Wie man Schlagzeilen bekommt, weiß Sahra Wagenknecht (Linke, noch) nur allzu gut: In einem Netz-Auftritt sagte sie, die gefährlichste Partei im Bundestag seien momentan die Grünen. Sie trieben Deutschland in den Ukraine-Krieg und würden keine soziale Politik betreiben. Doppelwumms. Die grünen Medienkohorten springen seitdem aufgeregt im Kreis wie ein Hund, der seine Rute fangen will. Zumal Wagenknecht die Gründung einer eigenen Partei nicht mehr ausschließt.
Auch aus ihrer (noch) eigenen Partei, der Linken, bekommt die einstige Frontfrau der „Kommunistischen Plattform“ Feuer. Etwa vom Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Dietmar Bartsch: „Die gefährlichste im Bundestag vertretene Partei ist und bleibt die AfD“, schreibt er auf Twitter. Die Linke habe „die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den sozialen Protest der Bürger zu tragen“. Das erwarte Bartsch von allen in seiner Partei und seiner Fraktion. Dass er Wagenknecht nicht namentlich nennt, soll sie abwerten.
Entsprechend kommen die Linken nicht mehr aus den Hufen. Statt der Bundesregierung einen „heißen Herbst“ zu bereiten, erreichten sie in Niedersachsen selbst nur noch 2,7 Prozent. Wobei: „nur“ … Es war das beste Ergebnis bei den letzten vier Landtagswahlen. In Westdeutschland gehört die Linke schon jetzt eher unter Sonstige. Eine Wagenknecht-Partei würde diesen Trend verschärfen.
Selbst wenn sich diese Wagenknecht-Partei nicht etablieren würde, hätte sie das Zeug dazu, in den ersten Wahlen AfD und Linke um Stimmen zu bringen. Die AfD verfügt im Westen über bessere Strukturen als die Linken und hat ihnen in der ehemaligen DDR den Rang der Ostpartei abgelaufen – mit Ausnahme von Thüringen. Eine Wagenknecht-Partei würde die AfD schwächen, aber selbst, wenn sie bei Wahlen zehn bis 20 Prozent ihrer Wähler an Wagenknecht abgeben müssten, würden sie noch in die meisten Parlamente einziehen. Sie würde auch Funktionäre an Wagenknecht verlieren. Aber eher welche, die ohnehin schon die AfD im Zorn verlassen haben.
In den Landtagen sieht es nicht besser aus. Mit Ausnahme von Thüringen sind die 14,1 Prozent aus Berlin aktuell das beste Ergebnis der Linken. In den anderen vier Bundesländern holte sie zwischen 9,9 und 11,0 Prozent. Bleibt die Partei bei ihrer Politik, ein „breites Bündnis“ der Unzufriedenen schweißen zu wollen, das aber nur aus denen bestehen darf, die alle Positionen der Linken teilen, dürfte das kaum besser werden.
Soweit der Osten. Im Westen sieht es noch viel verheerender aus. Dort sitzt sie mit Hessen gerade noch in einem Flächenland im Landtag, dazu kommen die beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen mit 9,1 beziehungsweise 11,3 Prozent. In anderen Ländern droht die Marginalisierung. In Schleswig-Holstein waren es dieses Jahr gerade noch 1,7 Prozent der Wähler, die ihre Stimme links abgaben.
Programmatisch bleiben die Linken ebenfalls blass. Nach der Wiedervereinigung waren sie noch von Realisten geprägt, die meist schon zu SED-Zeiten Kader waren. Bei allen Schwächen: Denen war bewusst, dass man für den Wohlstand des Landes Straßen bauen statt besetzen muss. Doch als diese Kader allmählich und buchstäblich ausstarben, änderte sich die Partei. Sie wurde zu einer grüneren Variante der Grünen. Mit einem identitätspolitischen Schwerpunkt: Den Akademikern war es wichtiger, dass der Arbeiter vegan isst, als dass er genug zu essen hat. Wichtiger, neben Homosexualität noch über unzählig viele andere mögliche Sexualitäten zu reden, statt genügend Polizisten bereitzustellen, damit Homosexuelle in manchen Vierteln nicht angegriffen werden. Wichtiger zu betonen, womit diese Angriffe nicht zusammenhängen dürfen, als darüber zu reden, womit sie dann vielleicht doch zusammenhängen. Somit verspielte die Partei den Schwung, den sie aus der Fusion mit der WASG mitnahm. Geht Wagenknecht und nimmt ihre Anhänger mit, wird die Linke noch stärker von den verträumten Akademikern geprägt.
Die SED-PDS war eine Ostpartei. Für viele überraschend holte sie bei den Volkskammerwahlen vom März 1990 beachtliche 16,4 Prozent. Ihr gelang es im Osten, Landratsämter zu gewinnen und in Bundesländern wie Berlin das Tabu zu brechen und sich an Regierungen beteiligen zu dürfen. Bundesweit kam sie im gleichen Jahr 1990 aber nur auf 2,4 Prozent. Eine Sonderregelung erlaubte es ihr, in den Bundestag einzuziehen: Bei der ersten Wahl nach der Wiedervereinigung genügten 5 Prozent allein im Osten, um über die Hürde zu kommen. Danach wurde es nicht besser: 4,4, dann 5,1 und letztlich 4,0 Prozent lauteten die Ergebnisse bei Bundestagswahlen. 1994 schaffte die Linke vier Direktmandate und zog in Fraktionsstärke in den Bundestag ein, 2002 blieb ihr das mit zwei Direktmandaten verwehrt.
Dann kamen die Hartz-Reformen von Rot-Grün und im Westen bildete sich ein breites Bündnis dagegen: die WASG. Ab 2005 führten Gregor Gysi und Oskar Lafontaine die PDS und die WASG zur Linken zusammen. Vor allem Lafontaine schaffte es, viele alte Weggefährte in diese neue Partei zu integrieren. Sodass diese vom Organisationswissen von Behörden, Verbänden und Gewerkschaften profitierte. Das schlug sich in Wahlergebnissen nieder. Die lagen zwischen 2005 und 2017 zwischen 8,6 und 11,9 Prozent bei Bundestagswahlen.
Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob die Linke auch im Westen eine relevante Partei werden kann. Oskar Lafontaine lag im Sommer 2008 im Saarland eine Zeit lang in den Umfragen vor der SPD und es sah so aus, als ob er der erste westdeutsche, linke Ministerpräsident werden könnte. Von seiner Ausstrahlung und seinen Kontakten profitierten auch die Linke im Nachbarland Rheinland-Pfalz. Im gleichen Jahr stürzte die Linke die SPD in eine schwere Krise, als der hessische Landesverband versuchte, das Tabu der Zusammenarbeit auch im Westen zu brechen. Doch der Schwung ist längst hin.
Es zeigt nur, dass das Tabu – Zusammenarbeit mit der Linken – längst Vergangenheit ist. In Thüringen hat sich gezeigt, dass sogar die CDU mittlerweile eher mit den Linken paktiert als mit der AfD und bereit ist, die Regierung Ramelows mitzutragen. Wenn auch unter absurd peinlichen Verrenkungen. Doch das gebrochene Tabu ist auch ein Problem für die Linken: Die Rebellen, die einen „heißen Herbst“ ausrufen, nimmt ihnen keiner mehr ab. Dazu kommt noch das Sektierertum, nur den in den eigenen Reihen zu tolerieren, der in allen Punkten auf Linie ist.
Das führt dann unterm Strich zu dem Ergebnis: Eine Partei, die randständige Themen aufgreift, dabei radikalere Thesen als die Grünen aufstellt und noch entschlossener als die Grünen ist, diese radikalen Thesen bei Bedarf zu verraten. Die 1,7 Prozent aus Schleswig-Holstein beschreiben ganz gut, wie dringend eine solche Partei gebraucht wird. Eine halbwegs gut aufgestellte Wagenknecht-Partei hätte die Chance, diese Linke zu zerschmettern.