Eine solche Headline hätte sich die Bild nicht selbst ausdenken können: „Sex-Verbot für fleischessende Männer!“ Die Vorlage für einen solchen Schwachsinn stammt von der angeblichen Tierschutz-Organisation PETA, die im Interesse ihrer Ideologie und Strategie auch gern einmal Gesundheit und Leben von Menschen und Tieren in Gefahr bringt. Die Frauen sollen ihren Männern Sex verweigern, um ihnen zu zeigen, dass ein Würstchen nicht auf den Grill gehört. Weil sich für jeden Unfug eine Studie finden lässt, wird auch gleich vom Kampagnen-Leiter bei PETA Deutschland eine pseudowissenschaftliche Begründung geliefert.
Nach einer Studie tragen Männer durch ihren Fleischkonsum im Schnitt 41 Prozent mehr zum Klimawandel bei als Frauen. Fiskalisches Rechnen beherrscht Kampagnen-Guru Daniel Kox ebenfalls wie ein Klippschüler. Eine Fleischsteuer von 41 Prozent für Männer, wie auch immer diese dann umgesetzt werden soll, hält er wegen ihres prozentual gemessenen Vergehens für angebracht. Die enthaltsame und freudlose Zukunft hat Perspektive. Jedes nicht geborene Kind spart nach Berechnung des vermutlich asketischen Vegetariers 58,6 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr. So menschenverachtend löst PETA Umweltprobleme. Keine Kinder machen keinen Dreck. Das wird die Menschheit weit bringen.
Es ist erstaunlich, was Experten mit hoher Genauigkeit berechnen können. Ab dem 11. Juli, exakt ab 6.14 Uhr, arbeiten die Deutschen für den eigenen Geldbeutel. Das davor verdiente Geld geht rechnerisch an den Staat. Wer an dem Tag erst um 9.00 Uhr zur Arbeit geht, schadet sich also, zumindest rechnerisch, selbst. Und bald werden Fachleute vielleicht ausrechnen, an welchem Tag wir genug geheizt haben. Danach werden in Wohnzimmern zur Energieeinsparung Pullover getragen.
Experten können alles berechnen. Das Unternehmen Foodwatch, das ernährungswissenschaftliche Gewissen der Nation, hat jetzt berechnet, dass Kinder und Jugendliche am 12. August genug Zucker für das ganze Jahr gegessen haben. Ab dem „Kinder-Überzuckerungstag“ ist Schluss mit Schokolade und Müsli. Doch die Eltern sollten sich nicht in Sicherheit wiegen. Bald wird wohl auch bestimmt, an welchem Tag sie genug Fleisch gegessen haben, um dann auf Rohkost umsteigen zu müssen.
Berechnen lässt sich vieles, um dann als Basis für ideologische Forderungen genutzt zu werden. Foodwatch fordert, dass Werbung für angeblich Ungesundes nur noch nachts erlaubt sein soll. Dann liegt der Nachwuchs im Bett und kann nicht zu Leckereien verführt werden. 15 Prozent der Kinder, so die Ernährungs-Ideologen, sind übergewichtig. Immerhin sind dann nach mathematischer Logik 85 Prozent schlank und fit. Aber auch die dürfen keine Werbung mehr sehen.
Rechnen mit ideologischer Absicht ersetzt hier Nachdenken über die Wirklichkeit. Vielleicht sollten die Experten für Lebensstil-Fragen einmal ermitteln, bis wann Kinder und Jugendliche genug vor Spielekonsolen gesessen haben, um diese dann nach dem Stichtag abzuschalten und Sport zu treiben.
Die von den Aktivisten zitierte Studie heißt „Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel in Internet und TV“. Tobias Effertz, ein Datensammler und Rechner mit dem Ziel, politische Regulierungsabsichten mit fantasievollen Zahlen zu unterlegen, hat hier Reichweiten und Frequenzen aufgelistet, die lediglich aussagen, dass Kinder Werbung rezipieren. Aus der Mediennnutzung von Kindern errechnet er deren Konfrontation mit Werbespots für angeblich ungesunde Lebensmittel. Eigentlich belegt die Studie nur, dass die Kinder sehr lange Zeit körperlich inaktiv vor Bildschirmen verbringen. Dabei geht der Datensammler nicht mit einer Zeile darauf ein, was die durch Werbespots traktierten Kinder tatsächlich essen. Dazu gibt es weder Korrelationen noch Kausalitäten. Woher auch? Angeblich wird der hilflose Nachwuchs manipuliert und ernährt sich durch psychische Gleichschaltung offenbar nur noch mit Hamburgern, Chips und Schokolade.
Kinderarzt fordert ohne jeden Verstand
Zu den Wortführern der Initiative zählt auch einmal mehr Dr. Thomas Fischbach, Kinderarzt und Chef des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Bei seinen Aussagen muss man vorsichtig sein. Bei einem Arzt, der Ursache und Wirkung vertauscht, ist wissenschaftliches Misstrauen angebracht. Von ihm stammt nämlich die Erkenntnis: „Wenn ein Kind zu dick ist, bewegt es sich weniger.“ Umgekehrt wäre es eine zielführende Feststellung. Er setzt noch einen drauf. Eltern mit geringer Bildung haben häufiger dicke Kinder. Deshalb fordert Fischbach eine Zuckersteuer. Diese Kausalität entzieht sich einem normal denkenden Gehirn.
Foodwatch bleibt auch bei seiner bewährten Strategie, den Zucker als das alleinige Übel der Menschheit anzuprangern, um damit Aufmerksamkeit zu erlangen und Spendengelder zu akquirieren. Luise Molling, Kampagnen-Verantwortliche bei Foodwatch, hat die Strategie vom ehemaligen Sugarboy des Unternehmens Oliver Huizinga übernommen, der sich mit seinen Verleugnungen der Wirklichkeit und lautstarken Kampagnen seinen heutigen Job als politischer Geschäftsführer und Presseverantwortlicher der Deutschen Adipositas-Gesellschaft verdient hat.
Mangelnde Bewegung von Kindern und Jugendlichen ist kein Thema der Strategen, weil dazu angeblich keine Daten vorliegen. Da muss dann schon einmal gelogen werden. Natürlich kennt man auch bei Foodwatch und sicher auch beim Verband der Kinder- und Jugendärzte die eine deutliche Sprache sprechenden Studien. Aber es darf nicht der Mangel an Bewegung sein, sondern es muss die mangelhafte Ernährung sein, bei der Zucker im Mittelpunkt steht. Das ist eine Strategie, die sich erheblich leichter und plakativer vermarkten lässt. Mit der Gesundheit der Kinder hat das so wenig zu tun wie spektakuläre Aktionen von PETA mit dem Schutz der Tiere.
Foodwatch gibt versehentlich Entwarnung
Ein Satz von Foodwatch, der sowohl in der Einladung zur Pressekonferenz als auch in der Presseerklärung vorkommt, verdient Beachtung. „Die Corona-Pandemie hat die Lage (beim Übergewicht von Kindern und Jugendlichen) noch einmal verschärft.“ Man darf wohl kaum Absicht bei dieser argumentativen Fehlleistung unterstellen. Aber damit geben die Aktivisten zu erkennen, dass der Mangel an Bewegung das eigentliche Problem ist. Beim Homeschooling hat es keinen Sportunterricht gegeben. Sportvereine mussten ihre Aktivitäten einstellen und Spielplätze wurden mit Flatterband geschlossen. Kinder und Jugendliche haben sich während der Corona-Pandemie noch weniger bewegt als sonst. Dafür haben sie deutlich mehr vor Bildschirmen gesessen, um zu lernen oder virtuell zu spielen. Es war eine Zeit, in der das Gesäß über Bewegung, Muskeln und Energieverbrauch triumphiert hat. Was die zwei Pandemie-Jahre mit geforderten Marketing-Beschränkungen und Werbeverboten für die Lebensmittelwirtschaft zu tun haben sollen, entzieht sich der Logik des Betrachters.
Information, Aufklärung, Empfehlungen. Das wäre für mündige Bürger ein akzeptabler Weg. Der Trend ist anders. Die Menschen müssen reguliert werden. Bunte Nutri-Score-Buttons auf Produkten, damit der Verbraucher erkennt, was er essen soll oder was er mit schlechtem Gewissen isst, weil es trotzdem besser schmeckt. Die informativen Nährwerttabellen auf jedem Produkt bereiten den Menschen offenbar Probleme. Erstens müssen sie lesen können und zweitens die als Kind gelernten Grundrechenarten beherrschen. Aus Sicht von Ideologen und von diesen getriebenen Politikern eine Überforderung. Gegessen wird nicht mehr, was auf den Tisch kommt, sondern was von Ernährungsaktivisten als wertvoll klassifiziert wird. Wer ein Steak grillt, soll in Enthaltsamkeit leben und sich nicht auch noch vermehren. Sex gibt es im Interesse der Umwelt nur noch für Vegane. Strafsteuern auf Erfrischungsgetränke regulieren den Durst, vor allem bei denen mit knappem Budget. Die politische Durchsetzung des Zucchini-Auflaufs durch Mehrwertsteuer-Senkung soll dann gesund sein.
Es drängt sich eine Frage auf: Gesunder Menschenverstand, wo bist du nur geblieben? Die Gewöhnung an das fremdgesteuerte Leben ist gefährlich. Schon heute trauen sich manche nicht mehr, im öffentlichen Raum frei ihre Meinung zu äußern. Abweichler von ständig verschärften Formulierungs-Vorschriften scheuen die Ächtung als diskriminierende Ignoranten, nicht ausreichend über die Vielzahl sexueller Varianten Aufgeklärte fürchten, als Gestrige stigmatisiert zu werden, und das Risiko der ethnischen Aneignung lauert in allen Bereichen vom Schnitzel bis zum Kinderlied. Da hält man zur Sicherheit doch besser den Mund. Ein Zeichen gelebter Demokratie ist das nicht.
Es ist die Tyrannei von Minderheiten mit dem eigenmächtig behaupteten Anspruch, die Menschen nach ihren jeweiligen ideologischen Vorstellungen gesünder, gerechter und die Welt besser machen zu wollen. Sie bestimmen inzwischen maßgeblich die Agenda angeblich notwendiger und in der Bevölkerung angeblich existenter Themen. Damit treiben sie zunehmend die Politik vor sich her. Die GOs (Governmental Organizations) können die NGOs (Non-Governmental Organizations) wohl kaum verbieten. Und das ist im Grunde in einer Demokratie, die Initiativen der sogenannten Zivilgesellschaft nicht nur legitimiert, sondern auch braucht, gut so. Aber die GOs sollten sich nicht zum Erfüllungsgehilfen solcher Umtriebe machen lassen, die ideologieorientiert statt faktenorientiert sind. Die Gesellschaft sollte nicht wie bei den gendergerechten Sprachdiktaten oder den ständig zunehmenden moralischen Fallstricken vermeintlicher Diskriminierung sowie ethnischer Aneignungen kopfschüttelnd und verständnislos Gehorsam üben. Ein klares Nein erhält Demokratie. Lasst die Kinder draußen Indianer spielen. Das ist weder ethnisch übergriffig noch diskriminierend. Das ist gesund.
Detlef Brendel ist Wirtschaftspublizist.