Kaum sprach Olaf Scholz im Zuge der Verlängerung von drei Kernkraftwerken in Deutschland ein „Machtwort”, schien es, als würde das nächste folgen. Kern des Streits innerhalb der Bundesregierung: der Einstieg des chinesischen Unternehmens Cosco in den größten deutschen Seehafen, Hamburg. Der Vertrag hierfür wurde bereits im vergangenen Sommer unterzeichnet. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und die Handelskammer der Hansestadt hatten sich zuletzt stark für den Einstieg der Chinesen ausgesprochen.
Die Koalitionspartner FDP und Grüne kritisierten die Investition, während sich die SPD bedeckt hielt. Dabei ist das Engagement Chinas in Deutschland nicht neu. Spätestens ab 2010 begann die große Einkaufstour des Landes in Europa. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young investierte das Reich der Mitte rund 10,75 Milliarden US-Dollar. Vier Jahre später verdoppelte sich die monetäre Aufwendung. Wiederum zwei Jahre später, im Jahr 2016, betrug das gesamte Transaktionsvolumen 85,8 Milliarden Euro.
Deutschland mit das beliebteste Land für China
In den anschließenden Jahren ging das Transaktionsvolumen zurück. Ein Hauptgrund war hier sicherlich die restriktive Coronapolitik Chinas. “In China, wo sich die Pandemie zuerst ausbreitete, hat im letzten Jahr eine flächendeckende Lohn- und Gehaltssenkung stattgefunden“, zeigt eine Studie des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung. Hinzu komme, so die Publikation, dass sich viele chinesische Mutterkonzerne selbst in einer Neuausrichtung der Unternehmensstrategie befinden, was die künftige Rolle der deutschen Standorte im Konzern beeinflussen werde. Fazit: „Der finanzielle Engpass, die veränderten internationalen Marktbedingungen, lockdownbedingten Störungen in der globalen Lieferkette (…). Die Herausforderungen gehen über das Abwenden der unmittelbaren finanziellen Bedrohung hinaus.“
Von Kuka bis Tom Tailor
Die Liste der Unternehmen ist lang und traditionsreich. Die bekannteste Übernahme war wohl die des Maschinenbauers Kuka. Im Jahr 2016 übernahm der chinesische Konzern Midea die Firma aus Augsburg. Vier Jahre zuvor kaufte das Pekinger Unternehmen Lenovo den Konkurrenten Medion aus Essen. Medion ist für eine breite Masse bekannt geworden, da das Unternehmen den Discounter Aldi mit vergleichsweise günstigen Computern belieferte.
Ebenfalls unter chinesischer Kontrolle: der Autozulieferer und erfolgreicher Kalenderhersteller Pirelli, das Modelabel Tom Tailor, der Hersteller für Gabelstapler Still, der Aschaffenburger Maschinenhersteller Linde und einer der weltweit führenden Hersteller von Maschinen für die Herstellung und Verarbeitung von Kunststoff, Krauss-Maffei.
Scholz wird nach China reisen
Die Strategie von China beschreibt Rolf Langhammer, Handelsforscher am Institut für Weltwirtschaft Kiel (ifw): „Chinas Ziel ist es, sich vom Ausland und speziell dem systemischen Rivalen USA unabhängiger zu machen und Schlüsseltechnologien selbst produzieren zu können. Dafür braucht das Land Know-how, das es bislang noch nicht hat“, so der Experte. Ausländische Investoren müssten sich vergegenwärtigen, dass sie diesem Ziel dienen sollen und durch heimische Anbieter abgelöst werden, sobald diese über die notwendigen Technologiekenntnisse verfügen.
Die Autoren der Studie von Ernst & Young zeigen sich davon überzeugt, dass Deutschland für chinesische Investoren ein attraktiver Markt bleibe: Viele chinesische Unternehmen hätten mit ihren Investitionen in Deutschland gute Erfahrungen gemacht. Zudem werden die Beziehungen zwischen beiden Ländern immer besser. Olaf Scholz hat bereits einen Besuch in China angekündigt. Er ist damit der erste G7-Staatschef, der das Land nach den Corona-Lockdowns besucht. Es wird erwartet, dass der deutsche Bundeskanzler, wie bei solchen Besuchen üblich, mit einer Wirtschaftsdelegation anreisen wird.