Tichys Einblick
Petition pro Atomkraft

Wissenschaftler plädieren im Bundestag für Kernkraft

Die Initiatoren der Petition pro Atomkraft werden in der kommenden Woche im Parlament auf eine rationale Energiepolitik drängen. Die Initiative zeigt: Auch Forscher, die nicht zum grünen Milieu gehören, melden sich mittlerweile deutlich zu Wort.

Andre Thess, Professor für Energiespeichertechnik an der Universität Stuttgart

IMAGO / Günther Ortmann

Der 9. November 2022 könnte zu einem historischen Tag werden – weniger wegen des Mauerfall-Jubiläums, sondern wegen eines politischen Vorgangs im Berliner Regierungsviertel. An dem Tag erhält der Ausstieg aus dem deutschen Atomausstieg möglicherweise einen entscheidenden Schub, und zwar durch zwei Wissenschaftler, die vor kurzem zusammen mit 18 weiteren Kollegen eine Petition zur Beibehaltung der Kernkraft auf den Weg brachten. In der kommenden Woche reisen sie nach Berlin, um vor dem Petitionsausschuss des Bundestages ihre Positionen zu begründen.

Bei dem Forscher-Duo handelt es sich um André Thess, Professor für Energiespeichertechnik an der Universität Stuttgart, und Anna Veronika Wendland, eine Technik-Historikerin, die am Herder-Institut Marburg und an der Universität Gießen forscht. Beide gehören zu den Hauptinitiatoren der „Stuttgarter Erklärung“, in der 20 Wissenschaftler von gut einem Dutzend Hochschulen und Instituten die Weiternutzung der Kernkraft in Deutschland fordern, und zwar nicht nur, wie es die Berliner Koalition will, bis zum 15. April 2023, sondern zeitlich unbegrenzt. Die Petition erreichte gut 60.000 Unterschriften, und damit noch 10.000 Voten mehr, als zur Annahme erforderlich gewesen wären.

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Der Auftritt von Thess und Wendland ist taktisch geschickt organisiert: Der Stuttgarter Professor mit Dresdner Wurzeln gehört zu den wichtigsten Forschern auf dem Gebiet der Energiespeicherung, er zählt sich selbst zum liberal-konservativen Spektrum. Wendland, die sich 2021 über die Nutzung der Kernkraft in Osteuropa habilitierte und zu Forschungszwecken auch in einem ukrainischen Atomkraftwerk gearbeitet hatte, bringt Expertise zum Thema der Kernkraftnutzung mit. Die Wissenschaftlerin rechnet sich zum linken Milieu; bis 2021 gehörte sie dem Fachbeirat Europa der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung an. Mittlerweile ist Wendland allerdings eine dezidierte Kritikerin der von den Grünen vertretenen Energiepolitik. Deren Anti-Atomkurs hält sie für irrational.

Dass am 9. November zwei Forscher mit unterschiedlichem politischen Hintergrund, aber mit dem gleichen Ziel vor den Abgeordneten sitzen und reden werden, macht es Ideologen auf der anderen Seite schwer, den Vorstoß nach üblichem Muster zu diskreditieren, um eine inhaltliche Debatte zu verhindern. Diese Versuche gab es im Vorfeld, allerdings so unbeholfen, dass sie der Pro-Kernkraft-Aktion nicht ernsthaft schaden konnten. Schon die Tagung zur Energiewende an der Universität Stuttgart im Juli, aus der die Erklärung der Wissenschaftler hervorging, versuchten Journalisten und Aktivisten als „rechts“ zu etikettieren. Die Plattform T-Online tat sich damit hervor, ohne den geringsten Beleg zu behaupten, an der Konferenz hätten „Klimaleugner“ teilgenommen – eine frei erfundene Behauptung. In einem Artikel auf Zeit.de bemühte sich eine Journalistin, Wendland in die rechte Ecke zu schieben und ihr die wissenschaftliche Qualifikation abzusprechen, kassierte aber wegen einer Falschbehauptung eine Niederlage vor Gericht.

Bei ihrem Plädoyer in der kommenden Woche haben Thess und Wendland nicht nur die Autorität von 18 weiteren Wissenschaftlern und die Stimmen von gut 60.000 Petitionsunterzeichnern auf ihrer Seite. Das, was sie fordern, deckt sich nach zahlreichen Umfragen auch mit dem Willen von zwei Dritteln bis drei Vierteln der Deutschen, die sich für einen unbegrenzten Weiterbetrieb der Kernkraftwerke aussprechen. Anders als die Koalitionäre in Berlin rechnen sie nicht damit, dass die Energiekrise pünktlich am 15. April 2023 beendet sein wird, trotz derzeit sinkender Gaspreise. Die Ampel-Parteien wetten bei dem willkürlich gesetzten Enddatum für die drei verbliebenen Atommeiler auch darauf, dass die Flüssiggas-Terminals an der Küste rechtzeitig fertiggestellt werden. Angesichts der Geschichte technischer Großprojekte in Deutschland ist das eine ebenso kühne wie riskante Spekulation, von der am Ende die Versorgungssicherheit von 82 Millionen Menschen abhängt.

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„Die Kernforderung besteht für uns darin, die drei zur Abschaltung vorgesehenen Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, und zwar nicht bis zu einem willkürlich gewählten 15. April, sondern so lange, wie wir sie für die Energiesicherheit brauchen“, so André Thess im Interview mit TE (das vollständige Interview lesen Sie in der November-Printausgabe von „Tichys Einblick“). „Die zweite Stufe besteht darin, dass wir aus Gründen der Energiesicherheit und aus Gründen der CO-2 Reduktion auch die drei bereits abgeschalteten Kernkraftwerke wieder reaktivieren sollten“, so Thess. „Und drittens sind sich die meisten Unterzeichner einig, dass wir in Deutschland eine breite Diskussion über die Frage eines geordneten Wiedereinstiegs in die Kernenergie brauchen.“

In dem Interview spricht sich Thess außerdem dafür aus, dass sich liberal-konservative Politiker in öffentlichen Debatten künftig stärker zu Wort melden sollten. „Ich glaube, dass wir in der Gesellschaft gut beraten sind, wenn wir auch in der Öffentlichkeit die Diskussion zwischen Wissenschaftlern in ihrer Breite widerspiegeln“, meint der Stuttgarter Energieexperte: „Damit meine ich eine gewisse Balance halten zwischen den, ich nenne es mal liberal-konservativen Meinungen einerseits, um die Begriffe links und rechts zu vermeiden, und sozial-ökologischen Meinungen andererseits. Wenn wir diese Breite in der öffentlichen Debatte durch qualifizierte Wissenschaftler gut abbilden, haben wir auch einen Beitrag zur Stärkung der Demokratie geleistet.“ Die Erklärung der bei der Stuttgarter Erklärung führenden Wissenschaftler Thess und Beckmann finden Sie hier im Stream der TE-Veranstaltung „Wie retten wir uns vor der Energiewende?“. 

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