Wer wissen will, was in Artikel 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Lissaboner Vertrag) steht, hat es leicht. Er muss dieses umständliche Werk nicht im Buchhandel buchpreisgebunden erwerben, sondern kann ohne viel Aufwand im Internet nachschauen – zum Beispiel bei Google. Darin geht es um die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt.
Jetzt hat die EU-Wettbewerbskommissarin Magarethe Vestager angekündigt, diesen Gummiparagraphen zu nutzen, um gegen den Internetriesen Google vorzugehen: „Im Falle von Google habe ich die Befürchtung, dass das Unternehmen unter Verstoß gegen die EU-Kartellvorschriften seinem eigenen Preisvergleichsdienst einen unfairen Vorteil verschafft“, meint die Kommissarin forsch.
Schon liest man überall, Google drohten Milliardenstrafen (!), weil das Unternehmen systematisch diesen Dienst an besonders sichtbarer Stelle auf seiner eigenen Seite platziert. Das ist ja mal ein harter Vorwurf! Der Eigentümer macht mit seinem Eigentum was er will. Er hat sogar die Frechheit, dass er seine eigenen Produkte gegenüber anderen Produkten bevorzugt. Skandal!
Man stelle sich das einmal im Supermarkt vor. Lidl und Aldi würden ihre Eigenmarken nicht auf Augenhöhe im Regal platzieren, sondern ganz unten in der Ecke. Und wenn dies nicht der Fall ist, dann kommt das Kartellamt und brummt dem Handelsriesen eine Strafe aufs Auge.
Man muss dankbar sein, dass es in der Geschichte der Industrialisierung und davor noch keine Kartellbehörden gab. Was wäre wohl aus der Eisenbahn geworden, die den Transport von Menschen und Gütern über lange Distanz besser und preisgünstiger als die Post-Kutsche bewerkstelligte? Und was wäre wohl aus dem Telefon geworden, wenn es Frau Vestager schon gegeben hätte? Vielleicht würden wir immer noch trommeln und mit Rauchzeichen kommunizieren. Und hätte es den Lissaboner Vertrag schon zu Gutenbergs Zeiten gegeben, wäre uns der Buchdruck erspart geblieben und viele Schreiberlinge hätte heute noch eine Tätigkeit in zahlreichen Schreibstuben.
Jetzt mal ganz ehrlich: Google ist ein Segen für die Menschheit. Punkt! Es ermöglicht jedem, ob arm ob reich, sich umfassend und nahezu kostenlos zu informieren. Informationen sind kein Privileg mehr von wenigen. Sie sind nicht mehr beschränkt auf diejenigen, die wirtschaftliche oder politische Macht innehaben. Und der Vorteil ist: keiner muss Google finanzieren. Es gibt keinen Google-Beitrag von 17,50 Euro pro Haushalt und Monat für die Grundversorgung an Informationen.
Es ist alles freiwillig. Keiner muss im Internet recherchieren, die Stadtbibliothek hat von 9 bis 16 werktags auf. Keiner muss den Suchdienst Google nutzen, es gibt Alternativen wie Bing und Yahoo. Und wer Preise vergleichen will, kann auch auf den Flohmarkt gehen oder in der Stadt von Geschäft zu Geschäft rennen. Immerhin ist dies werktags in den großen Städten bis 20 Uhr möglich, sonntags jedoch nur vier Mal im Jahr.
Doch wo ist eigentlich das Kartellverfahren gegen die „marktbeherrschende Stellung“ des Staates und seiner Regierung? Recht muss Eigentum schützen und nicht zerstören. Recht muss allgemein, abstrakt und für alle gleich sein und darf nicht den Einzelfall diskriminieren oder fördern. Und Recht muss die Vertragsfreiheit wahren und darf sie nicht willkürlich beschränken. All das geschieht aber – tagtäglich.
Man kann Google eigentlich nur wünschen, dass das Freihandelsabkommen mit Amerika (TTIP) nunmehr schnellstmöglich beschlossen und ratifiziert wird, damit es vor einem unabhängigen Schiedsgericht gegen die Diskriminierung in der EU vorgehen kann.