In der Merkel-Ära hat die Bundesregierung zumindest noch offiziell die Umwandlung der EU zu einer Schulden-Union abgelehnt. Damit ist es unter Bundeskanzler Olaf Scholz nun endgültig vorbei. Scholz signalisierte am Rande des EU-Gipfels in der vergangenen Woche in Prag Offenheit für eine gemeinsame Kreditaufnahme für Maßnahmen gegen die „Energiekrise“, meldet die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf Personen aus seinem Umfeld. Die „dramatische Kehrtwende“ folge der Kritik anderer Staats- und Regierungschefs, dass Deutschlands nationaler 200-Milliarden-Euro-Hilfsplan wirtschaftliche Ungleichgewichte in der EU auslösen könnte. Einzige Bedingung von Scholz für sein Nachgeben ist demnach, dass die gemeinsam aufgenommenen EU-Schulden nicht einfach als Beihilfen, sondern ihrerseits als Kredite an die Mitgliedstaaten gehen sollen.
Bloomberg schreibt: „Olaf Scholz bekommt eine harte Lektion darüber, was es bedeutet, Deutschland zu regieren“. Ob die Lektion wirklich so hart für Scholz ist, kann man aber bezweifeln. Er hat schließlich als Finanzminister unter Angela Merkel schon reichlich Erfahrung gesammelt, wenn es darum geht, nationale deutsche Interessen aufzugeben. Und wie Merkel ist er geübt darin, dies zunächst zu verschleiern. Scholz vermied am Freitag in Prag nur eine konkrete Antwort auf die Frage zu geben, ob Deutschland eine weitere Runde gemeinsam begebener Schulden unterstützen würde – aber vor allem vermied er ein hartes Nein.
Es kann auch niemanden wirklich überraschen, dass nach dem Dammbruch des Corona-„Wiederaufbaufonds“ der EU, an dem Scholz maßgeblich beteiligt war und für den – damals als einmalige Ausnahme bezeichnete – gemeinsame Schulden aufgenommen wurden, interessierte Kreise nun die nächste Gelegenheit dafür nutzen würden, aus der Ausnahme eine neue Normalität zu machen. Der offizielle Name „Next Generation EU“ machte schließlich den Anspruch schon überdeutlich. Und so heißt es denn auch bei Bloomberg mit Berufung auf besagte Quellen, das SURE-Programm, das zu diesem Fonds gehört und Maßnahmen in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro in Form von Darlehen an Mitgliedsstaaten beinhaltet – könnte eine Blaupause für ein neues schuldengesichertes Instrument liefern.
Dass Scholz sein Einknicken noch nicht offenlegt, hat laut Bloombergs Quellen aus seinem Umfeld zwei Gründe: Einerseits steht noch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtmäßigkeit des EU-Wiederaufbaufonds aus. Einen Eilantrag hatten die Karlsruher Verfassungsrichter im April mithilfe des Argumentes abgelehnt, die gemeinsamen Schulden sei ja nur eine Ausnahme. Das wird künftig nicht mehr möglich sein. Eine harte Linie des Gerichts gegen Gemeinschaftsschulden wäre angesichts der Entwicklung der jüngeren Vergangenheit dennoch sehr überraschend.
Der andere, wichtigere Grund für Scholz‘ Verschleierung seines wohl längst beschlossenen Einknickens ist die Aufrechterhaltung einer stärkeren Verhandlungsposition gegenüber der künftigen italienischen Regierung unter – voraussichtlich – Giorgia Meloni. Ihr will Scholz vermutlich Zugeständnisse im Sinne einer EU-freundlicheren Grundhaltung abringen.
Hinter solcherlei taktischen Erwägungen spielt dann die eigentlich wichtigste Frage gar keine große Rolle mehr. Wie eine Krise des Mangels an Energie und der dadurch beschleunigten, auf Staatsschulden und billigem Geld beruhenden Inflation durch noch viel mehr Schulden auf EU-Ebene bewältigt werden soll, ohne die Inflation nur noch weiter anzufeuern. Die Frage wird nicht nur nicht beantwortet. Sie wird von Scholz den anderen Regierenden noch nicht einmal erwogen.