Zugegeben, auf den ersten Blick scheint die Sache verwirrend zu sein. Und mit den Grünen sympathisierende Journalisten versuchen deren Verwirrspiel zu orchestrieren. Sie verbreiten die Mär, dass die Grünen jetzt schnell sichern wollen, dass zwei der drei noch am Netz seienden Kernkraftwerke dort im Reservebetrieb bleiben, während das dritte in Niedersachsen abgeschaltet wird. Eigentlich alles klar. Angeblich sei Robert Habeck der „Geduldsfaden gerissen“, sei der große Robert, auch bekannt als #DankeRobert von der FDP genervt: „Wenn man will, dass die Atomkraftwerke nach dem 31. Dezember noch Strom produzieren können, muss man jetzt den Weg dafür frei machen.“ Doch will das Robert Habeck tatsächlich?
Habeck holt jetzt die große Moralkeule heraus und versucht, Lindner die Schuld an seinem, am eigenen Versagen zuzuschieben. Ziemlich billig, aber für verbündete Journalisten genügt schon das bekanntlich.
Habeck behauptet, dass es innerhalb der Regierung „die feste Absprache“ gegeben habe, den Weiterbetrieb der beiden AKW sicherzustellen. Ob es diese festen Absprachen gegeben habe, dürfte im Auge des Betrachters liegen. „Die Berichterstattung über eine angebliche Gefährdung des Zeitplans für einen Weiterbetrieb von Kernkraftwerken ist falsch“, hielt der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, gegen.
Die Welt grüner Spitzenpolitiker ist eine Welt der Spiegel und der Sprachmemos: man sieht und hört nur sich selbst, denn die Welt ist schließlich nichts anderes als die Welt der Grünen – in planetarischen Grenzen versteht sich. Doch damit nicht genug. Habeck erhört den Druck auf Lindner, indem er behauptet, dass Reparaturen, die am Atomkraftwerk Isar 2 vorgenommen werden müssten, jetzt Entscheidungen verlangen würden. Der Betreiber benötige jetzt Klarheit. „Sonst steht man wegen Verzögerungen ohne Isar 2 da“, heißt es aus dem Habeck-Ministerium.
Hier reibt man sich das erste Mal die Augen. Die Grünen haben es mit dem Weiterbetrieb von Kernkraftwerken eilig? Sie hatten doch den März, den April, den Mai, den Juni, den Juli, den August gehabt, den Weiterbetrieb der drei Kernkraftwerke über den 31.12.2022 hinaus zu verfügen. Doch womit verplemperten sie wertvolle Zeit?
Währenddessen forderte sein Staatssekretär Graichen die Industrie auf, sich mit Notstromaggregaten einzudecken. Zwischendurch hat der Wirtschaftsminister einer staunenden Nation erklärt, was Insolvenzen sind und was nicht. Da #DankeRobert „uns“ aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas befreit habe, allerdings er trotz Jettens auf Steuerzahlerkosten nicht einen Lieferanten fand, der die Lücke, die Habecks Befreiungsschlag in die Versorgung gerissen hatte, schließen würde, führte #DankeRoberts Befreiung dazu, dann doch sich etwas in Fragen der Kernkraft zu bewegen.
Zumal er nun auch verstanden hatte, dass wir auch ein Stromproblem haben, das übrigens mit dem Zusammenhang von Zufallsenergien (Sonne und Wind) und Gaskraftwerken zu tun hat. Also zauberte sein Ministerium einen ähnlich wirklichkeitsfernen Vorschlag wie die Gasumlage hervor: die Idee, die Kernkraftwerke in die kalte Reserve zu schicken, was nichts anderes bedeutet, als sie herunterzufahren. Um es kurz zu sagen, die Idee war Murks. Der Grund liegt darin, dass Habeck nicht von der Wirklichkeit aus denkt, sondern, wie er selbst sagt, von der Mission aus.
Mit dem Rücken an der Wand schlug Habeck ein gutes halbes Jahr nach Kriegsbeginn und kurz vor der Niedersachsenwahl vor, dass zwei der drei Kernkraftwerke am Netz bleiben, nur nicht das in Niedersachsen. Doch es geht um mehr als um Wahlkampf. Man braucht kein Experte zu sein, obwohl auch sie zu dem Ergebnis kommen, um zu wissen, dass die Kernkraftwerke, wenn sie am Netz bleiben, sich senkend auf den Strompreis auswirken. Nach Berechnungen des Ifo-Instituts würde eine Verlängerung der Laufzeit der AKWs bis 2030 den Strompreis bereits im nächsten Jahr spürbar senken. Sie können vier Prozent des Stromes liefern.
Worum es aber eigentlich geht, plaudert die Fraktionschefin der Grünen, Katharina Dröge, aus. Die FDP wollen den Betrieb der Kernkraftwerke bis 2024 und auch das Kraftwerk Emsland am Netz halten. „Das wird es mit uns nicht geben“, stellt sie klar. Damit ist alles gesagt, entweder die FDP akzeptiert den faulen Kompromiss, das eben das Kraftwerk Emsland abgeschaltet wird und die anderen AKWs nur bis zum Frühjahr 2023 weiterlaufen, oder die beiden AKWs werden abgeschaltet. Das ist Politik gegen die deutschen Bürger pur.
Von einer Lernkurve ist beim Bundeswirtschaftsminister noch immer nichts zu erkennen. Unter seiner Führung wird aus dem Ministerium für Wirtschaft und Klima das Ministerium für Pleiten, Pannen und Insolvenzen. Der Wirtschaftsminister ist zu Deutschlands größtem wirtschaftlichen Risiko, zu einem ernstzunehmenden Inflationstreiber geworden.
Am Wochenende findet in Bonn ein Parteitrag der Grünen statt. Man sollte sich die Veranstaltung anschauen, um zu wissen, von welcher Versammlung Deutschlands Wohlstand, Deutschlands Wirtschaft und Deutschlands Energiesicherheit abhängt.
Man könnte die Frage stellen, ob es politisch klug ist, den Weiterbetrieb der beiden Kernkraftwerke in Frage zu stellen. Lindner hat darauf geantwortet: „Das ist nicht Politik, sondern Physik.“ Damit hat er recht, dennoch bleibt es eine politische Entscheidung. Recht hat auch Michael Kruse, der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, wenn er sagt: „Minister Habeck darf die Nutzung von Kernkraftwerken zur Sicherung der Stromversorgung bis ins Jahr 2024 hinein nicht weiter behindern.“ Und weiter: „Wir benötigen die drei aktiven Kernkraftwerke weiter im Netz, zusätzlich sollen zwei Ende 2021 vom Netz gegangene Kraftwerke reaktiviert werden … Der Wahlkampf in Niedersachsen ist vorbei. Die Menschen in diesem Land erwarten von der Ampel pragmatische Entscheidungen und keine parteipolitischen Spielchen.“
Darauf aber wird es hinauslaufen. Die Wahl in Niedersachsen hat die Grünen gestärkt, wenngleich weniger als ihre Medienherolde vermelden. Aber in einer Welt, in der gefühlte Wahrheiten die Wahrheit verdrängen, reicht das aus. Die FDP ist geschwächt. Das wollen die Grünen ausnutzen.
Ob Christian Lindner und die FDP verhindern können, dass mit ihnen auf Bioschnee Schlitten gefahren wird, weiß man nicht. Doch sicher ist, hinter dieser Konfliktlinie existiert für die FDP keine Sicherung mehr, es begänne der freie Fall. Setzt sich Habeck durch, hat die FDP als Stimme der bürgerlichen Vernunft in der Koalition unübersehbar versagt. Heißt, dann kann sie nicht einmal mehr flackernde Lichter des Anscheins bewahren. Man kann Habecks Argumentation vom Kopf auf die Füße stellen, die FDP hält nicht aus parteipolitischen Interesse gegen Habecks unzureichenden und auch ein wenig suizidalen Beschluss. Sondern sie vertritt in diesem Punkt einmal die Interessen des Landes. Nur: Setzt sie die nicht durch, dann ist sie nicht nur in der Regierung, sondern auch im Land überflüssig.