern Unterstützung für den zinspolitischen Kurswechsel bekunden. Selbst die hochangesehene Bank für Internationalen Zahlungsausgleich erklärte durch ihren Präsidenten Carsten noch am 29. Dezember 2019: „Kurzfristig ist Inflationsdruck kaum vorstellbar“.

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Der Scherbenhaufen der EZB-Stabilitätspolitik ist also auch ein Fiasko ihrer Hof-Ökonomen. Deren fachliche Autorität liegt am Boden. Dies gilt nicht nur für die politisch motivierte Verharmlosung der Inflation, sondern auch für haarsträubende Herleitung der mit „Deflationsgefahren“ begründeten Anleihenkaufpolitik. Es ginge beim PSPP, so DIW-Präsident Marcel Fratzscher, unter anderem um die „Entstörung der Transmissionskanäle der Geldpolitik“, ohne indessen dargelegt zu haben, wodurch diese „Transmissionskanäle“ jemals gestört gewesen seien. Auch beim Pandemischen Notaufkaufprogramm (PEPP) mit einem Volumen von ca. 1,8 Billionen Euro mussten die „Transmissionskanäle“ herhalten, um die Geldmengenerweiterung zu rechtfertigen. Die EZB sei verpflichtet, die „Einheitlichkeit der Geldpolitik“ im Euroblock zu gewährleisten. 

Angesichts von Inflationsraten zwischen 6 und 24 Prozent innerhalb der Währungsunion dürfte die Legitimation des gigantischen Geldmengenwachstums aus dem Postulat „einheitlicher Geldpolitik im Euro-Raum“ sich selbst widerlegen. Mehr noch: Die ökonomische Heterogenität des Euroblocks stellt die Möglichkeit einheitlicher Geldpolitik prinzipiell in Frage. Indes wollen die meisten Makroökonomen diese Frage gar nicht aufwerfen. Denn damit würde das Brüsseler Dogma der Unumkehrbarkeit der Europäischen Währungsunion in Zweifel gezogen. So beeilte sich der Brüsseler Ökonom Gros, in einem Papier für das Europäische Parlament die Prognosefehler der EZB apologetisch zu deuten. DIW-Chef Fratzscher ist sogar der Meinung, dass die EZB die Inflation gar nicht kontrollieren könne und daher ein zinspolitisches Gegensteuern sinnlos sei. 

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Die Hoffnung, dass Ökonomen kritische Worte zum Banken-Pampering in Gestalt des TLTRO (auf Deutsch: Gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte) finden, scheint angesichts ihrer Demut gegenüber der EZB naiv. Dabei war es ordnungspolitisch von Anfang an problematisch, dass die EZB Kreditinstitute für die großzügige Ausreichung von Krediten prämiert. Nichts anderes ist TLTRO und ersetzt so die marktwirtschaftliche Eigenverantwortlichkeit der Banken bei ihren Kreditdispositionen durch ein intransparentes, zentralbankpolitisches Kreditanreizsystem.

Gleiches gilt für das qualitative easing, also die Erweiterung notenbankfähiger Pfänder und die Herabstufung der Anforderungen an ihre Bonität. Die EZB meint, die in den Europäischen Verträgen geregelte Mindestanforderung an Pfänder („adequate collateral“) je nach der Liquiditätssituation der Banken absenken zu dürfen. Nur eine winzige Zahl von Makroökonomen hat die Kollateralpolitik überhaupt auf ihrem Radar und umschreibt die Risiken für die Bilanz der EZB sowie die davon ausgehenden Wettbewerbsverfälschungen. Dabei wäre es gerade die Aufgabe der Wissenschaft, das transparent zu machen und vorurteilsfrei zu problematisieren, was der Öffentlichkeit aufgrund seiner Komplexität entgeht. Wenig Kritik ist von Finanzkapital-affinen Makroökonomen zu der Frage zu hören, wieso trotz Beendigung der Covid-Pandemie die Tilgungsbeträge aus dem Pandemischen Notkaufprogramm (PEPP) bis Ende 2024 unabhängig von dem EZB-Kapitalschlüssel so wiederangelegt werden, dass es keine zu große Zinsspreizung zwischen deutschen und italienischen Anleihen gebe. Genauso wenig wird problematisiert, wieso im PEPP griechische Anleihen trotz unzureichender Bonität erworben und ihre Tilgungsbeträge bis zum 31. Dezember 2024 wieder angelegt werden.

Nach dem EZB-Zinsschritt
Die Zinswende ist da, aber das Vertrauen in die EZB ist weg
Diese Voreingenommenheit der makroökonomischen Liebediener der EZB ist schmerzlich in einer Debatte, die nach Wahrheit ruft. Um die aus Deutschland erschallenden Rufe nach einer konsequenten zinspolitischen Wende zu entkräften, steuerten Bianchi/Melosi pünktlich für das Treffen in Jackson Hole ihre Warnung bei, dass bei radikalen Zinsschritten eine Rezension provoziert und infolgedessen die Bewältigung des Schuldenproblems unmöglich werde. Natürlich werden für diese schlichte Erkenntnis komplexe Modelle bemüht, deren Zweck darin besteht, die politischen Intentionen der Verfasser zu verschleiern und die Inflation – im Interesse der Schuldenländer – zu perpetuieren. Aus dem IWF-Biotop meldet sich mit derselben Stoßrichtung zur Reform des Stabilitätspakts der EZB-bekannte Vitor Gaspar zu Wort. 

Die Makroökonomie hat sich weitgehend zum Liebediener der EZB-Politik gemacht. Doch ihr imperialer Anspruch wird zunehmend von der tristen Realität unikater Inflationsraten und historisch einmaliger öffentlicher Schuldenstände erschüttert. Man ist versucht, an Lord Denning zu erinnern: „Be you ever so high, the law is above you.“ Auf die ausstehenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts darf man gespannt sein. 

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