Tichys Einblick: Herr Wendt, es sind stürmische Tage für deutsche Landkreise und Kommunen. Noch stürmischere kommen auf uns zu, bedingt durch die Grundlast der Ukraine-Flüchtlinge, aber vor allem durch das beharrliche Anwachsen der illegalen Einreisen. Was sind die Folgen aus Ihrer Sicht als Polizeigewerkschafter?
Rainer Wendt: Mit der schwierigen Lage in den Kommunen gehen natürlich auch Konflikte derjenigen einher, die da untergebracht werden sollen. Wenn Menschen auf engem Raum untergebracht sind, dann ist das nie konfliktfrei. Und dann hat die Polizei natürlich immer mehr zu tun. Auch das sind ja Erfahrungen, die wir aus der ersten Flüchtlingskrise gewonnen haben.
Zu Halloween gab es Randale und straßenkriegsartige Unruhen von Asylbewerbern in Österreich. Müssen wir uns an Ähnliches dauerhaft gewöhnen? Was bedeuten die derzeitigen Wanderungsbewegungen für die innere Sicherheit in Deutschland?
Wie gut werden die deutschen Grenzen heute kontrolliert? Wie beurteilen Sie die Arbeitsbedingungen der Bundespolizei, die ja nicht nur von ihr selbst abhängen?
Das ist ganz unterschiedlich. An der deutsch-österreichischen Grenze gibt es seit langem Grenzkontrollen, und die werden von bayrischer Grenzpolizei und Bundespolizei gemeinsam sehr gut durchgeführt. Da findet natürlich auch illegale Migration statt, aber sie wird schnell entdeckt. Das ist an anderen Grenzen nicht der Fall, weil die Rechtsverhältnisse andere sind. An der deutsch-österreichischen Grenze gibt es eine Notifizierung, das heißt die Anmeldung der Grenzkontrollen bei der EU. Diesen Schritt hat das Bundesinnenministerium bislang an den anderen Grenzen unterlassen. Und allein mit Schleierfahndung ist natürlich nicht dasselbe zu leisten, was feste Grenzkontrollen können.
Könnte man aus Ihrer Sicht durchgehend schon an der Grenze zwischen Asylberechtigten und illegalen Zuwanderern unterscheiden?
Die Bundespolizei kann das. Sie kann beispielsweise erkennen, wenn jemand aus einem sicheren Land kommt und deshalb nach geltendem Recht zurückgewiesen werden kann. Sie kann auch Kriegsflüchtlinge erkennen und weiß, wer da einreist. Und sie kann natürlich auch unterscheiden zwischen denjenigen, die nur behaupten, dass sie Kriegsflüchtlinge sind, in Wahrheit aber überhaupt nichts mit dem betreffenden Land – etwa der Ukraine – gemeinsam haben, sondern ganz offensichtlich beispielsweise aus Afrika kommen. Und diese Menschen müssen dann nicht nach Deutschland einreisen. Im Moment ist es so, dass alle einreisen können, sofern sie nur ein Asylbegehren äußern. Darüber entscheidet ja nicht die Bundespolizei, sondern das BAMF. Das soll auch so bleiben. Aber nicht alle, die ein Asylbegehren an den deutschen Grenzen äußern, müssen auch nach Deutschland einreisen dürfen.
Wie sieht es nun mit dem Migrationsanalyse-Bericht des Innenministeriums aus? Das Innenministerium behauptet, er werde den Dienststellen immer noch zugänglich gemacht, Heiko Teggatz und seine Kollegen halten dagegen.
Also Sie sagen, die Verheimlichung tut den Wahlen nicht gut, wenn ich das richtig verstanden habe …
Die Verheimlichung geschieht ja offensichtlich aus parteitaktischen Erwägungen, weil die Zahlen, wenn sie bekannt würden, der einen oder anderen Partei nicht guttun würden. Deshalb wird es nicht veröffentlicht. Und das darf natürlich nicht sein.
Noch einmal zurück zur praktischen Kontrolle der Zuwanderung: Wo stehen wir eigentlich beim Thema Screening? Gibt es eine wirksame Überprüfung, was beispielsweise die Zuwanderung von radikalen Muslimen angeht, die in Deutschland wiederum zur Radikalisierung anderer Glaubensbrüder beitragen könnten?
Die Bundespolizei ist eine ausgesprochen kompetente Polizeibehörde, die technische Möglichkeiten hat, gefährliche Personen zu überprüfen und zu erkennen, wenn man sie denn lässt. Aber, noch einmal: In Abwesenheit notifizierter Grenzen, wenn jemand einfach nur einreisen und das Wort „Asyl“ sagen muss, um aufgenommen zu werden, dann finden alle diese Überprüfungen natürlich nicht statt. Dass auch gefährliche Personen einreisen, das haben wir in der Vergangenheit gesehen, und das werden wir dann auch in Zukunft wieder erleben. Und dann werden wieder alle – und das macht einen dann schon richtig zornig – in großer Betroffenheit dastehen, ohne aber die tatsächlichen Ursachen solcher Entwicklungen zu benennen.
Ja, aber ist so ein Screening nur Sache der Bundespolizei? Das kann man einer solchen Person ja nicht unbedingt an der Grenze direkt ansehen. Solche Bezüge müssten ja auch im Laufe des Asylverfahrens noch einmal geprüft werden. Passiert das?
Ja, das passiert, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen und die tatsächlichen Möglichkeiten in den jeweiligen Ländern vorliegen. Sie merken, es sind ja immer verschiedene Behörden zuständig. Gerade was das Thema Asylrecht angeht, sind wir ja im Grunde genommen, vom kleinen Landrat über die Bundespolizei bis hin zum Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz, alle irgendwie mal eingebunden. Die Ausländerbehörde vor Ort muss prüfen, die Landespolizei hat ihre Aufgaben, genauso die Bundessicherheitsbehörden. Und in einem solchen Zusammenspiel, wo alle Verwaltungsebenen zusammenarbeiten sollen, da geht schon mal was schief. Das haben wir ja an dem einen oder anderen Fall gesehen.
Schon im März dieses Jahres haben Sie eine innenpolitische Zeitenwende von der Bundesregierung gefordert. Worin bestünde die? Was fordern Sie konkret?
Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Gesetzestexte der neuen Bundesregierung, also zum Beispiel das Chancenaufenthaltsrecht für Geduldete, die Chancenkarte für neue Zuwanderer, die erleichterten, schnelleren Einbürgerungen?
Diese Gesetze werden überall auf der Welt mit großem Interesse gelesen und interpretiert werden. Und da muss sich niemand wundern, wenn Menschen sich auf den Weg nach Deutschland machen und sagen: Wenn ich das Land nur erreiche, werde ich für immer dort bleiben können, kann mich dort etablieren, ohne eine Pflicht zur Integration zu haben.
Wo bleibt die versprochene Rückführungsoffensive dieser Bundesregierung?
An die Rückführungsoffensive habe ich noch nie geglaubt, weil Rückführung Sache der Länder ist. Der Bund hat es ja noch nicht einmal geschafft, der Bundespolizei eine eigene Kompetenz in diesem Bereich zu geben. Das wäre ja wünschenswert. Aber das sind alles nur Worthülsen. In Wahrheit findet hier gar nichts statt. Die Länder sind dafür zuständig, und aus unterschiedlichen Gründen tun sie das nicht, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen. Hier hätte die Bundespolizei, wie das ja im letzten Bundespolizeigesetz vorgesehen war, eine eigene Kompetenz gebraucht, um in ihrem Zuständigkeitsbereich – an der Grenze, auf Bahnhöfen, an Flughäfen – dafür sorgen zu können, dass aufgegriffene Personen, die ausreisepflichtig sind, auch das Land verlassen. Nicht einmal das ist erreicht worden, und es ist ja auch nicht ersichtlich, dass es dazu Bemühungen gibt – im Gegenteil.
Ich nehme an, Transitzentren würden da helfen.
Ja, natürlich. Ich glaube auch, dass das richtig wäre. Aber dazu muss man sich mit den europäischen Partnern einig sein. Wenn Asylverfahren außerhalb Europas stattfänden und man Personen, die einen Asylanspruch haben, nach Prüfung ihres Antrags die Einreise in die EU erlaubt. Das wäre ein vernünftiges europäisches Asylrecht. Aber genau das tut man nicht, und wir sind weiter denn je davon entfernt, weil Deutschland in Europa – das sieht man ja auch im Verhältnis zu Frankreich, und das Verhältnis zu Italien wird ja nicht besser werden – ziemlich isoliert ist, aus vielerlei Gründen.