In einer Demokratie muss diskutiert, muss gestritten werden – auch mit harten Bandagen. Fairness ist ein weiter Begriff, doch bei aller Unschärfe besitzt auch dieser Begriff einen Kern und Grenzen. So auch in der Frage des Bürgergeldes, steht doch hier die grundsätzliche Frage auf der Tagesordnung, ob sich Arbeit noch lohnt oder nicht. Eine sachliche Debatte anhand von Fakten wäre also führbar. Nun ist der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil der Debatte ausgewichen, indem er der Union vorwarf, in der Diskussion über das Bürgergeld mit falschen Zahlen umzugehen und Geringverdiener gegen die Menschen auszuspielen, die auf den Staat angewiesen seien.
Darüber ließe sich in der Tat debattieren, auch darüber, dass Klingbeils Bürgergeld einem Raubzug bei denjenigen darstellt, die in steuerpflichtigen Jobs arbeiten und demzufolge die Staatsquote zu blechen haben. Doch Klingbeil hebt nicht auf die Fakten ab, argumentiert auch nicht, sondern holt die große Moralkeule, die Unterstellung heraus, wenn er selbstherrlich sich das Urteil anmaßt: „Wer sich so verhält, wer den Weg von Donald Trump, der Verbreitung von Fake News einschlägt, wer der Meinung ist, man müsse das Land spalten, hat nichts mehr in der politischen Mitte dieses Landes verloren.“
Die CDU ist also, weil sie nicht der Meinung der SPD ist, auf dem Weg Donald Trumps und spaltet das Land? Wer das unternimmt, hat für Klingbeil „nichts mehr in der politischen Mitte dieses Landes verloren“. Die SPD hatte einst Vorsitzende wie Willy Brandt und Kanzler wie Helmut Schmidt – long, long ago. Die Mitte des Landes ist inzwischen für die Politiker der Ampel eigentlich der linke Rand, die woken Milieus der Innenstädte, der Lehrer und Staatsbediensteten, der Migrations- und Genderforscher und vor allem der NGO-Aktivisten, die immer mehr hoheitliche Aufgaben übernehmen sollen, damit der tiefe Staat der Roten und der Grünen entsteht, indem diese NGOs und vor allem ein Heer von Politkommissaren als Gleichstellungs- und Diversitätsbeauftragte dem Staat vorgelagert werden. Dadurch wird die Demokratie von einer Gemeinwohldiktatur abgelöst. Orwells „Farm der Tiere“ als Spin-off.
Die für ihre wissenschaftlichen Abschlüsse, ihre hohe Bildung und die Subtilität ihrer Äußerungen berühmte Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, hat im gleichen Ton Friedrich Merz vorgeworfen „nicht nur rechte Narrative, sondern knallharte russische Propaganda“ zu betreiben. Und dann verbal übergriffig geäußert: „Die CDU wäre als Partei gut beraten, ihr lautes Schweigen zum Hardcore-Populismus ihres Vorsitzenden zu brechen“, weil Merz vor der Überforderung des Sozialstaates gewarnt hatte. In der Sache hatte Lang, die die Phrase mit der Sache zu verwechseln pflegt, nichts beizutragen.
Es ist inzwischen Mode geworden, nicht-linke und nicht-grüne Politikvorstellungen als „rechts“, womit eigentlich rechtsextrem gemeint ist, zu verleumden, es ist Mode geworden, politisch Andersdenkende als Schwurbler, als Hater, als Hetzer, als Querdenker, als Verschwörungstheoretiker, als Rechtsextreme, als Terfs, als Rassisten, als Faschisten, als Ratten zu bezeichnen. Grüner und roter Humanismus erinnert sprachlich nur allzu sehr und allzu genau an frühere Zeit. Die Markierungen sind austauschbar.
Klingbeil, aber auch die Grünen, vor allem ihre Gefolgsleute in den öffentlich finanzierten grünen Medien und in vielen Zeitungen wissen, dass die Behauptung, rechts oder ein Hater oder Hetzer oder Schwurbler zu sein, genügt, um Kritik an ihnen sowie andere Meinungen zum Verstummen zu bringen. Nur schaden sie damit der Demokratie. Da sie einzig die Machtfrage interessiert, scheinen ihnen Anstand und Wahrheit völlig gleichgültig zu sein, so wie es Angela Merkel nicht im mindesten interessiert hat, eine völlig entkernte Partei und ein Land, das in seine existenzielle Krise stürzt, zu hinterlassen. Allerdings vergessen die Linken und Linksliberalen, die SPD und die Grünen dabei, dass sie sich auf nichts berufen können, was sie selbst abgeschafft haben. Fairness beispielsweise. Diskussionskultur, beispielsweise. Umgangsformen und Respekt, beispielsweise.
In den öffentlich finanzierten grünen Medien wird man in den Kommentaren in Tagesschau und Tagesthemen und im heute-journal schamlos und dreist, häufig von mediokren Geistern, angeschnauzt, angeschnarrt, belehrt und indoktriniert, seitdem der Journalismus durch Propaganda, neudeutsch: Aktivismus, ersetzt worden ist. Beliebt sind inzwischen die aus der Geschichte bestens bekannten Bezeichnungen für Menschen wie beispielsweise Ratten. So hat in der ARD ein Kommentator gerade davon gesprochen, dass „offenbar auch rassistische oder verschwörerische Ratten aus ihren Löchern kriechen dürfen“, die wieder „in ihre Löcher zurück geprügelt werden“ müssen.
Der Stiftungsvorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Jan Philipp Albrecht, gab in seinem Tweet vom 30. Oktober 2022 ein Musterbeispiel an grünem Humanismus, als er von „Hater, Nationalisten und Antidemokraten“ schrieb, „die jetzt auf Twitter aus ihren Löchern gekrochen kommen“, was die Assoziation der Ratten, die wieder in ihre Löcher geprügelt werden müssen, nahelegt.
Heinrich Böll würde sich im Grab umdrehen, wenn er lesen würde, welche menschenfreundlichen und toleranten Tweets vom Chef einer Stiftung veröffentlicht werden, die seinen Namen trägt. Wahrscheinlich würde er unter dem Eindruck eine Erzählung unter dem Titel schreiben: „Die verlorene Ehre des Heinrich Böll“.
Auch der ehemals als liberal geltende grüne Politiker Konstantin von Notz sieht die CDU bereits am rechten Rand: „Ich sag es ungern, aber #CDU + #CSU sind durch ihre bundespolitische Linie der #FundamentalOpposition auf einem gefährlichen Weg. Wer in Zeiten von #Trump + #noAfD auf gesellschaftliche Spaltung und populistische Stimmungsmache setzt, riskiert die Mitte final zu verlieren. #Merz“.
Wie zartbesaitet muss Konstantin von Notz sein, dass er die handzahme CDU in Fundamentalopposition erblickt und meint, dass sie die Mitte verliere, weil die Grünen in ihrer Hybris meinen, die Mitte der Gesellschaft zu vertreten?
Der WDR-Journalist Georg Restle beschimpft alle diejenigen, die nicht seine Auffassung teilen, als „Honks“.
Zuvor hatte Restle wie üblich die Konservativen und die brave CDU/CSU zu Verbündeten von Faschisten erklärt: „Unfassbar: Die europäischen Konservativen bejubeln künftige Bündnisse mit Faschisten in Europa. Von welchen ‚pro-europäischen Werten‘ spricht die europäische Fraktion von @CDU und @CSU da eigentlich?“
Was sich aber auf allen Kanälen von Twitter bis hin zu den öffentlich finanzierten grünen Medien in letzter Zeit beobachten lässt, ist eine Radikalisierung der Sprache und eine in Demokratien beispiellose Dämonisierung des politischen Gegners, wie man sie bisher nur aus totalitären Diktaturen kennt.
Liegen die Nerven bei den Regierenden und ihren Medien so sehr blank, dass sie jegliche Contenance verlieren? Allen Grund haben sie dazu. Denn sie kämpfen ums Überleben mit einem mächtigen Gegner. Ihr Gegner ist nicht die CDU/CSU, auch nicht die AfD. Ihr Gegner ist die Wirklichkeit. Weil sie nicht gegen die Wirklichkeit gewinnen können, müssen sie jeden, der auf das hinweist, was wirklich geschieht, mit immer gröberen Mitteln bekämpfen. Weil sie die Wirklichkeit aus ihrem Denken verbannt haben, radikalisieren sie sich, bunkern sich in ihren Lebenslügen und Utopien ein.
Am 8. Oktober twitterte der Chef der Grüne Jugend, Timon Dzienus, der auch schon mal behauptet hatte, dass „coole Kids“ kein Vaterland hätten: „Solidarität an all die mutigen Antifaschist*innen, die sich heute der AfD und ihrer widerlichen Hetze entgegen stellen!
Heute Nazis in Berlin blockieren & morgen Nazis aus dem Landtag in Niedersachsen werfen!“
Die Grüne Luisa M. Neubauer jedenfalls hat bereits am 1. November gedroht: „Solange die Regierung gerechten Klimaschutz blockiert, wird es in der Gesellschaft immer mehr Spaltung geben. Und wenn die großen Fragen zur Klimakrise nicht in Parlament & Kabinett beantwortet werden, werden die Fragen zunehmend auf die Straßen getragen.“
Es ist nur so, dass die Roten und die Grünen mit Angst, mit Einschüchterung, mit Fake News, mit Framing und mit Spaltung arbeiten. Wenn Luisa M. Neubauer die Fragen auf der Straße klären will, eröffnet sie damit in der Tat eine neue Möglichkeit, die Frage zu klären, denn auf die Dauer reichen auch die größten Propagandaapparate nicht aus, um gegen die Wirklichkeit erfolgreich zu sein. Und die Straße ist ein Teil der Wirklichkeit.