Man mag sich trefflich darüber streiten, ob es besonders schlau war, die Fußball-WM nach Qatar zu vergeben. Aber letztlich ist das keine Entscheidung der Politik oder jener Herrschaften, die in Parlamentarischen Legislativen oder in Exekutiven mehr oder weniger etwas zu sagen haben, sondern eine Entscheidung der FIFA. Das ist ein Überverein zahlreicher Vereine, die in den Ländern dieser Erde den professionellen Fußball managen und sich dabei dumm und dämlich verdienen – was ihnen wiederum durchaus gegönnt ist, solange dafür nicht irgendwelche zwangseingetriebenen TV-Gebühren in den Rachen geschmissen werden.
Diese FIFA ist insofern eine klassische NGO – eine Nichtregierungsorganisation – und damit Teil der vielgepriesenen Zivilgesellschaft. So war sie allem Anschein nach in der Vergangenheit nicht davor gefeit, als Verein oder auch als Einzelpersonen die eine oder andere, möglicherweise staatliche Unterstützung entgegenzunehmen. Auch hier also scheint sie sich von anderen NGOs nicht maßgeblich zu unterscheiden und kam mit der Mehrheit ihrer abstimmungsberechtigten Mitglieder auf die glorreiche Idee, die FIFA-WM 2022 im wohltemperierten Wüstenstaat Qatar am Persischen Golf stattfinden zu lassen.
Andere Kulturgewohnheiten einkalkulieren
Dieses Qatar gehört zum arabisch-islamischen Kulturkreis und hat insofern ein grundlegend anderes Verständnis von Menschen- und Individualrecht, als dieses in den christlich geprägten Staaten des europäischen Kulturkreises anzutreffen ist. Zum arabisch-islamischen Kulturkreis gehört es beispielsweise, dass Frauen rechtlich unter den Männern stehen. Dass Arbeitssklaven minderwertig sind, auch wenn sie als Lohnarbeiter ins Land geholt werden. Und dass Schwule, Transgender und sonstige Mitglieder der LGBT+X-Community als biologische Irrungen oder psychisch Gestörte betrachtet werden.
Doch es nützt nichts. Der Umgang mit den Gastarbeitern wird beklagt, die glücklich wären, wenn sie als solche vergleichbar mit dem Status der einreisenden Arbeitnehmer in der Bundesrepublik der Sechzigerjahre behandelt würden. Aber es ist in diesem Kulturkreis nun einmal üblich, dass Fremdarbeiter wie Arbeitssklaven behandelt werden. Wer sich darauf einlässt, geht dieses Risiko ein – will er es nicht, so muss er dem Land fernbleiben. Denn nicht nur in Qatar gibt es klare soziale Hierarchien: Erwünscht ist, wer Geld hat. Am besten so viel wie erfolgreiche Almbauern Heu. Wer kommt, um Geld nach Hause zu schicken, wird bestenfalls geduldet. Keinesfalls aber überbezahlt. Und das mit den Sozialleistungen ist ebenso vernachlässigbar wie die Einziehung des Passes selbstverständlich ist, damit der bezahlte Arbeitssklave nicht über Nacht verschwindet.
Gleiches gilt für Frauen und die LGBXY-Personen. Wenn sie nach Qatar reisen, dann müssen sie wissen, dass sie dort auf ein traditionelles Islamregime treffen. Da können sie als Frauen von Glück reden, wenn sie in den WM-Tagen unbemannt und in westlichem Outfit unbelästigt durch die Straßen gehen können. Und wer sein persönliches Glück im LGBXY-Segment findet, dem muss bewusst sein, dass traditionell erzogene, islamarabische Männer kaum etwas mehr verabscheuen als Schwule oder Transsexuelle. In gewisser Weise können diese schon froh sein, nicht wie im Iran am nächsten Kran aufgeknüpft oder einer Zwangsoperation unterzogen zu werden. Da bringen die Qatari zumindest auf der offiziellen Ebene während der WM-Tage doch schon eine ungewöhnlich hohe, kulturelle Toleranz auf. Überwinden zumindest für ein paar Wochen die Gebote ihrer eigenen, traditionellen Kultur insoweit, als dass sie die Anwesenheit von Personen ertragen, die in ihrem Kulturkreis definitiv nicht vorgesehen sind.
Nichts davon war unbekannt
Ich wiederhole es: Die grundlegend von europäischen Vorstellungen abweichende Kultur des Wüstenstaats war bekannt. Zumindest jenen, die ihren Blick auf Qatar nicht durch irgendwelche One-World-Illusionen verstellt haben oder in traumtänzerischer Intoleranz davon ausgegangen sind, dass ihre Weltanschauungen Weltmenschheitsgut wären. Denn das sind sie nicht – auch wenn in einer der FIFA ähnlichen Überorganisation mit der Bezeichnung UNO zu dieser Thematik einige grundlegende Auffassungen niedergelegt worden sind. Papier ist, wie wir wissen, geduldig. Wenn beispielsweise in diesem Überverein die europäischen Länder gern so etwas wie allgemeingültige Menschenrechte beschließen möchten, dann zieht man als Islamaraber eben mit – und verabschiedet anschließend in Kairo eine eigene Menschenrechtserklärung, in der die kulturfremden Vorstellungen der Europäer unter die Maßgabe jenes islamischen Basiswerks mit der Bezeichnung Koran gestellt werden.
Völlig fehl am Platze – und nicht nur auf dem, der von den Kickern genutzt werden soll – ist jedoch die Kritik an den Gastgebern. Sie haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Als sie sich um die Ausrichtung beworben hatten, waren sie schon genauso wie heute. Wenn sie den Zuschlag bekommen haben, war das akzeptiert – so wie das IOC auch akzeptiert hatte, dass Olympische Spiele beispielsweise in Peking in einem Land stattfinden würden, das es ebenfalls nicht mit individuellen Menschenrechten hat. Das wissend, half dann immer noch die Ausrede, dass durch den sportlichen Internationalismus ein Impuls zur Änderung des Systems erfolgen werde – dumm nur, wenn die internationalen Gäste dann unter einer Glocke vom Volk abgeschirmt werden und sich einige Monate später feststellen lässt, dass dieser wohlmeinende Impuls offenbar gepflegt nach hinten losgegangen ist und das Regime seine Untertanen noch mehr gängelt.
Die sich an den Falschen abarbeiten
Und trotzdem arbeiten sich nun die selbsternannten Menschenrechtler an diesem Qatar ab. Deutschlands Innenminister Nancy Faeser meinte sogar, in offizieller Mission den Qatari die Menschenrechte um die Ohren hauen und einen eigenen Inspektionsbesuch ankündigen zu müssen. Was wiederum den dortigen Emir nicht erfreut hat, weshalb er den deutschen Botschafter einberufen ließ, um diesem eine entsprechende Protestnote zukommen zu lassen. Selbstverständlich wird das weder Frau Faeser oder deren Kollegin im Außenamt irgendwie beeindrucken, denn so war es überhaupt nicht gemeint.
Das alles ist ziemlich bigott. Denn – wie gesagt: Wie der islamarabische Kulturkreis geprägt ist, war lange schon vor der FIFA-Vergabe bekannt. Wer sich heute hinstellt und als Europäer die Arroganz der europäischen Mächte im Zeitalter des Kolonialismus beklagt, der sollte sich in der aktuellen Situation bewusst machen, dass er sich nur wenig von den Verfemten früherer Zeiten unterscheidet, wenn er nun mit eigener Kulturarroganz seine Menschheitsvorstellungen zu denen unabhängiger und selbstbestimmter Kulturvölker machen möchte.
Die Verfemten kämpften vor allem in Afrika und dem islamischen Kulturkreis konsequent gegen die Sklaverei – nachdem sie viel zu spät begriffen hatten, welches Menschenunrecht damit verbunden ist. Letztlich werden sie sogar dafür gescholten, wenn die Arbeit der Kolonialmächte unreflektiert als Dauersünde diffamiert wird. Denn – konsequent zu Ende gedacht – war dieser Kampf gegen die Sklaverei, den die Briten beispielsweise in Ägypten und dem Sudan und die Deutschen in Ostafrika fochten, nichts anderes als der aktuelle Kampf gegen die Sklaverei-ähnlichen Arbeitsverhältnisse in Qatar. Nicht anders die Frauen- und LGBX-Verfechter: Sie erwarten von einem autonomen Kulturkreis, auf seine jahrtausendealte Kulturprägung zu verzichten und sich stattdessen der Kultur ihrer Kritiker zu unterwerfen. Unterscheidet das die Faesers also wirklich von den Kolonialisten des frühen 20. Jahrhunderts?
Auch Edelmut kann koloniale Arroganz sein
Es mag durchaus edel und fortschrittlich gedacht sein, europäische Frauenrechte und die Toleranz gegenüber sexueller Prägung als Weltmenschheitsgut durchsetzen zu wollen. Und doch ist das nichts anderes als eine neokolonialistische Erwartungshaltung, die die Betroffenen nachvollziehbar als Arroganz einer fremdartigen Kultureinmischung begreifen müssen. Zumindest gilt das dann, wenn man als Gast in einem Land anwesend sein möchte, in dem die eigene Kultur eben keine Bedeutung hat. Etwas anders mag das aussehen, wenn, wie aktuell im Iran, eine breite Bürgerbewegung die Durchsetzung der westlichen Kulturwerte fordert und dafür Menschenmassen auf die Straße gehen und sich von den Schergen eines archaischen Regimes niederknüppeln lassen.
Wenn jemanden bashen, dann FIFA und DFB
Was also soll dieses Qatar-Bashing? Wenn jemand gebasht werden soll, dann mögen sich die Faesers doch bitteschön an den Richtigen abarbeiten! So könnte man der FIFA beispielsweise untersagen, im Land der Erregung künftig irgendwelche Veranstaltungen zu organisieren und damit Einnahmen zu generieren. Man könnte – Beispiel Deutschland – dem DFB jegliche staatliche Unterstützung entziehen, weil er unter dem Dach der FIFA an der Unterstützung kulturfremder, menschenunwürdiger Eigenarten teilhat. Unter solchen Unterstützungen kann selbstverständlich auch der Stopp jeglicher Rechteverwertung nebst Bezahlung in den Staatsfernsehsendern verstanden werden. Wie es eben, wenn man auf Regierungsebene mit der Austragung in Qatar nicht einverstanden ist, eine Möglichkeit wäre, diese Veranstaltung nebst jeglicher von DFB getragener Veranstaltungen gänzlich aus der durch Gebührenzahler finanzierten, medialen Berichterstattung zu entfernen. Keine Bundesligaberichterstattung, solange der DFB bei den FIFA-Spielchen mitmacht. Und das dann konsequenterweise auch gleich auf EU-Ebene: Der kollektive Bann gegen die Träger und Nutznießer der Veranstaltung, statt den Konflikt scheinheilig auf neokolonialistischen Nebenkriegsschauplätzen gegen das Ausrichterland auszutragen. Schließlich hat man solches bereits in der Vergangenheit durchgezogen, als beispielsweise die Olympischen Spiele in Moskau geächtet wurden (wofür seinerzeit allerdings tatsächlich das Ausrichterland ursächlich war – nicht der vergebende Verband).
Wetten, dass die FIFA sich blitzschnell umorientieren würde, wenn deren Money-Events künftig ohne den Geldsegen jener Länder auskommen müssten, die sich heute im Qatar-Bashing abarbeiten? Aber die Kritik an der FIFA wird, wenn überhaupt, nur ganz verhalten laut. Stattdessen wird auf ein Land eingeprügelt, das ganz im Sinne der postkolonialen Weltsicht nichts anderes tut, als seine eigene Kultur zu leben. Das ist nicht nur bigott – es ist auch feige. Denn wenn die Faesers tatsächlich etwas ändern wollten, dann würden sie dafür sorgen, dass FIFA und DFB künftig keine solchen Fehlentscheidungen mehr treffen. Und in Sachen Qatar würden sie hinter den Kulissen mit den dort Herrschenden wirken, und die europäischen Menschenrechtsvorstellungen behutsam auf den Weg zu bringen.
Stattdessen aber öffentliches Trara – Theaterdonner ohne Sinn und Verstand, der zudem noch dafür Sorge tragen wird, dass Qatar mit Sicherheit kein Flüssiggas mehr an die Bundesrepublik liefern wird. Wobei – vielleicht ist ja sogar diese Perspektive der eigentliche Anlass, weshalb Qatar regierungsamtlich gebasht wird. Je weniger Gaslieferanten, desto größer der Druck zur allumfassenden Verspargelung. Da heißt es dann: Lieber Michel – heute darfst Du Dich noch ein wenig an den Spielen in einem Unrechtsstaat ergötzen. Und morgen darfst Du dann dafür frieren oder Deinen Arbeitsplatz verlieren, weil es leider kein Gas mehr gibt, das Dich warmhalten könnte.
Aber das ist selbstverständlich nur eine Spekulation. Denn das wäre dann ja sogar Sabotage aus den eigenen Reihen heraus am eigenen Volk. Und so etwas wollen wir selbstverständlich weder der Frau Faeser noch sonst irgendwelchen neokolonialistischen Qatar-Bashern unterstellen.