Tichys Einblick
Mal anders betrachtet

Die Welt zwischen USA und China – Westeuropa außen vor

Zwischen China und den USA geht es um die Weltmacht-Rolle, andere wie Russland oder gar die EU sind nicht in dieser Liga – die UN sind schon seit dem Völkerbund eine überflüssige, einflusslose Einrichtung.

Hätten die USA und Großbritannien Westdeutschland nach 1945 nicht gegen ein weiteres Vordringen der UdSSR nach Westen benötigt, hätten sie so kurz nach dem Krieg die Neugründung eines deutschen Staates nicht zugelassen. Diese von den meisten Nachkriegsdeutschen gern verdrängte und von keinem Politiker öffentlich geäußerte Wahrheit hat Ronald G. Asch am 3. Oktober klar dargelegt.

Die Legende – heutzutage Narrativ genannt –, dass die Deutschen damit wieder in die „Völkergemeinschaft” aufgenommen wurden, blieb immer eine Legende. Gelebt hat sie bald und lange davon, dass die wirtschaftliche Entwicklung der jungen Bundesrepublik im bildhaften Ausdruck der Deutschen Mark – DM – das darniederliegende Selbstbewusstsein eines Volkes wieder aufrichtete, das zwei Weltkriege hintereinander verloren hatte.

Damals sprach niemand von traumatischen Erlebnissen der aus dem Krieg heimgekehrten Soldaten, von denen praktisch alle, wenn nicht als körperliche Krüppel, dann als seelische und oft als körperliche und seelische weitermachen mussten – zusammen mit den vielen Frauen und Älteren, die das tägliche Leben im Kriegsdeutschland alleine gestemmt hatten. Ich erinnere mich an viele eigene Erlebnisse und Erzählungen von Überlebenden, wenn sie ausnahmsweise einmal das kollektive Schweigen brachen.

Der Friede des Kalten Krieges

Nachdem die Österreicher 1955 durch den sogenannten Staatsvertrag mit den Siegermächten ihre Bundesrepublik errichten durften und die Besatzungstruppen abzogen, die Westdeutschen unter der Aufsicht von Briten, Amerikanern und Franzosen ihre Bundesrepublik 1949 errichten durften, begannen die Jahrzehnte des Kalten Krieges. Nach anfänglicher Angst vor einem neuen Krieg setzte sich bald die Gewissheit durch, dass sich westlich des Eisernen Vorhangs gut leben lässt und auf diese Art von Stabilität sozusagen auf ewige Zeiten Verlass wäre.

Mit diesem Bild freundete sich kein westliches Land mehr und lieber an als die bundesdeutsche Wohlstandsgesellschaft, der mit der starken Währung der DM die Welt offenstand. CDU wie SPD schlossen ihren Scheinfrieden mit der Marktwirtschaft und fortan regierte eine faktische große Koalition, die unabhängig von formellen Koalitionen der einen wie der anderen großen Partei mit der FDP immer dann die Entscheidungen traf, wenn es um wirklich ernste Fragen der Wirtschaft und des Sozialen ging.

Asch schreibt: Der Wechsel zu einer SPD-Regierung 1969 stellte die Westbindung zwar nicht direkt in Frage, aber gab doch jenen Kräften in der SPD, die gegen die enge Bindung an die USA immer Vorbehalte gehabt hatten, mehr Möglichkeiten, ihre Stimme zur Geltung zu bringen.

Diese Westbindung war in der Bonner Republik von Anfang an und bis zu ihrem Ende nie mehr als ein Lippenbekenntnis – vor allem der veröffentlichten Meinung. Ernst war es damit nur einem ganz kleinen Teil der jüngeren Generation, die sich aber seit Mitte der Sechziger Jahre der wachsenden Schar von sozialistischer Jugend, geistig angeführt vom SDS und Teilen der Hochschullehrerschaft gegenübersah, und selbst in großen Teilen ab 1968 ins Anti-USA-Lager wechselte.

Die Bonner Republik kam politisch-kuturell nie im Westen an

Diese Entwicklung versinnbildlicht nichts besser als das Scheitern von Helmut Schmidt an der SPD. Was Kohl von Schmidt übernahm, war bereits die Bonner Republik in Abwicklung. Kohl selbst und die veränderte Union (samt Beiboot FDP) hatten dem nichts entgegenzusetzen. Dass Kohl der Bonner Republik mit dem Euro den Todesstoß versetzte, werden Historiker später als seine ganz besondere Tragik notieren.

Was sich seit der sogenannten Wiedervereinigung vollzieht, die formalstaatlich ein Anschluss des Ostens an den Westen war, ist politisch kulturell das Verschwinden der Reste westlicher Politikvorstellungen. Wolfgang Herles’ Kolumne: Oktober 1990 – von nun an ging’s bergab trifft es genau: Mit dem Beitritt der DDR ging auch die Bonner Republik unter. Mit der Berliner Republik beginnt der Niedergang.

Mit der Berliner Republik endet auch die Illusion, Deutschland würde irgendeinen Einfluss in dem Raum haben, der irreführend „Völkergemeinschaft” genannt wird. (Irreführend, weil in der UN nur der Sicherheitsrat das Sagen hat, der nichts mehr sagt, wenn eines der als Siegermächte des Zweiten Weltkriegs eingestuften Länder plus China Veto sagt.) Die einzige deutsche Rolle, die des Landes, deren Regierungen mit dem Geld ihrer Nettosteuerzahler alles in EU und UN, für die nach Deutschland gelockten Sozial-Einwanderer und noch an vielen anderen Stellen bezahlen, neigt sich dem Ende zu.

„Mit der Berliner Republik beginnt der Niedergang“

Denn dem historischen Fehler des Euro folgte die Verwahrlosung der politisch-kulturellen und wirtschaftlich-technischen Infrastruktur des Landes, nicht erst durch Merkel, aber unter ihr ganz besonders, die jetzt von der Ampel auf die Spitze getrieben wird. Diese verändert unter ihrer grünen Politik Deutschland nicht, sondern bringt es zum Erliegen. In absehbarer Zeit wird das, was dann von Deutschlands Wirtschaft im eigenen Lande übrig ist, nicht mehr genug abwerfen, um deutschen Politikern noch einen Platz am Katzentisch der Mächtigen der Welt einzuräumen.

In Europa zeichnet sich klar ab, was kommt. Mit Putins Krieg gegen die Ukraine sind Ostmitteleuropa und Skandinavien dabei, Westeuropa als echte Verbündete der USA abzulösen. In Polen und dem Baltikum, Finnland, Dänemark und Schweden – Norwegen war immer schon Nato-Pfeiler –, in Rumänien, Bulgarien, Tschechien, Slowakien, Slowenien, Kroatien und bald auch anderen Teilen des Balkans werden die vorgeschobenen Posten der USA errichtet. Nicht ausgeschlossen ist, dass Österreich seine Neutralität mittelfristig aufgibt, streng hält es sich ohnedies nicht mehr an sie. Ungarns Orbán weiß, wo sein Land steht, wenn es drauf ankommt; seine Taktik Putin gegenüber widerspricht dem nicht, sondern ist dem permanenten Gefecht mit der Brüsseler Eurokratie geschuldet, die er bisher noch immer ausgetrickst hat.

An der Abstimmung der UN-Vollversammlung gegen Russland finde ich nur den PR-Effekt interessant, dass sich offen lediglich Weißrussland, Nordkorea, Syrien und Nicaragua neben Russland gestellt haben. Tomas Spahn räumt den UN noch die Chance ein, sich neu zu sortieren, bevor sie überflüssig werden. Ich finde diese Riesen-Ansammlung überbezahlter Funktionäre, die von der Herrschenden Gnaden in 193 Ländern der Welt ohne jegliche Legitimation in New York, Genf und andernorts ein gutes Leben führen, schon lange überflüssig. Erinnert sei daran, dass der UN-Vorläufer Völkerbund sein Versprechen des Selbstbestimmungsrechts der Völker nie eingelöst hat. Was seither folgte, war kein bisschen besser.

Die Marktwirtschaft kam und ging mit Erhard

Der Blick in die ersten Jahrzehnte nach 1945 zeigt, dass sich praktisch alle Gesellschaften Westeuropas so ganz zwischen Moskaus Sozialismus und Washingtons Kapitalismus nicht entscheiden wollten. Der Grund ist sehr einfach: Mit kleinen Ausnahmen war Europa von den wirtschaftlichen Strukturen her nie kapitalistisch, nie dem freien Markt zugewandt. Vom Merkantilismus zum Staatsmonopolistischen Kapitalismus (StamoKap) führt eine gerade Linie.

Die Marktwirtschaft, die Ludwig Erhard nur auf Adenauers Druck hin „Soziale“ als PR für Gewerkschaften und SPD nannte, konnte in der Bonner Republik ein – wenn auch nur kurzes – Gastspiel geben, weil Briten und Amerikaner dies möglich machten. Etabliert in der politischen Kultur der Bundesrepublik hat sich marktwirtschaftliches Denken nie – vor allem nicht in Bildung und Wissenschaft. Was von Marktwirtschaft nach Großer, „sozial-liberaler“, „christlich-liberaler“ und rot-grüner Koalition übrig war, verschwand in der Berliner Republik im EU-Euro-Zentralismus, dem Merkantilismus unserer Tage.

Als der verdeckte Krieg um die Ukraine in ihrem Osten nach der Annexion der Krim begann, war in Washington zwar klar, dass die USA und die dazu fähigen Nato-Staaten die Ukraine mit Ausrüstung und Ausbildung militärisch und dem Geld der EU, für das Deutschland aufkommt, unterstützen, allerdings auf einem Level, den Putin nicht für bedrohlich halten würde. Das hat sich mit der offenen russischen Offensive geändert. Die maßgeblichen US-Strategen sind sich seit langem einig – vor, während und nach Trump –, dass die Frage nach der Weltmacht mit China ausgetragen werden muss, nicht mit Russland.

Putin mobilisierte die USA

Putin hat unabsichtlich, aber nachhaltig die Herrschenden am Potomac früher zur Jagd getragen als dort beabsichtigt. Ob Washington bei der nun eingeschlagenen Gangart bleibt oder sie verstärkt, weiß ich natürlich nicht. Ich vermute: So lange die Ukraine militärisch weiter erfolgreicher ist als Russland, wird sich am Grad des US-Engagements, also der langsamen Steigerung militärischer Lieferungen, nichts Gravierendes ändern, bei Rückschlägen der Ukraine aber sehr wohl.

Anders ausgedrückt: Die USA wollen Putins klare Niederlage im Ukraine-Krieg. Die auch aus den UN immer wieder genannte Option einer diplomatischen Verhandlungslösung, nicht zwischen Kiew und Moskau, sondern zwischen Washington und Moskau, gehört zu den vielen UN-Geräuschen, die folgenlos bleiben. Washington will sich auf die Auseinandersetzung mit Peking konzentrieren können: Also darf Putin in der Ukraine nicht gewinnen.

Zu der oben genannten Verlagerung der maßgeblichen Kräfte von West- nach Ostmitteleuropa und Skandinavien gehört auch die Ukraine, deren Armee sich als einzige im tatsächlichen Krieg, nicht im Manöver wie die anderen, als einsatzfähig erwiesen hat. Ob die Ukraine formell Mitglied der Nato wird, oder wann, ist unerheblich. Die USA werden sich ohnehin nicht auf die Nato-Struktur verlassen, sondern auf jene Staaten, auf die innerhalb der Nato und außerhalb Verlass ist.

Zwei Handvoll TE-Leser kommentieren den Ukraine-Krieg auf der Darstellungslinie Putins, ebenso viele auf jener Selenskyjs. Der Ton ist oft so, dass die Moderatoren bei TE solche Kommentare nicht freischalten können. Natürlich kommentieren auch TE-Leser, die sich kritisch und abwägend mit der Propaganda aus Moskau und Kiew befassen. Aber sie sind weniger als die eindeutig Festgelegten. Vermutlich ist diese Meinungsverteilung ebenso repräsentativ für die schweigende große Mehrheit unter TE-Lesern wie insgesamt im Lande. Ich weiß nicht, wie der Ukraine-Krieg ausgeht, aber bin sicher, dass Putins Russland danach in jeder Hinsicht deutlich schwächer sein wird als vorher – und die USA in ihrer Auseinandersetzung mit China freier.

Schwierigkeiten habe ich mit jenen Lesern, die ernsthaft meinen, Putin würde die westlichen Werte verteidigen, die der aus den USA stammende Wokismus dort und in Europa bekämpft. Dass der Wokismus, nicht zuletzt in Gestalt der Grünen und von ihnen zeitgeistig befehligten Hilfstruppen von Roten, Gelben und Schwarzen die alte politische Kultur des Westens und seine Wirtschaftsordnung jeden Tag schädigt, weiß jeder, der die Augen offen hält und seine Meinung nicht aus Regierungsmedien bezieht. Dieser Kulturkampf wird und muss im Westen diesseits und jenseits des Atlantiks ausgetragen werden. In Russland gibt es Kräfte, die in diesem Kampf für die alte politische Kultur des Westens auf der Seite von Freiheit und Recht stünden. Aber genau diese Kräfte hat Putin zum Schweigen gebracht. Putin will ein zaristisch-sowjetisches Reich – Russland in den Grenzen seiner historisch größten Ausdehnung. Wer das nicht sieht, mit dem ist schwer reden.

America First

Natürlich vertritt Washington mit seiner Unterstützung der Ukraine gegen Russland die Interessen der USA, ganz im Sinne von Trumps America First. Die USA tun wie alle Staaten nichts für andere aus Liebe oder wegen gemeinsamer Werte. Staaten haben keine anderen Staaten als Freunde. Solche Sprüche sind Propaganda wie alles, was UN, EU und nationale Regierungen jeder Bauart auch verkünden. Die UN vertreten keine gemeinsamen Werte – welche auch bei 193 überwiegend autoritär bis totalitär regierten Ländern? Die EU hat keine gemeinsamen Werte, bitte in die Mitgliedsländer schauen. Da hat mich nichts überrascht. Das war schon immer so und wird so bleiben, solange die Leute es mit sich machen lassen. Man verschone mich also bitte mit Glaubensbekenntnissen aller Art. Ich bilde mir meine Meinung selbst und brauche keine Wegweisung.

So, wie sich in den frühen 1950ern schnell der Glaube durchsetzte, dass sich westlich des Eisernen Vorhangs gut leben lässt und auf diese Art von Stabilität auf „ewige“ Zeit Verlass wäre, so sehr war die große Mehrheit der Westdeutschen und Westeuropäer davon überzeugt, dass es nie wieder so etwas wie eine deutsche Wiedervereinigung geben würde. Kaum fiel die Berliner Mauer, verbreitete sich im ganzen Westen der Glaube daran, dass nun der ewige Friede unter wohlwollender Aufsicht der USA angebrochen wäre.

Was dann nach kurzer Zeit kam, wissen alle: Afghanistan, Irak, Syrien und so weiter. Spätestens ab 2010 konnte jedem Aufmerksamen klar sein, dass die alte, von den Appeasement-Predigern totgesagte Geopolitik wieder da, ja nie weg war. Aber das eigentliche Ereignis unserer Zeit ist, dass sich der als extremer Systemgegner angetretene Teil der Friedensapostel, die Grünen, zu Freiheitsunterdrückern im Inneren und draußen zu Feldpredigern im Ukraine-Krieg verwandelt haben. Ich warte auf das Bild von Annalena Baerbock als Jeanne d’Arc an der Spitze der ukrainischen Armee gegen Putins russische Truppen.

Westeuropa außen vor

Europa ist zurzeit quer durch alle Gesellschaften geteilt in jene, die an den Sieg der Ukraine glauben, und jene, die sicher sind, dass am Ende Putins Russland gewinnt. Ich halte es für unausweichlich, dass wegen der Vernichtung der politisch-kulturellen und wirtschaftlich-technischen Infrastruktur durch die grün-rot-gelb-schwarze politische Klasse Deutschland und Westeuropa als Ort des wirtschaftlichen Wohlstands und der zivilisatorischen Innovation von geografischen Zonen in Osteuropa, rund um Israel, in angelsächsischen wie skandinavischen Ländern, ja und denen am ostasiatischen Rand von Japan bis Vietnam, abgelöst wird.

Die Meisten gewöhnten sich an die ewige Ost-West-Teilung, an die Mauer und den Kalten Krieg, den immerwährenden Wohlstand, dann an den „ewigen“ Frieden – und nun tritt der Ukraine-Krieg hinter die „Weltrettung“ durch die politische Steuerung des Wetters – Klima genannt – zurück. Bis dieser Glaubenskrieg vor den Folgen Politik-gemachter Blackouts in den Hintergrund tritt, dauert nicht mehr lange. Währenddessen werden schon mehr Sozial-Einwanderer in diesem Jahr ins Land gelassen als 2015 – die tatsächlichen und sich als solche ausgebenden Flüchtlinge aus der Ukraine nicht mitgezählt.

Anders formuliert: Während sich die schweigende Mehrheit in der frühen Geschichte der Bundesrepublik immer „nur“ an einen „ewigen“ Zustand nach dem anderen gewöhnte, steckt sie heute gleich mehrere tatsächliche und vermeintliche Krisen zugleich resignierend bis gleichgültig weg. Das Erwachen wird umso schmerzlicher sein, die Umstände umso chaotischer. Aber offensichtlich führt kein anderer Weg zur Läuterung.

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